Sandra Schulz: Was haben die Waldbrände in Amazonien mit uns zu tun? – "Viel", antworten Umweltschützer und auch die Welternährungsorganisation FAO. Denn der brasilianische Regenwald gilt als grüne Lunge der Welt und letztlich sind auch die Ernährungsgewohnheiten von Menschen in aller Welt, hier in Europa, aber zum Beispiel auch in China, zumindest mitursächlich für den Umgang mit dem Regenwald in Brasilien. Die Umwandlung in Weideland für Rinder, die dann als Steaks auf unseren Tellern landen, die gilt als Hauptursache für die Zerstörung des Regenwaldes, und etwas beschönigend ist oft von Brandrodung die Rede. Jetzt blickt die Welt schockiert nach Brasilien, wo die Waldbrände im Amazonas-Gebiet besonders heftig ausfallen, so heftig wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Zugeschaltet ist uns Annette von Schönfeld. Sie leitet das Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung im brasilianischen Rio de Janeiro. Schönen guten Tag!
Annette von Schönfeld: Ja! Schönen guten Tag nach Deutschland.
Schulz: Präsident Bolsonaro scheint jetzt entschlossener im Kampf gegen diese Waldbrände. Er setzt das Militär ein. Es sind seit gestern Löschflugzeuge im Einsatz. Lässt sich schon sagen, was dieser Einsatz bringt?
von Schönfeld: Das ist noch ganz schwer zu sagen. Ich habe heute über Tag immer wieder versucht, da mehr rauszufinden. Die Flugzeuge fliegen, es gibt viele Bilder davon im Fernsehen. Es sind aber so unendlich viele Brandherde und das macht es natürlich sehr, sehr schwer, auch dagegen effektiv vorzugehen. Aber das ist natürlich eine, auch hier in der Öffentlichkeit sehr begrüßte Maßnahme, dass jetzt zum ersten Mal überhaupt gegen die Feuer vorgegangen wird. Das ist ja wochenlang im Grunde immer versucht worden, sehr klein zu halten.
Schulz: Gehen Sie denn davon aus, dass dieses entschlossenere Vorgehen jetzt auch begleitet ist von einem echten Umdenken?
von Schönfeld: Nein. Das glaube ich eigentlich nicht. Die Regierung Bolsonaro hat eigentlich kein umweltpolitisches Denken, und Amazonien ist keine Region, in der jetzt an allererster Stelle steht, den Regenwald zu schützen.
"Brandwolke hat Handlungsdruck erzeugt"
Schulz: Wie erklärt sich dann dieser Kurswechsel? Es ist ja jetzt definitiv von einem Laissez-Faire-Stil die Rede, von dem wir viel gehört haben, von einem Umschwenken, oder?
von Schönfeld: Ja, es ist jetzt ein Umschwenken auf diese ganz konkrete aktuelle Situation, und ich denke, es gibt auch ein echtes Interesse aufgrund der großen Besorgnis, die national und auch international jetzt die Reaktion war auf diese Feuer. Wir hatten ja Anfang der letzten Woche diese große dunkle Wolke und den Brandregen in Sao Paulo. Das ist eine 20-Millionen-Stadt. Da war auf einmal Amazonien ganz präsent im Rest von Brasilien.
Man ist stolz darauf, dass Amazonien zu Brasilien gehört, im allergrößten Teil, aber sonst ist es doch immer weit weg. Durch diese Brandwolke, denke ich, oder diesen dunklen Tag ist es einfach sehr, sehr nah gerückt und dann hat das Land da hingeguckt und dann hat ja auch die internationale Gemeinschaft hingeguckt, und dadurch ist auf einmal ein Handlungszwang auch entstanden.
Den hat der Präsident die ersten Tage noch abgetan, aber dann musste er sich dem auch stellen, und es ist ja eine ökologische Katastrophe, die da passiert. Ich denke, dieser Brandherd wird jetzt tatsächlich eingedämmt werden. Ich denke, irgendwann gelingt das auch. Und wenn das Wetter mitspielt, dann bleibt die Trockenheit nicht mehr so lange. Das weiß man aber nicht so genau. Aber insgesamt bedeutet das noch kein Umschwenken in der Politik.
