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Feuer-Kreis

Bereits vor mehr als 2000 Jahren sahen Astronomen bei Sonnenuntergang, dass die Sonne Flecken aufwies: dunkle Punkte im hellen Rund. Viele physikalische Prozesse des Zentralgestirns können Forscher inzwischen mit sehr genau beschreiben, andere geben ihnen noch Rätsel auf.

Von Jan Lublinski |
    Am 8. Juni 2009 stieg im nordschwedischen Kiruna ein durchsichtiger, mit Helium gefüllter Ballon auf. An seinem unteren Ende trug er eine ungewöhnliche, weiße Gondel, einem Satelliten nicht unähnlich: rechts und links je ein rechteckiges Solar-Panel für die Stromversorgung, dazwischen ein Fachwerk aus Aluminium-Stangen und ein Teleskop, das sich bald nach dem Start auf die Sonne ausrichtete. "Sunrise" hieß diese wissenschaftliche Mission. Sonnenaufgang.

    "So ein Ballonstart ist schon ein sehr schönes Ereignis."

    Sami Solanki, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und Peter Barthol, Projektleiter Sunrise.

    "Das dauert eine gute Stunde, dann wird der Ballon gefüllt, das dauert auch noch mal eine Stunde. Und dann muss es sehr schnell gehen. Und dann kommt das Signal, dass der Ballon gehen darf."

    "Nur um sich die Größenordnung ein bisschen vorzustellen: Von ganz oben am Ballon bis ganz unten, wo die Gondel mit dem Teleskop hängt, das sind 300 Meter. So hoch wie der Eiffelturm, wenn das Ding steht."

    "Das war bei uns ein Bilderbuchstart. Das Instrument ist dann über unsere Köpfe abgeschwirrt. Aber da fängt ja die eigentliche Arbeit für uns erst an."

    Innerhalb von zweieinhalb Stunden wanderte der Sunrise-Ballon in 30 Kilometer Höhe und wurde dort von Polarwinden in Richtung Grönland und Kanada getrieben. Das Teleskop nahm die Sonne in seinen Fokus und filmte sie sechs Tage lang. Es entstanden neuartige, hochaufgelöste Bilder der Sonnenoberfläche - in noch nie da gewesener Qualität.


    Feuerkreis
    über die unbekannten Seiten unserer Sonne

    von Jan Lublinski


    Die Sonne. Unser Zentralgestirn. Von den Ägyptern, Inkas und vielen anderen Kulturen als Gottheit verehrt. Wärme und Leben spendend, unfassbar hell und perfekt rund. Doch bereits vor mehr als 2000 Jahren sahen Astronomen bei Sonnenuntergang, dass die Sonne Flecken aufwies: dunkle Punkte im hellen Rund. Mit der Erfindung der Teleskope Anfang des 17. Jahrhunderts untersuchten Astronomen diese Sonneflecken immer genauer. Aber erst im 20. Jahrhundert fanden sie zu einem neuen Bild der Sonne.

    "”Als ich noch ein junger Student war, interessierte mich die Sonne überhaupt nicht. Ich wollte Mathematiker werden. In der Schule hatte mir ein Lehrer Analysis beigebracht und ich dachte, das ist die unglaublichste Sache auf dem Planeten. Aber im Mathestudium haben mich dann all diese abstrakten Theorien und Beweise überfordert. Ich wollte nichts beweisen, ich wollte diese Dinge nur anwenden. Ich schaute mir die Physikvorlesungen und Computerwissenschaft an, das alles gefiel mir nicht. Aber ich mochte Astronomie. Der Professor sagt mir: Wenn Du Astronomie machen willst, dann musst Du erst einmal Physik studieren.""

    Als Tom Bogdan in den 70er-Jahren begann, sich für Astronomie und Physik zu interessieren, war die Sonne für die meisten Wissenschaftler ein langweiliges Objekt. Ein statisches Gebilde, ein runder Gasball, mehr nicht.

    "Immer wenn ich ein Astronomie-Buch in die Hand nahm, überblätterte ich die Kapitel zur Sonne, um gleich zu den Sternen und Galaxien zu kommen. Ich begann, mich intensiv mit Allgemeiner Relativitätstheorie zu beschäftigen, aber daran bin ich dann gescheitert. Am Ende landete ich bei einem Mann namens Eugene N. Parker, der mein Doktorvater werden sollte. Er liebte die Sonne. Und ich lernte die Sonne zu lieben, durch die Art und Weise wie er über sie nachdachte. Und durch die Probleme, die sie uns stellte."

