An manchen Tagen ist Luxemburgs Altstadt voller Musik. Die Großherzogliche Militärkapelle hat Aufstellung genommen, um einen Staatsgast zu begrüßen. Die Großherzogliche Hymne tönt durch die engen Straßen der Altstadt. Ich bin unterwegs mit Henri Milbert. Weit sind der drahtige Stadtführer mit der schmalen Schiebermütze und ich nicht gekommen, als wir auf eine Menschenansammlung stoßen:
"Hier sind wir genau vor dem Großherzoglichen Stadtpalais. Da drüben das ist die Rue La Reine, das ist die Königinnenstraße hier, die dann direkt auf den Palast hingeht."
Staatsbesuch. Henri Milbert weist auf die schwarze Luxuskarosse:
"Übrigens, das ist das Auto von unseren Großherzog. Ein alter Daimler, aber noch sehr schön in Schuss, wie Sie sehen. Da sehen Sie die zwei Farben Orange und Blau. Das sind jetzt die offiziellen Farben der Nassauer."
Aus dem Hause Nassauer gingen das niederländische Königshaus und das großherzogliche Haus von Luxemburg hervor, das seit 1890 das Staatsoberhaupt stellt.
Luxemburgs Wurzeln reichen bis ins 10. Jahrhundert zurück. Eine Stadt auf vier Hügeln:
Luxemburgs Wurzeln reichen bis ins 10. Jahrhundert zurück. Eine Stadt auf vier Hügeln:
"Also, wir haben da Zentralhügel, das ist die Innenstadt, in dem Augenblick, das wird auch in luxemburgisch einfach Stadt betitelt. Dann haben wir, was auf luxemburgisch sagen, den Bahnhof, Garer Quartier, Bahnhofsviertel. Auf der anderen Seite das Altenheim, das ist das Rham-Hospiz und der vierte Hügel, das ist der Kirchberger Hügel."
UNESCO-Welterbe
Die Geschichte erzählt von Belagerungen, Besetzungen und Zerstörungen. Festungsanlagen mit riesigen Ausmaßen künden davon, so massiv, dass sie niemals vollständig geschliffen werden konnten. Deshalb erinnert eine fünfeckige Metalltafel daran, dass, Zitat:
"Die Altstadt Luxemburg mit ihren Festungsanlagen … im Dezember 1994 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen worden" ist. Henri Milbert blickt ins Tal und zu den Felsen, streckt seine rechte Hand aus und zeigt mir das Welterbe: "Die Welterbe, das gesamte Tal hier und das ist der Felsen, wo alles entsteht. 963. Das Schloss, das wird auf dem Felsen erbaut, wird ein befestigtes Schloss, die Mauern, die waren 10 Meter noch höher, waren komplett um die Innenstadt herum. Das sind die Kasematten, sehen Sie die Löcher, die in dem Felsen da sind, und dann vom 14. Jahrhundert haben Sie hier die Wenzelsmauer und damit sind dann die Häuser hier im Tal sind unter dem Schutz der Soldaten gestellt, das ist die Wenzelsmauer."
Im 14. Jahrhundert gab es statt der Festung nur die Schlossbefestigung, unten, am Ufer der Alzette:
"Die ältesten Gebäude in unserer gesamten Stadt, das sind die weißen Gebäude hier, fünf von der Anzahl, die datieren von 1308, also etwas über 700 Jahre. Das war das Zivilhospiz damals, also die Klinik für arme Menschen und dann wurde das Frauengefängnis und heute ist es Naturhistorisches Museum."
Wir gehen durch die Kasematten, gegen Beschuss gesicherte Gewölbe im Innern des Sandsteinmassivs am Flusstal:
"50 Kanonen hier in diesem Fels auf mehreren Stockwerken. Was Sie jetzt vergessen dürfen, das sind die großen Balkone hier. Das waren nur schmale Kanonenschießscharten und die wurden dann vergrößert, dass das niemals mehr als Festung benutzt werden könnte. Soldaten hier Monate drin und Sie können sich vorstellen, es war auch dunkel, die Fackeln, die dann schlechten Geruch hervorgebracht haben. Es hatte also Metzgerei, es gab Bäckerei, die Soldaten hatten ihre Pferde hier drin und das war dann von Vorteil, beispielsweise im Falle eines Angriffes, Französische Revolution, konnten sie als sie Hunger hatten, Durst hatten, konnten sie Pferde schlachten und dann essen und Blut trinken."