Schulz: Aber was heißt das dann für die Zukunft? Wir haben jetzt eine schärfere Zuspitzung zwischen Bolsonaro und der Agrarlobby in Brasilien gesehen die dann doch ein bisschen nervös wurde, angesichts auch des internationalen Drucks, und dass diese Brandrodungen verboten sind, das ist ja schon lange Rechtslage. Dass es gleichzeitig diese Brandrodungen gibt, das ist jetzt nicht erst unter Bolsonaro der Fall, dass das geduldet wird. Was genau ist an Bolsonaro das Problem?
von Schönfeld: Die jetzige Regierung sieht in Amazonien, glaube ich, nicht in allererster Linie einen Regenwald, der Teil ist eines Weltökosystems und heutzutage einfach das größte, noch erhaltene und mit einer großen Bedeutung für das Weltklima, sondern einen Teil Brasiliens, der überhaupt noch nicht so erschlossen ist, wie er wirtschaftlich erschlossen werden könnte.
Es gibt große Pläne für die Region, die eben nicht im Schutz des Regenwaldes bestehen, sondern Bolsonaro hat ganz klar gesagt, dass er findet, dass viel zu große Territorien weiterhin indigene Territorien in Amazonien sind, wo Goldvorräte vermutet werden, auch andere Bodenschätze vermutet werden. Es ist ganz klar gesagt worden, man will Bergbaukonzessionen auch in indigenen Territorien zulassen. Das sind alles Pläne, die sind noch nicht gesetzlich verabschiedet, aber das ist eigentlich der Diskurs, der läuft.
Das andere ist, dass natürlich das Agrobusiness auch weiter vordringt nach Amazonien, dass weltweit ein höherer Bedarf an Fleisch ist. Und was noch härter ist, ist ja der Sojaanbau. Beides macht Druck auf Amazonien, weil das Weideland einfach die Erträge bringt, denn das Land möchte die Erträge steigern. Dann ist Weideland nötig und dann brennt man erst mal ab und dehnt peu à peu aus. Das ist jetzt mit dem Antritt dieser Regierung, glaube ich, hat das in der Geschwindigkeit zugenommen. Das ist eine Tendenz, die lange besteht. Es mag sein, dass sich diese Geschwindigkeit jetzt erst mal wieder reduziert, aber die Tendenz ist, glaube ich, noch nicht umgedreht.
"Ein kaputter Regenwald ist nicht so leicht aufzuforsten"
Schulz: Bolsonaro hat jetzt ja auch damit argumentiert und sagt, das sind schwere Brände, und er handelt jetzt ja auch. Aber wenn wir die letzten 15 Jahre überreisen, dann sind das keine Dimensionen, die es so noch nicht gegeben hat. Dass wir jetzt diesen weltweiten Aufschrei haben, hat das auch damit zu tun, dass vielen dieser rechtsgerichtete Präsident Bolsonaro nicht passt?
von Schönfeld: Das hat es sicher und ich glaube, in den letzten Jahren, seit es Umweltbewusstsein gibt, auch seit 1992, seit es hier diese große Konferenz in Rio gab, gibt es einfach einen Diskurs, in dem immer mehr das Thema Nachhaltigkeit zum Thema wird und ein Bewusstsein darüber entsteht, dass man das mitdenken muss.
Bolsonaro ist hier in Brasilien jetzt jemand, der damit nichts anfangen kann, der da erst mal sagt, das ist für mich nicht Priorität. Das sagt er auf eine sehr polemische Art und Weise und das ist, glaube ich, etwas, was diesen Aufschrei auch mit auslöst, dass da nicht jemand ist, der versucht, aber es ist irgendwie schwierig, weil es wirklich ein sehr trockenes Jahr ist, oder so etwas, sondern weil jemand eigentlich erst mal sagt, das hat für mich auch keine Priorität, ich habe mit dem Land anderes vor.
