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Fidel Castro
"Einer der letzten Vertreter des Kalten Krieges traditioneller Prägung"

Für die einen war Fidel Castro ein charismatischer Führer, für die anderen eine Feindfigur. Doch nach seiner Zeit als Präsident habe Castro für das praktische Regieren nur noch wenig Bedeutung gehabt, sagte der Lateinamerika-Experte Günther Maihold im DLF. "Fidel Castro hat sich selber überlebt", so Maihold.

Günther Maihold im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der damalige kubanische Staats- und Parteichef Fidel Castro spricht in Havanna, Kuba, vor einem Bild des Revolutionärs Ernesto "Che" Guevara (Archivfoto vom 01.09.1998)
    Kubas ehemaliger Staatschef Fidel Castro - hier in einer Aufnahme aus dem Jahr 1998. (dpa/Roque)
    Mit dem Begriff "Despot" werde man Castro nur zum Teil gerecht, betonte der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er sei auch eine Identifikationsfigur über Kuba hinaus gewesen - etwa als Unterstützer und Anleiter einer Reihe von Guerilla-Bewegungen in Lateinamerika, die in der Folge Diktatoren zu Fall gebracht hätten.
    Castro habe sich als Inkarnation des kubanischen Nationalismus inszeniert. Zudem habe er eine unprätentiöse Art gehabt, auf die Weltpolitik einzuwirken, und dadurch die Solidarität derjenigen genossen, die sich selbst als Unterdrückte wahrnahmen, so Maihold. "Er war ein kauziger Typ, nicht der glattgeschliffene charismatische Führer."
    Nur noch Kommentarist und Symbolfigur
    Milder wurde er nach Meinung Maiholds im Laufe der Jahre nicht. Sein Leben sei geprägt gewesen von dem Gedanken, dass es jederzeit Versuche geben könnte, ihn zu stürzen oder zu ermorden. Auch in wirtschaftlichen Fragen sei Fidel nicht freigekommen von "seinem eigenen ideologischen Rahmen" - im Gegensatz zu seinem Bruder Raúl, unter dessen Führung Kuba sich später dem Westen öffnete.
    Fidel Castro sei bewusst gewesen, dass er nach seiner Erkrankung nur noch Kommentarist der Ereignisse gewesen und gelegentlich noch als Symbolfigur auf die Bühne geholt worden sei. Mit seinen "reflexiones" in der Zeitung "Granma" habe er jedoch kaum noch Bedeutung für die Praxis des Regierens gehabt. "Das ist Teil der Tragik von Fidel Castro, dass er sich eigentlich selber überlebt hat."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Der Tod von Fidel Castro, unser Thema jetzt mit dem Lateinamerika-Experten Professor Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag!
    Günther Maihold: Guten Tag!
    "Er ist auch eine Identifikationsfigur über die kubanische Insel hinaus gewesen"
    Müller: Herr Maihold, können Sie um einen Despoten trauern?
    Maihold: Sicherlich kann man Castro nur zum Teil mit dem Gesichtspunkt Despot gerecht werden. Man muss natürlich auch sehen, dass er eine Identifikationsfigur über die kubanische Insel hinaus gewesen ist und damit eine weltpolitische Gestaltungsrolle hatte – nicht nur in Befreiungsbewegungen in Afrika, sondern eben auch als Unterstützer und Anleiter einer Fülle von Guerillabewegungen in Lateinamerika, die natürlich dort auch eine Fülle von Despoten zu Fall gebracht haben.
    Müller: Wie kann das sein, Sie haben das gerade ja noch einmal angesprochen, wir haben das eben in den beiden Berichten ja auch schon gehört, dass ein Staatschef des vielleicht kleinsten Landes der Welt, ich übertreibe jetzt, aber eines so kleinen Landes, Kuba, einer so kleinen Insel, so große Wirkung erzielt hat?