    Eugene N. Parker ist einer der Wissenschaftler, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass wir heute ein neues Bild der Sonne haben. Er ist heute weit über 80 Jahre alt und gilt seit Längerem als ein Kandidat für den Nobelpreis. Sein Schüler, Tom Bogdan, leitet heute das größte Zentrum für die Vorhersage von Weltraumwetter in Boulder, Colorado.
    Das neue Bild der Sonne: Ein Stern aus Wasserstoffgas, in seinem Inneren verschmelzen Atomkerne, Energie dringt nach außen. Das geladene Gas tobt und stürmt. An den dunklen Flecken ist das Gas der Sonne etwas kühler. In ihrer Nähe kommt es häufiger zu Ausbrüchen auf der Oberfläche. Diese Ausbrüche senden Teilchen und Strahlung durch das Sonnensystem. Dieser sogenannte Sonnenwind, der einst von Eugene N. Parker entdeckt wurde, trifft auch die Erde, sorgt für Polarlichter und bedroht Satelliten und Stromnetze.

    Sonnenforscher versuchen heute unser Zentralgestirn und seine Wirkung auf die Erde genau zu beobachten und zu verstehen - mit Ballons und Satelliten, mit raffinierten Formeln und Berechnungen auf den größten Computern der Welt. Doch immer wieder erweist sich die Sonne als extrem komplexes Untersuchungsobjekt.

    "Man sollte nie sagen, dass es unlösbare Probleme gibt. Aber es gibt durchaus Probleme, die sind enorm schwierig. Die Turbulenz, die auch bei der Sonne eine enorm wichtige Rolle spielt, und zwar nicht nur die Turbulenz eines Gases, sondern eines Gases mit einem Magnetfeld mit enorm komplexer Wechselwirkung, wo die Strahlung auch eine Rolle spielt, das ist etwas, wo wir uns ständig die Zähne dran ausbeißen."

    ... aber auch die handfesten, praktischen Herausforderungen sind keine leichte Kost: Peter Barthol, der Leiter des Sunrise-Projektes, hat die Ballon-Gondel inzwischen wieder zurückgebracht - in sein Labor am Max Planck Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Nach dem Jungfernflug befand sie sich nicht mehr ganz im Originalzustand.

    "Bei der Landung hat die Gondel das Meiste abgefangen. Sie ist nicht nur auf diesen Schockabsorber runtergekommen. Sondern wir haben auf den letzten zwei Kilometern einen relativ starken Bodenwind gehabt von 50 Kilometern pro Stunde, und der Fallschirm ist so runtergegangen"

    Beim Aufprall auf dem Boden hat sich die Gondel mehrfach überschlagen. In Barthols Hightech-Werkstatt liegen nun die Einzelteile verteilt auf verschiedene Bänke und Rollwagen. Die Fachwerk-Struktur der Gondel ist verbogen. Das teuerste Stück, der ein Meter große Hauptspiegel des Teleskops ist heil geblieben; aber der Sekundärspiegel, der das gesammelte Licht weiterlenkt, hat den Aufprall nicht überlebt. Erwischt hat es auch eine Kiste, groß wie ein Billardtisch, in der sich die Messinstrumente des Teleskops befinden.

    "Hier ist diese Rückwand. Die war beschädigt. Diese Stelle, wo der letzte Teleskopspiegel dranhängt, der das Licht hier reinschickt. Der ist offensichtlich aufgeschlagen und hat diese Kohlefaserstruktur eingedrückt gehabt. Hier vorne waren Teile abgerissen. Wir haben jetzt diese Rückwand neu fertigen lassen und schon ersetzt."

    Der Blick vom Erdboden zur Sonne ist gestört: Bereits geringe Bewegungen in der Atmosphäre verschlechtern die Aufnahmen der Astronomen. Darum senden sie seit den 70er-Jahren Kameras und Messinstrumente ins All: Besonders viele Bilder hat die Sonde SOHO zur Erde gefunkt. Die beiden "Stereo"-Satelliten filmen neuerdings die Sonne in drei Dimensionen. Für die kommenden Jahrzehnte sind neuartige Sonden geplant, die sich immer weiter der Sonne nähern sollen. Finanziell deutlich günstiger ist die Sunrise-Mission. Mit diesem Ballon gelang es, ein besonders großes Sonnenteleskop in den Himmel steigen zu lassen.