Schulz: Wir haben auf dem G7-Gipfel gestern den Beschluss für Hilfen gesehen, ohne dass wir im Moment genau sagen können, wie die dann aussehen würden. Wie müssten die denn aussehen?
von Schönfeld: Ich habe jetzt nur ein Stichwort gelesen. Da ging es um Aufforstung. Es ist sicherlich jeder Baum wichtig, der auf der Erde existiert, aber ein kaputter Regenwald ist auch nicht so leicht aufzuforsten. Da geht ja was kaputt, was wirklich über Jahrhunderte gewachsen ist und wo das nicht so gut funktioniert.
Was sonst an Hilfe wichtig ist: Es wäre gut gewesen, wenn es möglich gewesen wäre, den Brandschutz zu unterstützen oder die Löscharbeiten zu unterstützen, aber ich denke auch Brandprävention. Das wäre sehr, sehr wichtig, wenn das intensiver gemacht würde. Genau da hat aber die brasilianische Regierung seit ihrem Amtsantritt schon sehr stark die Mittel dafür gekürzt, und das ist so ein Widerspruch. Es ist nicht so einfach zu sagen, wir unterstützen jetzt, weil die ganzen Mittel hier für die Umweltschutzbehörden sind massiv gekürzt worden, die natürlich auch solche Brände entdecken und vielleicht rechtzeitig da auch handeln können.
Schulz: Frau von Schönfeld, zu dem Punkt würde ich gerne noch kommen. Abgesehen von den Hilfen gibt es jetzt in Europa auch eine Diskussion darüber den politischen Druck zu erhöhen. Europa hat im Moment im Blick dieses Handelsabkommen mit dem Mercosur, mit dem Wirtschaftsverband in Südamerika. Ist das eine Stellschraube, die man auch bedienen sollte?
von Schönfeld: Ich würde das nicht verkehrt finden. Dieses Abkommen hat, wenn auch nach meiner Einschätzung nicht besonders präzise Umweltstandards, die darin formuliert werden, und wenn ganz klar ist, dass die nicht eingehalten werden, dann müsste man da doch erst mal auf die Bremse treten. Das würde ich durchaus so sehen.
"Eine Europäische Union ist gefordert den Amazonas zu erhalten"
Schulz: Auch dieses Gegenargument würde ich noch gerne kurz unterbringen, obwohl Bolsonaro jetzt ja auch auf diese scharfe Kritik vom französischen Präsidenten Macron seinerseits auch scharf antwortet. Er sagt, ihr Europäer, ihr seid unterm Strich doch die viel größeren Klimasünder. Ihr reichen Länder, ihr guckt jetzt alle auf uns nach Brasilien. Er spricht von einer kolonialistischen Mentalität. Kann man das denn so von der Hand weisen?
von Schönfeld: Nicht alles. Ich finde, in all diesen Sachen ist auch ein Körnchen Wahrheit. Und trotzdem, es ist ganz klar: Amazonien gehört in einem ganz großen Teil zu Brasilien, ist brasilianisches Territorium und ist Teil des brasilianischen souveränen Staates. Trotzdem hat gerade Amazonien auch diese Ebene von globalem Gemeingut, wo einfach klar ist, das hat nun heute wirklich diese einzigartige Regenwaldfläche, die hoch dramatisch wäre mit Folgen für den ganzen Globus, wenn man das kaputt machen würde.
Von daher ist eine europäische Gemeinschaft auch gefordert, eine Europäische Union auch gefordert, das zu erhalten. Ob da vielleicht noch mehr gefordert werden kann, das will ich gar nicht ausschließen, mehr als jetzt im Mercosur-Abkommen steht, und ob das alleine der richtige Druck ist, das Abkommen jetzt erst mal auszusetzen oder da auf die Bremse zu treten.
Ich finde, es ist aber ein Schritt, der im heutigen politischen Kontext ein richtiges Zeichen setzen würde, weil er einfach noch mal die Aufmerksamkeit erhöht und einfach zwingt, bei bestimmten Dingen politisch noch mal weiter nachzuhaken.
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