Es half nichts. 1795 mussten sie sich ergeben. Henri Milbert führt mich von der nördlichen zur, wenn ich so sagen darf, schöneren, zur südlichen Seite: " Und hier hatten wir das Appartement, wenn man so sagen kann, von dem Festungskommandanten. Die Soldaten waren natürlich nicht bequem untergebracht, mehrstöckig übereinander mussten die schlafen. Es war ein Bett für drei Soldaten, nicht gleichzeitig, aber jeder acht Stunden Schichtwechsel in dem Augenblick und er hatte hier drei Räume, mittlerer Raum und zwei links und rechts. Es war eine ganz kleine Stadt, weil es ja nur die Innenstadt war mit 10.000 Einwohnern, von diesen 10.000 Einwohnern waren 6.000 Soldaten."
In dieser riesigen Festung hatten die Soldaten in allen Kriegen schwer zu kämpfen. Henri Milbert zählt auf, wer da alles anstürmte: "Spanier, Franzosen, Spanier, Habsburger aus Österreich, Franzosen, Revolutionsfranzosen, dann die Preußen mit einer niederländischen Administration, und das geht dann bis 1867."
In den zwei Weltkriegen suchte hier die Bevölkerung Schutz. Heute wächst die Stadt auf und an den vier Hügeln vor allem auf dem Kirchberg-Plateau, dem Europa- und Kulturviertel, dem Europäischen Gerichtshof, dem European Convention Center, der Philharmonie und dem Museum für zeitgenössische Kunst.
"Der Hügel hat hier in der Länge, geht fast bis zum Flughafen rüber, der ist ungefähr 3,8 Kilometer lang, und da der letzte Teil, das ist jetzt hauptsächlich Bankenviertel. Also, vorderer Teil Kultur und Europa und letzter Teil Bankenviertel."
Alles unweit der über 300 Meter langen roten Stahlbrücke. Sie überspannt seit 1966 das Tal der Alzette. Bald sollen die modernen schwarz-weißen Straßenbahnzüge darüber in Richtung Zentrum rollen. Henri Milbert und ich, kamen mit der neuen Zahnradbahn aus Pfaffenthal hinauf, das liegt zwischen dem Altstadt-Zentrum Luxemburgs und dem Kirchberg-Plateau.
Eines Tages, verspricht er, könnten wir dann mit einer Straßenbahn vom Bahnhof durch die Stadt hierher fahren. Auf einem Teilstück fährt der Zug schon:
"Der fährt also hier, nur auf dem Kirchberger Plateau, also alles was außerhalb der Stadt ist, fährt er mit Oberleitung und sobald er in die Stadt, oder auf die Brücke beispielsweise kommt, dann geht’s mit Akkumulator."
Echternach voller Musik
Nach rund 40 Busminuten – vorbei an den drei legendären Sendtürmen von Junglinster - erreiche ich Echternach an der deutschen Grenze. Auch die idyllische Kleinstadt, 5.600 Einwohner, ist voller Musik. Am Dienstag nach Pfingsten findet die Springprozession zu Ehren des Heiligen Willibrord, einem Missionar aus dem 10. Jahrhundert, statt. Am Tag vor der Springprozession, seit 2010 auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit, spaziere ich mit Milly Thommes-Wirtz durch die Innenstadt. Mir fällt auf: Das Rathaus und der Bau gegenüber sind vor die Front der Hausfassaden gerückt. Echternach bekam 1236 vom herrschenden Abt den Freiheitsbrief, verwaltete sich fortan selbst und brauchte dafür ein Rathaus:
"Dieses Gebäude wurde genannt, auf Letzeburgisch »Unter den Steilen«, also unter den Säulen und wir sehen noch drei Originalsäulen, die wurden gestiftet von den verschiedenen Zünften. Auf der gegenüberliegenden Seite haben wir den "Dënzelt", der Name kommt von Dingstuhl, also von dem alten deutschen Wort "Thing", was so viel heißt wie Versammlung in einem öffentlichen Komplex, unter Arkaden, und man debattierte über Recht und Unrecht und wer da zu Tode kommen soll, oder wie auch immer."