    "Der Aufstieg vom Boden bis auf Flughöhe dauert für uns zweieinhalb Stunden, und in diesen zweieinhalb Stunden hat man ja auch ne kritische Phase, wo man durch die kalten Luftschichten der Tropopause geht, das ist der Höhenbereich, wo auch die Verkehrsflugzeuge fliegen, und man weiß ja die Temperaturen sind minus 50, 60 Grad teilweise. Das bedeutet für die Instrumente eine sehr starke Auskühlung.

    Das heißt man guckt auf die Monitore, guckt, ob die Datenübertragungen funktionieren, schaut sich die Temperaturen an. Und wenn dann die Flughöhe erreicht ist, beginnt man das Instrument auf die Sonne auszurichten. Damit die Solarzellen den Strom produzieren können. Und in der Zeit davor hängt man an Batterien. Man kann die Ausrichtung nicht kontrollieren, weil bei dem Aufstieg die Anströmungen durch den Wind so stark sind, dass das Lagerregelungssystem überfordert wäre."

    Es dauerte mehrere Stunden, bis das automatische Lage-Regelungssystem die Kontrolle übernehmen konnte. Dann erst öffneten Barthol und Kollegen das Teleskop. Die Bilder und Daten, die es sammelte, können sie während des Fluges nicht ansehen. Die Datenrate der Funkverbindung war zu schwach. Um so wichtiger war die Landung des Ballons sechs Tage später. Bereits direkt nach dem Start hatte sich ein Bergungsteam von Nordschweden aus auf den Weg gemacht – nach Kanada:

    "Und am letzten Tag haben wir gesehen, dass der Ballon wunderschön der Nordwestpassage gefolgt ist, also nachdem er über Grönland rüber war, und in Kanada war, da war permanent Wasser unter dem Instrument, da waren wir alle doch ein bisschen nervös, weil: Wasser bedeutet: Die Daten sind weg, das Instrument ist weg. Es gab dann am Sonntagabend doch eine Phase, wo wir gesehen haben, OK, das Instrument driftet weiter südlich, und da war eine Insel."

    Die Wissenschaftler entschieden sich, die Gondel sofort herunterzuholen. Nur 20 Minuten dauerte der Abstieg auf Somerset Island. Das Bergungsteam flog per Hubschrauber dorthin. Sie fanden die demolierte Gondel auf einer Felsebene und bauten als Erstes die Festplatten des Bordcomputers aus.

    "Ich hab die Jungs dann in Frankfurt abgeholt. Und das Erste, was man dann macht ist: Die Daten lesen. Wenn da so viel Arbeit reingegangen ist, und kondensiert in solchen Festplatten, dann haben ganz Viele drumrum gestanden und geguckt: Na, können wir die Platten ansprechen? Und es war alles kein Problem. Hat alles wunderbar geklappt."

    Die Bilddateien auf der Festplatte von Sunrise zeigen die Sonnenoberfläche in zuvor nie da gewesener Auflösung: Gasblasen, die aufsteigen, und die Energie aus dem Sonneninneren nach oben transportieren. Und: Strukturen von etwa 100 Kilometer Größe: Gebiete, in denen die Magnetfelder der Sonne besonders stark sind.

    "Die Daten sind wirklich gut. Es hat auch schon eine ganze Reihe wissenschaftlicher Publikationen gegeben. Wir hatten eine Spezialausgabe von Astrpohysical Journal Letters, das ist eine der Top-Zeitschriften, mit Publikationen. Und da haben wir einiges Neues gelernt: Zum Beispiel konnten wir diese elementaren Strukturen des Magnetfeldes, die magnetischen Flussröhren zum ersten Mal direkt überhaupt sehen."

    Die Magnetfelder spielen eine entscheidende Rolle in dem dynamischen Geschehen auf der Sonne. Sie stehen in einem komplexen Wechselspiel mit dem geladenen Gas. Dabei verhalten sich die Magnetfelder wie lange, spaghettiartige Gummibänder, die miteinander verwoben sind. Sie winden sich umeinander, bilden Knäuel, verziehen sich und speichern Energie, die sie später wieder abgeben.

    "Mit Sunrise konnten wir jetzt zeigen, dank der hohen Auflösung, dass die Energie um ein Mehrfaches höher ist als das, was man vorher gedacht hat. Sie ist einfach in sehr kleinen Skalen versteckt - sodass man das mit herkömmlichen Teleskopen gar nicht gesehen hat."

