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Festival "TonLagen"
International und genreübergreifend

Das Dresdener Festival für zeitgenössische Musik "TonLagen" öffnet Türen für musikalische Grenzgänger verschiedenste Genres und Länder. Etwa in der Oper von Liza Lim. Das Werk der australischen Komponistin mit chinesischen Wurzeln beruht auf Geschichten des jüdischen Schriftstellers Bruno Schulz.

Von Claus Fischer |
    Dresden
    Musikalische Grenzgänge, mal mehr, mal weniger geglückt, prägten die diesjährige Saison der "Tonlagen" in Dresden. (picture alliance/dpa/Foto: Matthias Hiekel)
    Eine Liaison zwischen zwei E-Gitarren und einem traditionellen Sinfonieorchester. "St. Carolyn by the sea” heißt diese Komposition des Amerikaners Bryce Dessner. Der Gitarrist der erklärten Lieblingsband von US-Präsident Barack Obama "The National”, der an der Yale University Komposition studiert hat, schuf in den letzten Jahren etliche Werke in dieser speziellen Besetzung. Für die beiden E-Gitarren schreibt Dessner ein klares, lineares Klangbild vor, das auf die bekannten Vibrato- und Rückkopplungseffekte der Rockmusik verzichtet.
    Dresden möchte kein ostdeutsches Darmstadt sein
    Bryce Dessners filmmusikartige, durch und durch tonale Kompositionen wurden vom Sinfonieorchester des Mitteldeutschen Rundfunks unter Leitung seines Chefdirigenten, des Esten Kristjan Järvi aufgeführt. Damit wurde das Festival "TonLagen" im Festspielhaus Hellerau eröffnet, das – so betont Intendant Dieter Jaenicke – kein ostdeutsches Darmstadt oder Donaueschingen sein möchte.
    "Unsere Vorstellung von zeitgenössischer Musik ist in der Tat sehr viel weiter gefasst als jetzt nur ausschließlich die "Neue Musik". Die "Neue Musik" ist ein Teil da drin. Wir möchten die Grenzen, auch zum Beispiel zum Tanz, in die Installation, in Ausstellungsbereiche, vor allem aber auch die Grenzen in die avantgardistische Popmusik, in den experimentellen Jazz und, und, und ausweiten."
    Dabei überschritt man nicht nur Genre- sondern auch Ländergrenzen. Und man ließ die Besucher des Festspielhauses Hellerau im wahrsten Wortsinn Türen öffnen.
    "Das ganze Haus ist ein Klangkörper. Wenn man hier zu einer Veranstaltung kommt, dann kann man jede Tür aufmachen und wird dahinter eine Überraschung und zwar sowohl auditiv wie visuell erleben."
    Klanginstallation ausgestorbener Sprachen
    "Indigenious Voices" – zu Deutsch "Indigene Stimmen" heißt eine Klaginstallation des Schweizer Performancekünstlers Alfons Hug. In einem etwa 80 Quadratmeter großen Raum gruppiert er zehn Lautsprecher an den Wänden. Aus jedem kommen Aufnahmen von heute ausgestorbenen Sprachen des südamerikanischen Kontinents. Keiner der Sprecher lebt mehr, es sind quasi auf immer verschwundene Klänge, die, so Dieter Jaenicke, die Besucher zum Nachdenken anregen sollen, zum Beispiel darüber:
    "… welche wahnsinnig unterschiedlichen Klangwelten zum Beispiel über Sprache transportiert werden können, wie Sprache überhaupt produziert wird. Die kommt ja bei unterschiedlichen Völkern aus ganz unterschiedlichen Bereichen, aus dem Kehlkopf oder wo auch immer her. Wir haben gerade in Dresden eine spezielle Aufgabe auch: Die Selbstverständlichkeit von Interkulturalität herauszustellen. Weil das etwas ist, was in dieser Stadt ja immer wieder durch Pegida dominiert wird, irgendwie als sei das hier nur die Hochburg der Rechtsradikalen. Hier gibt es auch noch ganz was anderes. Und das ist auch ein bisschen unser Selbstverständnis, das hochzuhalten!"
