Musik Pierluigi Billone, "Sgorgo"
Hart schlägt Yaron Deutsch seine E-Gitarre an. Spielt oft wild wuselnde Läufe, die er dann wieder zart verklingen lässt. Mit Hilfe elektronischer Effektgeräte schrauben sich diese Klangwirbel förmlich empor bis zur dreißig Meter hohen Decke des Semper-Depots, wo Pierluigi Billones Komposition "Sgorgo" erstmals vollständig in drei Teilen zu hören war.
Die Wahl des ungewöhnlichen Spielorts hat sich bezahlt gemacht: Auch die Uraufführung von Klaus Langs Ensemblestück "weiße farben" profitiert von dem einst als Kulissenlager dienenden Raum. Allerdings erzeugt der österreichische Komponist damit einen ganz anderen Effekt als Billone: Auf den Emporen platziert, wölben die Musikerinnen und Musiker des Ensembles oenm eine imaginäre Klangkuppel über das Publikum.
Musik Klaus Lang, "weiße farben"
Dass leise Klänge dominierend waren in vielen der Konzerte der ersten beiden Wochen von "Wien modern", ist nicht verwunderlich: Kreist doch das Festivalmotto in diesem Jahr um "letzte Fragen", also um existenzielle Probleme der Menschen, um Kriege, Terror, Hunger und um den Tod. Die Wahl solch eines dunklen Themas begründet Festivalleiter Bernhard Günther nicht nur mit der weltpolitischen Situation, sondern auch mit dem entsprechenden Echo darauf in der aktuellen Musik.
"Also es ist ja das Thema eigentlich wirklich in Korrespondenz zustandegekommen, was in der Kunst passiert. Gäbe es nicht ganz viele Komponistinnen und Komponisten, die sich mit diesen Dingen auseinandersetzen, dann hätte ich mich ja nie getraut, das aufs Festival draufzuschreiben. Aber es gibt eben erstaunlich viele Komponistinnen und Komponisten in der neuen Musik, die diesen düsteren Fragen unserer Zeit auf den Zahn fühlen – in der Musik und mit der Musik, auf eine zum Teil viel beeindruckendere Weise, als man darüber reden könnte."
Vielfältige Motive
Die Motive, weshalb sich viele zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten der dunklen Fragen unserer Zeit annehmen, sind vielfältig: Einige von ihnen komponieren ihre Werke aufgrund philosophischer Überlegungen wie Klaus Lang oder die beiden Italiener Pierluigi Billone und Giorgio Netti. Andere wiederum in religiöser Absicht, wie Sofia Gubaidulina oder der Elsässer Mark Andre.
Zwei der bei "Wien modern" präsenten Werke Andres, "asche" und "… zum staub sollst du zurückkehren …", beziehen sich direkt auf das Sterben. Im Gegensatz zu den kontinuierlichen Entwicklungen in den Werken Klaus Langs, wechseln die musikalischen Gesten bei Andre eher überraschend, so dass der Eindruck eines intentionslosen Mäanderns entsteht – unserer Ratlosigkeit über das Phänomen des Todes entsprechend.
MUSIK 3: Mark Andre, "asche"
Nicht alles gelang so überzeugend wie die Aufführungen der Werke Mark Andres oder das Solo von Anna Spina, die in Giorgio Nettis beeindruckendem "Ciclo del ritorno" mit ihrer präparierten Viola den Wiener Dom in einen Klangraum verwandelte.
MUSIK 3: Mark Andre, "asche"
Nicht alles gelang so überzeugend wie die Aufführungen der Werke Mark Andres oder das Solo von Anna Spina, die in Giorgio Nettis beeindruckendem "Ciclo del ritorno" mit ihrer präparierten Viola den Wiener Dom in einen Klangraum verwandelte.