    Seit vielen Jahrzehnten schon treibt die Sonnenforscher ein Rätsel um: Die Temperatur der Sonnenoberfläche ist mit wenigen tausend Grad vergleichsweise kühl, während die Korona, die oberste Schicht der Sonnenatmosphäre extrem heißt ist: mehrere Millionen Grad Celsius. Offenbar gelangt hier viel Energie vom Sonneninneren in die äußerste Schicht der Sonnen-Atmosphäre. Die Magnetfelder spielen hier eine wichtige Rolle: Sie dehnen sich in Bögen über der Oberfläche aus. Manche wachsen immer weiter an, reißen dann plötzlich. Es wird Energie frei, und die äußere Schicht heizt sich auf. Die Sunrise-Daten zeigen aber auch: In diesem Prozess spielen Schallwellen, also Druckschwankungen, eine wichtige Rolle.

    Insgesamt sind die Sonnenforscher der Lösung des Rätsels mit ihrer Ballon-Mission zumindest einige Schritte näher gekommen.

    "Die Sonne ist der Stern, den wir am besten kennen. Sie ist ein fantastisches Labor, in dem wir neue Dinge lernen können. Das erlaubt es uns auch, andere Sterne besser zu verstehen."

    Auch Tom Bogdan, der erst Mathematiker werden wollte und dann lernte, die Sonne zu lieben, hat viele Jahre seines Lebens mit ihrer Erforschung verbracht. Er ist stolz auf die Errungenschaften der modernen Solarforschung. Aber er ist auch immer wieder an die Grenzen dieser Wissenschaft gestoßen.

    "Am Ende bleibt die Frage: Was will man von diesem System wissen? Welche Frage willst Du der Sonne stellen - jetzt, wo Du sie in all ihrer Herrlichkeit gesehen hast? Also, was mich betrifft, ich würde gern vorhersagen können, wie der nächste Strahlungsausbruch aussieht, der zu uns auf die Erde kommt. Aber die Frage kann niemand beantworten. – Manchmal ist eine Sache so kompliziert, dass man nichts anderes sagen kann als: Es ist eine komplizierte Sache. Vielleicht sind wir bei der Sonne jetzt so weit. Und ich fürchte, dass unsere Wissenschaft mitunter an genau dieser Stelle endet."

    Inzwischen aber tritt eine jüngere Generation von Forschern an und versucht, sich der Sonne mit neuen Methoden zu nähern. Einer ihrer Vertreter ist Laurent Gizon, der unlängst Direktor am Max Planck Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau geworden ist. Er interessiert sich für die Bewegungen der Sonne. Sie dreht sich um die eigene Achse, aber sie schwingt auch in sich, vibriert wie eine Glocke.

    "Seit den frühen 90er-Jahren haben wir Bilder der Schwingungen auf der gesamten Oberfläche. Bilder mit bis zu sieben Millionen Pixeln, die wir mit Satelliten aufgenommen haben. Jeder Pixel ist ein kleiner Seismograph. Mit all diesen Daten können wir herausfinden, was sich im Inneren der Sonne befindet."

    Gizon und Kollegen messen Schwingungen an der Oberfläche der Sonne und können damit auf die Vorgänge im Inneren der Sonne schließen. "Helioseismologie" nennt sich diese Forschungsdisziplin.

    Das Innere der Sonne: Ein heißer Kern, in dem die Fusionsprozesse ablaufen. Dabei wird Energie in Form von Licht und Strahlung frei, dringt langsam in die sogenannte Strahlungszone, die den größten Teil des Sonnenvolumens ausmacht. Darüber befindet sich die Konvektionszone. Hier wandert das heiße Gas aus tieferen Sonnenschichten nach oben, ähnlich wie Wasser in einem heißen Kochtopf.

    "”Die Rotation im Inneren der Sonne ist sehr interessant. Unten, in der Strahlungszone dreht sich die Sonne um sich selbst als wäre sie ein fester Körper. In der Konvektionszone dagegen sehen wir sehr unterschiedliche Drehgeschwindigkeiten: Am Äquator rotiert die Sonne viel schneller als an den Polen. Diese neue Erkenntnis war ein großer Durchbruch für die Helioseismologie. Warum ist das so wichtig? Weil dies ein entscheidender Bestandteil aller Dynamo-Theorien ist.""