    Lisa Lim, Tree of Codes
    Ohne Zweifel das aufwändigste Projekt dieser Saison der Dresdner "TonLagen" war die Uraufführung der Oper "Tree of Codes" von Liza Lim, einer australischen Komponistin mit chinesischen Wurzeln. Das Festival hat die Produktion gemeinsam verantwortet mit der Oper Köln, auf deren Bühne sie vorher bereits zu sehen war. Zugrunde liegt ihr ein Roman des amerikanischen Bestsellerautors Jonathan Safran Foer. Dieser wiederum basiert auf einer Sammlung von Kurzgeschichten des jüdischen Schriftstellers Bruno Schulz, der von einem SS-Mann 1942 erschossen wurde.
    "1995 habe ich ein kammermusikalisches Stück geschrieben mit dem Titel "Street of Crocodiles," erzählt Liza Lim.
    "Seitdem bin ich wirklich begeistert von dieser Gedankenwelt von Bruno Schulz, also seit über zwanzig Jahren!"
    Inszenierte Parabel
    Die Oper "Tree of Codes" könnte man als "inszenierte Parabel" bezeichnen. Erzählt wird in die ganz normale Geschichte eines menschlichen Lebens. Ein Sohn reflektiert über den Werdegang seines Vaters, von dessen Kindheit und Jugend, dessen Stärke als Mann und Familienvater bis hin zum körperlichen Verfall, zu Tod und Verwesung. Der italienische Regisseur Massimo Furlan verlegt die Geschichte in einen dunklen Wald, in dem die sechzehn Instrumentalisten des Ensembles "Musikfabrik" in weißen Overalls geschäftig umhergehen, sind quasi Wissenschaftler, die die Zusammenhänge des Lebens erforschen. Eine Szenerie, die mal freundlich, dann aber wieder seltsam bedrohlich wirkt. Und das spiegelt sich auch in Liza Lims Komposition.
    "Es gibt viele verschiedene musikalische Welten in diesem Werk. Die werden ausgedrückt durch die Instrumentierung. Das Ensemble "Musikfabrik" ist innerhalb der Handlung wirklich immens wichtig. Und die Musiker spielen zum Teil sehr ungewöhnliche Instrumente… "
    So gibt es zum Beispiel Blechblasinstrumente mit Doppeltrichter, die eigenartige Sekundklänge erzeugen.
    "Diese Instrumente sehen dann wie Masken aus, wie Gesichts-Prothesen am Körper´. Und der Klang, den sie erzeugen, ergibt in Verbindung mit den Vokalisen der Sänger, eine neuartige Tonsprache."
    So "neuartig" war die Musik jedoch trotz dieser Innovationen dann doch nicht, vielmehr doch ganz und gar dem verhaftet, was man seit den 1950er-Jahren als "Avantgarde" bezeichnet, abgesehen von einigen asiatischen Einflüssen wie Klänge von Röhrenglocken und eingespielter Alltagsgeräusche. Trotz der beiden herausragenden Gesangssolisten Emily Hindrichs und Christian Miedl stellte sich zunehmend Langeweile ein, die auch durch die phantasievollen Hybridwesen, die Regisseur Massimo Furlan durch den Wald schickte, nicht abnahm. Erst die esoterische Quintessenz, dass der tote Vater am Schluss in den Wipfeln eines Baumes weiterlebt, wirkte erlösend.
    Mal mehr, mal weniger geglückt
    Musikalische Grenzgänge, mal mehr, mal weniger geglückt, prägten die diesjährige Saison der "Tonlagen" in Dresden, die letzte unter der Ägide des Kulturmanagers Dieter Jaenicke. Vor zehn Jahren hatte er von seinem Vorgänger, dem Komponisten Udo Zimmermann, die Leitung des europäischen Zentrums der Künste Hellerau und die Intendanz des Festivals übernommen. Wenn er diesen Zeitraum selbstkritisch bewertet, dann stellt er fest, dass das Publikum sich stetig vergrößert hat, dass es in der Stadt aber auch große Ressentiments gegenüber zeitgenössischer Musik im Allgemeinen und dem Standort Hellerau im Besonderen gibt.
    "In Dresden ist es schwieriger dafür eine Akzeptanz zu gewinnen, in der Stadt, in den Medien, in der Politik, als in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf."
    2018 wird Dieter Jaenicke den Staffelstab an Carena Schlewitt weitergeben. Die gebürtige Leipzigerin leitet derzeit im schweizerischen Basel die "Kaserne", ein Zentrum für Musik und Performancekunst. Seit 2012 ist sie zudem Intendantin des neu gegründeten internationalen Theaterfestivals Basel. Ob und wie sie das Festival "TonLagen" weiterführen wird, bleibt abzuwarten, geäußert hat sie sich dazu noch nicht.