Der 26. Oktober 1960 war ein regnerischer, kühler Tag. Dunkle Wolken hingen über Bonn, hastig eilten die Menschen mit Regenschirmen und hochgeklappten Kragen durch die Straßen.
Zwölf Ermittler hatte der Verfassungsschutz aufgeboten, um einen einzigen Mann zu beschatten, den sie für einen Spion hielten: den SPD- Bundestagsabgeordneten Alfred Frenzel. Auf der geschäftigen Remigiusstraße wurde er plötzlich von einem Passanten eingeholt. Beide Männer trugen eine Aktentasche exakt des gleichen Typs – die sie in Sekundenschnelle austauschten.
Warum Frenzel in flagranti ertappt werden musste
Den Fremden stellten die Ermittler am Flughafen Köln/Bonn. Es war Frenzels Führungsoffizier vom tschechoslowakischen Geheimdienst, die Tasche voll mit abfotografierten geheimen Akten.
Frenzel allerdings konnte wegen seiner Immunität als Abgeordneter des Bundestages nicht ohne Weiteres festgenommen werden. Er musste in flagranti ertappt werden– oder umgehend gestehen, um rechtsgültig verhaftet zu werden. Am 28. Oktober 1960 konfrontierte ihn Generalbundesanwalt Max Güde höchstpersönlich im Bundestag mit den kopierten Unterlagen:
"Herr Frenzel, kennen Sie dieses Schriftstück? Was meinen Sie, wo ich es herhabe? Von Ihrem tschechischen Freund!"
"Herr Frenzel, kennen Sie dieses Schriftstück? Was meinen Sie, wo ich es herhabe? Von Ihrem tschechischen Freund!"
Güde ging ein hohes Risiko ein. Hätte Frenzel geleugnet, er hätte ihn nicht einmal festhalten dürfen. Aber der Beschuldigte brach ein. Wimmernd flehte er um Verständnis: "Sie müssen wissen, ich habe in Böhmen noch eine verheiratete Tochter."
Delikate Informationen über Israel
In der Tat war Frenzel erpresst worden, nicht nur mit seiner Tochter. Der tschechoslowakische Geheimdienst kannte die dunklen Punkte seiner Biografie und setzte ihn unter Druck. 1899 in Josefsthal, dem heutigen Josefuv Dul, geboren, gehörte er der sudetendeutschen Minderheit an, war aber Befürworter der tschechoslowakischen Republik und Kommunist. Während des Zweiten Weltkriegs kämpfte er im Exil gegen Hitler, 1946 ging er nach Bayern und wurde Politiker. Sein Ansehen als Widerstandskämpfer schien makellos: Seit 1958 leitete er den Bundestagsausschuss für Wiedergutmachung, der auch Entschädigungsleistungen an den Staat Israel regelte. Diese waren Bundeskanzler Konrad Adenauer besonders wichtig:
"Wir hatten den Juden so viel Unrecht getan. Und daher habe ich sehr bewusst meine ganze Kraft darangesetzt, so gut es ging, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk."
15 Jahre Zuchthaus
Zu den Wiedergutmachungsleistungen gehörten auch Waffenlieferungen, ohne die der junge Staat die frühen Nahostkriege vielleicht nicht überlebt hätte. Dass nun die Feinde Israels erfuhren, über welche militärischen Mittel Israel verfügte, war ein Schock.
Frenzels Tochter lebte in Prag, außerdem drohte der Geheimdienst der CSSR, zu verraten, dass Frenzel in den Zwanzigerjahren Kokain geschmuggelt und Geld unterschlagen hatte – und nach dem Krieg einen Meineid schwor, um diese Taten und seine KP-Mitgliedschaft zu vertuschen. Nur so gelang es ihm, 1953 als bayerischer SPD-Abgeordneter in den Bundestag einzuziehen. Genau ein halbes Jahr nach seiner Festnahme verkündete der Senatspräsident am Bundesgerichtshof in Karlsruhe Heinrich Jagusch das Urteil gegen ihn:
"Der Angeklagte Alfred Frenzel ist schuldig des Landesverrats in Tateinheit mit verräterischen Beziehungen und außerdem des Meineids. Er wird zur Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus verurteilt."
Jahrelang Akten abfotografiert
Erst mit Günter Guillaume gelang es östlichen Geheimdiensten wieder, einen derart effektiven Agenten in die Machtebene der Bundesrepublik einzuschleusen. Im Gerichtssaal allerdings wirkte Frenzel nicht gerade wie ein Meisterspion, wie der Korrespondent des RIAS beinahe mitfühlend anmerkte:
Wie ein Häuflein Elend saß er heute auf der Anklagebank des Bundesgerichtshofes. Nach dem Plädoyer des Bundesanwalts Kuhn zu einem Schlusswort aufgefordert, erklärte Frenzel: "Ich kann nicht mehr."
Wie ein Häuflein Elend saß er heute auf der Anklagebank des Bundesgerichtshofes. Nach dem Plädoyer des Bundesanwalts Kuhn zu einem Schlusswort aufgefordert, erklärte Frenzel: "Ich kann nicht mehr."
Jahrelang hatte Frenzel geheime Akten fotografiert und nach Prag geschickt. Der Warschauer Pakt war detailliert über den Aufbau der Bundeswehr und die Pläne der NATO informiert. Auch seine Partei, die SPD, hatte er verraten, indem er ausführlich über Interna und politische Ansichten geplaudert hatte.
Frenzel musste nur fünf Jahre im Zuchthaus Straubing absitzen. 1966 wurde er begnadigt und ausgetauscht und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens als Pensionär im tschechischen Liberec, nur wenige Kilometer von seinem Geburtsort entfernt.