    Die Sonne als Dynamo: Ein Ball aus elektrisch geladenen Gasteilchen dreht sich um sich selbst und erzeugt so sein eigenes Magnetfeld. Ein Magnetfeld, das auf der Sonnenoberfläche wie auch im ganzen Sonnensystem spürbar ist. Auch die Erde erzeugt durch ihre Rotation ein solches Magnetfeld. Auf die wesentlichen Grundelemente der Dynamotheorie können sich die Wissenschaftler heute einigen, die Details der Sonnenmagnetfelder haben sie aber noch nicht verstanden.

    "Selbstverständlich, wenn Sie sehr spezifische oder grundlegende Fragen stellen, zum Beispiel zu den Phänomenen der Turbulenz, dann kann es sein, dass sich da noch extrem schwere, grundlegende physikalische Probleme verbergen. Aber für Probleme, die uns heute unlösbar erscheinen, werden wir in Zukunft vielleicht Lösungen finden. Wer weiß, vielleicht auch für das Dynamoproblem."

    An der Universität Bochum haben Physiker ein ungewöhnliches Experiment aufgebaut: ein silbergraues, tonnenförmiges Vakuumgefäß, groß wie ein Lastwagenreifen. Drumherum: Kabel, Spiegel, Linsen, Messgeräte. Im Inneren dieser Tonne erzeugen sie eine starke Gasentladung. Dabei entsteht ein runder Lichtbogen, ein krummer Blitz. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den runden Ausbrüchen, die sich auf der Sonnenoberfläche ereignen: Protuberanzen, wie sie im Fachjargon genannt werden. Henning Soltwisch, Leiter des sogenannten Flarelab-Projektes, interessiert sich derzeit insbesondere für schwächere Bögen, die nicht explodieren.

    "Das heißt die Struktur steigt auf, fängt auch an sich zu verdrehen, macht dann aber nicht die dynamische Entwicklung bis zum Ende durch, sondern bleibt so hängen. Fällt dann langsam wieder zusammen. Sowas ist beobachtet worden, sowas ist durch ein spezielles Modell ziemlich detailgenau nachgebildet worden. Durch ein Rechenmodell. Und wir versuchen dieses Rechenmodell wieder in ein Labormodell umzusetzen, um damit jetzt einzelne Aspekte dieser Art von Protuberanzen genauer untersuchen zu können."

    Bei diesem Experiment geht es nun nicht darum, exakt die Bedingungen herzustellen, wie sie auf der Sonne herrschen. Dafür ist es dort oben viel zu heiß, und die Magnetfelder sind viel zu groß. Aber es könnte mit dem Flarelab-Projekt in Zukunft möglich werden, physikalische Modelle auf den Prüfstand zu stellen. Modelle, die wiederum dazu beitragen können, die Sonnenausbrüche besser zu verstehen.

    Es ist ein dynamischer Teppich aus Magnetfeldern, der sich über die Sonnenoberfläche bewegt. Immer wieder wachsen einzelne Maschen heraus, vergrößern sich zu hohen Bögen, die weit hinaufragen. Dann reißen einzelne Gummi-Maschen plötzlich auf und jagen mit einem großen Knall Strahlung und geladene Teilchen hinaus ins All. Wenn diese in Richtung Erde fliegen, kommen acht Minuten später erste Strahlungsblitze sogenannte Flares bei uns an. Die Teilchenschauer dagegen sind länger unterwegs. Sie erzeugen bei ihrer Ankunft einige Tage später die Polarlichter.

    Besonders heftige Eruptionen auf der Sonne können auch sogenannte geomagnetische Stürme im Magnetfeld der Erde auslösen.

    Tom Bogdan, der ehemalige Mathematik-Student, der lernte die Sonne zu lieben und sie über viele Jahre hinweg erforschte, bis er die Grenzen der Solarforschung immer deutlicher spurte, konzentriert sich heute auf eine praktische Anwendung dieser Wissenschaft. Er leitet die weltweit größten Behörde für die Vorhersage von besonderen Ereignissen im Weltraumwetter, dem NOAA Space Weather Prediction Center in Boulder, Colorado. Er und seine Kollegen verfolgen die Sonnenaktivität und ihre Folgen für die Erde 24 Stunden am Tag.