Kleine Enttäuschungen
Ratlos machte vor allem die Verleihung des Erste-Bank-Kompositionspreises an Eva Reiter: In ihrem neuen Stück "Noch sind wir ein Wort …" möchte die Wienerin mit wilden Rhythmen auftrumpfen – und biedert sich doch nur modisch an die Rockmusik an, ohne klare Strukturen zu schaffen. Neben den formal feingliedrigen "Relazioni fragili", die 1956 ein damals Dreißigjähriger namens Friedrich Cerha geschaffen hatte, verblasste das Stück der Preisträgerin völlig.
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Enttäuschend auch die szenische Uraufführung von Georg Friedrich Haas' Vertonung von Mira Lobes "Das kleine Ich bin ich", die an der phantasielosen Regie Michael Scheidls litt. Punkten konnte hingegen das Ensemble "Studio Dan", das in einer Performance mit Kompositionen Vinko Globokars Kindern auf spielerische Weise vermittelte, wie Geräusche aus der Alltagswelt Eingang in die Kunstmusik fanden. Uns unvermeidlich heimsuchende Klänge thematisiert auch der niederländische E-Bassist Luc Ex in seinem neuen Projekt. Womit "Wien modern"-Kurator Bernhard Günther erfreulicherweise auch Improvisationsmusik in das Festival integriert.
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Enttäuschend auch die szenische Uraufführung von Georg Friedrich Haas' Vertonung von Mira Lobes "Das kleine Ich bin ich", die an der phantasielosen Regie Michael Scheidls litt. Punkten konnte hingegen das Ensemble "Studio Dan", das in einer Performance mit Kompositionen Vinko Globokars Kindern auf spielerische Weise vermittelte, wie Geräusche aus der Alltagswelt Eingang in die Kunstmusik fanden. Uns unvermeidlich heimsuchende Klänge thematisiert auch der niederländische E-Bassist Luc Ex in seinem neuen Projekt. Womit "Wien modern"-Kurator Bernhard Günther erfreulicherweise auch Improvisationsmusik in das Festival integriert.
Musik Luc Ex, "Inevitable Sounds"
Mit Blick auf die rege Wiener Improvisationsszene findet am kommenden Wochenende sogar ein kleines Festival im Festival statt: "Comprovise" wird sich ab Samstag dem Verhältnis zwischen Komponiertem und Improvisiertem widmen.
Integration der Improvisationsmusik
"Die Wiener Improvisationsszene ist ja seit vielen Jahren sehr aktiv, das fing ja schon den achtziger und frühen neunziger Jahren an und hat sich ja eigentlich so zu einem Zentrum entwickelt. Tiziana Bertoncini und Thomas Lehn wohnen in Wien, Georg Graewe wohnt in Wien – also Wien ist inzwischen eine Heimat für einige der interessantesten Persönlichkeiten im Bereich der improvisierten Musik. Und ich finde, das gehört inzwischen tatsächlich zur neuen Musik in Wien dazu, das muss man zeigen."
Grenzerfahrungen
Dominierend bei "Wien modern" bleiben aber dennoch Grenzerfahrungen. Auch für das Publikum, das bei der Uraufführung von Georg Friedrich Haas' 9. Streichquartett völlig im Dunkeln saß. Ihren Kampf gegen den Alkohol schildert Mollena Lee Williams-Haas in einem autobiographisch gefärbten Text, den Georg Friedrich Haas unter dem Titel "Hyena" vertonte. Ein über einstündiges Stück, das der amerikanischen Tradition des "Storytelling" folgt. Der vom "Klangforum Wien" gespielten Musik fällt zwar nur eine klug kommentierende Rolle zu, berührend war das Werk jedoch allemal.
Musik Georg Friedrich Haas, "Hyena"
Im Kampf gegen das Alter ego, die Hyäne des Alkoholismus: Mollena Lee Williams-Haas im neuen Stück von Georg Friedrich Haas. Reinhard Kager hat diesen Beitrag über das Festival "Wien modern" gestaltet, das sich noch bis Ende November existentiellen Fragen widmen wird. Das in "Wien modern" integrierte Festival "Comprovise" findet vom 19. bis 22. November mit prominenter internationaler Beteiligung statt.