Daneben öffnet sich die Passage zum Platz mit dem Markt- oder Justizkreuz. Es sitzt auf einer Säule, die auf einem eckigen mehrstufigen Sockel steht. Milly berichtet: "Früher gingen hier zwei Straßen und ab dem Mittelalter war es immer ein mittelalterlicher Platz, also immer ein Platz für Feste. Auch heute noch werden viele Feste hier gefeiert, war immer ein zentraler Platz eben hier und das Justizkreuz stand eben seit 1236 hier." Ein beliebter Treffpunkt in Sichtweite vom Rathaus und der viertürmigen Basilika. Die wurde mehrfach wiederaufgebaut, nach Soldaten- oder Feuerstürmen und Beschuss.
Die Springprozession
Die Prozession beginnt traditionell mit einem Gottesdienst in der Basilika. Danach sammeln sich die Menschen nebenan, im weiten Hof der Abtei. Alle tragen schwarze Hosen oder Röcke und weiße Hemden oder Blusen. Sie machen Platz für die in langer Reihe einziehenden Bischöfe. Oben, auf der Abteitreppe stellt sich Luxemburgs Erzbischof Hollerich vor das Mikrofon: "So, ich glaube wir fangen an. Ein besonderer Willkommensgruß gilt den Pilgerinnen und Pilgern aus Deutschland, den Niederlanden und den deutschsprachigen Ländern. Und dann auch ein sehr herzliches Willkommen an die Herren Äbte. Willibrord war ein Mönch, deshalb brauchen wir die Äbte für die Authentizität dieser Springprozession."
Die Prozession, seit 2010 auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit, setzt sich in Bewegung. 38 Musikkapellen spielen eine immer gleiche Melodie.
"Es ist eine traditionelle Melodie, die gespielt wird. Die jetzige Fassung geht auf einen Luxemburger Musiker zurück, hier aus Echternach, so um 1900."
Mit seinen Erklärungen steht mir nun der Kirchenhistoriker Alex Langini, ein agiler Mittsechziger, zur Seite.
Die Kapelle läuft hinter dem Block der Springerinnen und Springer. Wenn sie spielt, hüpfen alle Teilnehmer von einem Bein auf das Andere. In Fünferreihen, verbunden durch ein weißes Dreieckstuch, geht es voran.
"Früher hatten die Leute Schuhe mit Ledersohlen, manchmal die Bauern sogar mit Nägeln, und da hat man auch wirklich den Aufschlag der Schritte auf dem Pflaster hier gehört. Das ist verschwunden, weil heute alle Leute mit Turnschuhen und Gummisohlen kommen." Verstummt die Musik hinter ihnen, dann laufen die Menschen ruhig weiter. Nun ertönt die Polka aus anderen Blöcken und gibt dort den Sprungrhythmus vor.
Den Ausgangs- und Endpunkt bildet die Basilika mit der Gruft des Heiligen Willibrord. Hier mussten einst Abgaben geleistet werden. Durch das Südportal geht es hinein:
"Innen springen sie weiter durch die Basilika und springen dann die Treppe hinunter in die Krypta, am Grab des heiligen Willibrord vorbei und auf der anderen Seite wieder hoch und dann endet die Prozession. Die meisten werfen Geld vor dem Willibrordes Grab nieder. Das ist geblieben." Rund 9.000 Teilnehmer zählten Kirchenmitarbeiter bei der Echternacher Springprozession 2018.
"Da wird nicht jeder angenommen. Folkloregruppen, zum Beispiel, sind von vornherein ausgeschlossen, um eben den traditionellen, religiösen Charakter der Prozession beizubehalten."
An diesem Tag ist die Innenstadt ist voller Musik. Einwohner, Touristen und später mein Begleiter, der Historiker Alex Langini, lassen, in den Straßencafés und Restaurantgärten sitzend, die Prozession an sich vorüberziehen: "Ja, sie ist einmalig. Das ist ja eine Voraussetzung, damit etwas Welterbe wird. Es muss weltweit einmalig sein, es muss auch authentisch sein und ich glaube, das ist hier wirklich voll gegeben."