    "”Die Ereignisse, vor denen ich am meisten Angst habe sind die, bei denen unsere Stromnetze gefährdet sind. Der extremste Fall, den wir kennen, hat sich 1859 ereignet: Die Polarlichter, die mit einem solchen Ereignis einhergehen, waren damals nicht nur in nördlichen Breiten, sondern auch in Jamaika und Kuba zu sehen! Würde ein solcher Sturm uns heute unvorbereitet treffen, würden wir mit Sicherheit Hunderte von Transformatoren zerstört.""

    ... und es würde Monate dauern, bis die Stromnetze weltweit wieder so funktionieren, wie wir es gewohnt sind.
    Neben Vorhersagen für geomagnetische Stürme geben Tom Bogdan und Kollegen auch Informationen für Satellitenbetreiber heraus, und sie warnen vor sogenannten Radio Blackouts, also Ausfällen der Kommunikationssysteme auf der Erde. Letztere werden vor allem durch die Flares verursacht, die Strahlungsausbrüche von der Sonne. Ihre Entstehung lässt sich nur schlecht vorhersagen.

    Die Vorhersage der Teilchen-Stürme hingegen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Die Weltraummeteorologen können die Entwicklung dieser Stürme mit Hilfe von mathematischen Computermodellen berechnen, ganz ähnlich wie ihre Kollegen, die sich mit Hurrikans befassen.

    "Von den Hurrikan-Vorhersagen kennen wir diese Landkarten, auf denen man sehen kann, wohin der Sturm in den kommenden drei oder vier Tagen voraussichtlich wandern wird. Etwas Ähnliches richten wir derzeit auch für unsere Stürme ein. Aber unsere Berechnungen müssen wir in drei Dimensionen anstellen, sodass wir sagen können, wohin sich so ein Sturm bewegt, der von der Sonne kommt. Und weil er einige Tage unterwegs ist, haben wir genug Zeit, um Warnungen herauszugeben und unsere technischen Systeme zu schützen."

    Während die Experten das Eintreffen von Stürmen neuerdings auf drei Stunden genau vorhersagen können, ist es ihnen nicht möglich, die Vorgänge auf der Sonne selbst zu prognostizieren. Die Aktivität der Sonne schwankt in einem etwa elfjährigen Zyklus. Er bringt regelmäßig mal mehr und mal weniger Flecken auf die Sonne. Entsprechend nehmen die Ausbrüche zu oder ab. In der Vergangenheit haben sich immer wieder verschiedene Wissenschaftler darum bemüht, diesen Sonnenzyklus vorherzusagen. Mit sehr bescheidenem Erfolg.

    "”Hier gibt es eine Lektion zu lernen und die lautet: Wir sind nicht besonders gut darin, Sonnenflecken vorherzusagen. Und es gibt noch eine zweite Lektion: Es ist nicht so wichtig, den Sonnenzyklus vorherzusagen. Ich werde die Zahl der Weltraummeteorologen in meinem Zentrum nicht ändern, nur weil der Sonnenzyklus stärker oder schwächer wird. Es wird immer Weltraumwetter geben, auch Extremereignisse. Es liegt wohl an unserer menschlichen Psychologie, dass wir Zyklen vorhersagen wollen, aber eigentlich sind diese Art von Prognosen nicht wirklich wichtig.""

    Das heutige Wissen der Forscher über die Sonne ist groß und klein zugleich: Groß, weil sie sehr viel mehr wissen, als ihre Vorgänger zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie machen ihre Beobachtungen mit Ballons und Satelliten, sie kennen grundlegende Mechanismen, welche die Sonne bewegen. Auch können sie den Einfluss der solaren Teilchenstürme auf die Erde vorhersagen.

    Zugleich aber ist das Wissen der Forscher auch sehr klein. Sie haben den solaren Dynamo, die Entstehung der Magnetfelder, nicht genau verstanden. Die Prozesse, die zu den Sonnenzyklen führen, sind ihnen unklar. Und sie stellen immer wieder fest: Das turbulente Geschehen auf der Sonne ist unglaublich kompliziert.

    "”Ich denke es gibt keinen Mangel an Geheimnissen in der Sonnenforschung. Persönlich frage ich mich aber, ob wir am Ende nur herausfinden werden, dass es sich hierbei einfach nur um eine sehr sehr schwere Aufgabe handelt. Dennoch: Die Sonne bleibt für mich faszinierend. Ich mag ihr zyklisches Verhalten. Es ist fast so, als hätte ich einen speziellen Freund da draußen.""