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Festival Sónar
Menschliche Kreativität ist unersetzbar

Das Sónar-Festival ist Gradmesser der elektronischen Musik und Kunst. Mit der isländischen Klangkünstlerin Björk hatte es eine der großen Impulsgeberinnen der Szene zu Gast – und eine beruhigende Botschaft für Menschen, die sich von Maschinen bedroht fühlen.

Von Julia Macher |
    June 15, 2017 - Barcelona, Catalonia, Spain - Images of electronic moºsic festival Sonar 2017 in Barcelona, Spain on June 15, 2017 Barcelona Spain PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAn230 20170615_zaa_n230_420 Copyright: xMiquelxLlopx June 15 2017 Barcelona Catalonia Spain Images of Electronic Festival Sonar 2017 in Barcelona Spain ON June 15 2017 Barcelona Spain PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY 20170615_zaa_n230_420 Copyright xMiquelxLlopx
    Auch ohne VR-Brille kann man auf dem Sónar-Festival aus dem Alltag abtauchen: Eine Konzertbesucherin entspannt auf künstlichem Grün (imago stock&people)
    Zum Auftakt lässt Björk es üppig wabern. Auf dem Kopf ein tropenhelmähnlicher Hut, ganzkörperverhüllt in einer Art weißem Schutzanzug steht die isländische Musikerin in Barcelona hinterm Mischpult – inmitten eines grün und lila beleuchteten Waldes. Vogelzwitschern, Weltmusik, Klänge, aufgelesen zwischen Brooklyn und den Anden. Sie selbst sagt: Ein großzügiger Griff ins Füllhorn menschlicher Kreativität.
    "Ich will die Leute aus ihrer Komfortzone holen. Während der Sets zu meiner digitalen Ausstellung habe ich gelernt, wie man akustische Tracks oder Field Recordings in Clubs spielen kann und sie für sich selbst sprechen lässt. Ich liebe Harfen, ich liebe Elektrobeats – und beides nebeneinander zu stellen, beides in der gleichen Lautstärke zu spielen – ist ein Akt des gnadenlosen Optimismus."
    Dieser Spagat passt gut zu einem Festival, das sich inzwischen seit fast einem Vierteljahrhundert in der Balance aus Party und künstlerischer Avantgarde übt. Björk ist die ideale Besetzung für die Sónar Nummer 24. Auch wegen ihrer termingerecht in Barcelona eröffneten Ausstellung "Björk Digital".
    Immersive Erfahrungen: The next big thing
    In den abgedunkelten Räumen des Kunst-und Kulturzentrums CCCB präsentiert sie sechs Virtual-Reality-Clips zu Songs aus ihrem Album "Vulnicura": Ausgestattet mit Kopfhörern und VR-Brille reist man tief ins Innere des Björk'schen Universum, fliegt durch Sternennebel und Lavalandschaften, steht neben ihr an einem einsamen Strand. Experimente mit Virtueller Realität und immersive Erfahrungen gelten auch auf der Sónar als das nächste, große Ding.
    Unter einer planetariumähnlichen Kuppel des Fulldome liegen erschöpfte Festivalbesucher - 360 Grad eingebettet in Sound und Bild - und lassen fragmentale Strukturen und Stadtlandschaften um sich wachsen.
    Die Festivalmesse Sónar+D versteht sich als kreative Spielwiese der digitalen Kultur. Für den philosophischen Überbau gibt es Talkrunden und Podiumsdiskussionen. Schwerpunkte in diesem Jahr: Künstliche Intelligenz und artifizielle Kreativität. Designerin Carla Diana hat Roboter entwickelt, die zu Jazzmusik improvisieren können und Glocken, die Gesprächsfetzen und Geräusche aufzeichnen und in ein inspirierendes Echo verwandeln. Carla Diana:
    "Menschliche Kreativität entsteht meistens aus der Zusammenarbeit mit anderen. Dagegen wird die Kreativität von Robotern über Algorithmen gesteuert. Den Reichtum unserer Erfahrung kann ein Roboter nicht ersetzen, aber er kann Dinge wahrnehmen und sichtbar machen, die für uns unsichtbar sind: zum Beispiel die Temperaturen an 30 verschiedenen Orten der Welt anzeigen oder 50.000 verschiedene Gespräche gleichzeitig aufnehmen."
    Ein Künstler-Computer als Co-Artist
    Kann ein technisches neuronales Netzwerk ebenso inspirieren wie ein Mensch? Dieser Frage geht das Experiment "My Artificial Muse" nach. Basierend auf einem Strichmännchen durchforstet ein neuronales Netz die Kunstgeschichte nach Bildern mit menschlichen Figuren und generiert daraus ein eigenes Gemälde. Das wird dann von einem Menschen auf die Leinwand übertragen. Albert Barque-Durant ist der ausführende Arm des Künstler-Computers.
    Auf den ersten Blick könne er nicht sagen, ob die amorphe, liegende Gestalt mit den Dalí-artig zerfließenden Gliedern mensch- oder maschinengeschaffen sei, sagt er und tupft etwas helles Beige aufs Schulterblatt.
    Das Experiment wolle zeigen, inwiefern künstliche Intelligenz zum eigenständigen, kreativen Mitarbeiter tauge. Die Betonung liegt auf Mitarbeiter. Denn selbst auf einem technologiebegeisterten Festival, wie der Sónar, möchte niemand die menschliche Kreativität in Gänze ersetzen.