    Maihold: Ich glaube, das muss man im Kontext der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts sehen. Diese Revolution, die ja eine ganze Reihe von weiteren Umstürzen in der Welt zur Folge hatte, im Hinterhof der USA, dann das Überstehen der Kubakrise, die ja die Welt beinahe an den Rand eines Atomkrieges gebracht hat, also alle diese Situationen, in denen Castro durch die Kontrolle der internationalen Politik, durch seinen Einfluss auf die internationale Politik und natürlich auch, dass er sich von den Mächtigen immer gerne hat benutzen lassen für ihre Interessen, doch eine bestimmende Position für eine Fülle von Nachahmern und begeisterten Anhängern gefunden hat, wie er auch gleichzeitig eben zur absoluten Feindfigur für andere geworden ist.
    Müller: Hat er deswegen auch so viel Resonanz, positive Resonanz gefunden, weil es immer auch ein Kampf war von David gegen Goliath?
    Maihold: Das ist sicherlich eine wichtige Komponente. Zum Zweiten muss man eben erkennen, es war nicht nur Despotie, die er in Kuba installiert hat, er konnte sich als Inkarnation des kubanischen Nationalismus, als eine Verkörperung der Unabhängigkeit und Souveränität des Landes inszenieren, und er hatte natürlich eben durch seine unprätentiöse Art, auf die Weltpolitik einzuwirken, immer auch die Solidarität vieler, die sich als Unterdrückte, Marginalisierte wahrgenommen haben.
    "Er ist ja letztlich ein etwas kauziger Typ gewesen"
    Müller: Sie haben ihn als Experten ja auch oft erlebt, Sie haben gesehen, Sie haben ihn vor allen Dingen ja immer wieder auch studiert. Warum war er so charismatisch, was hat ihn ausgemacht?
    Maihold: Zunächst, glaube ich, hat das mit seiner persönlichen Art zu tun. Er ist ja letztlich ein etwas kauziger Typ, also nicht der glattgeschliffene charismatische Führer, sondern einer, der mit stundenlangen Reden, mit Schachtelsätzen, aber gleichzeitig eben auch mit der Fähigkeit, Selbstkritik zu üben, die Gefühle der Bevölkerung anzusprechen, sich eine gewisse Bodenhaftung bewahrt hat und sich damit auch inszenieren konnte. Gleichzeitig ließ er sich nie völlig auf andere Vorbilder ein, hat immer seinen eigenen Weg gesucht, der manchmal etwas irrlichternd war, aber letztlich eben nicht klar auf einen Sozialismus oder Kommunismus sowjetischer Orientierung sich eingelassen hat, sondern sich auf die spezifischen Bedingungen seines Landes immer bezogen hat.
    Müller: Die meisten von uns, Herr Maihold, die ihn ja nur vom Fernsehen her kennen, aus Dokumentationen, auch aus den Nachrichtensendungen, wie auch immer, haben ihn ja nie im Frack gesehen und auch nie in blauen oder schwarzen Anzügen, er war immer in diesem Kampfanzug mit dieser Schirmmütze da aktiv. War das immer auch ein Signal dafür, ich bleibe der Vorkämpfer der Unterdrückten?
    Maihold: Zum einen das, zum anderen natürlich auch dieses klare Signal, meine politische Machtbasis ist letztlich auch eine militärische, das darf man nicht vergessen, das ist bis heute in Kuba so – das Militär ist der starke Arm, der das Regime aufrechterhält. Zum anderen sollte natürlich auch deutlich werden, ich habe mich im Guerillakampf in einer Fülle von gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Batista-Regime hier erfolgreich in Szene gesetzt, und an diesen Mythos hat er ja immer wieder angeknüpft.
    "Es war schon so etwas wie Belagerungsphilosophie in seinem Leben vorhanden"
    Müller: Warum war Fidel Castro nach diesen auch militärischen Erfolgen – also erst einmal auf Kuba, dann die Schweinebuchtinvasion, wir haben darüber schon gesprochen, Sie haben es erwähnt, 61/62, Auseinandersetzungen mit Kennedy, mit dem großen Amerika, was er für sich entschieden hat, für sein Volk entschieden hat –, warum ist er dann nicht etwas großzügiger geworden im Laufe der Jahre gegenüber den Andersdenkenden?
    Maihold: Das, glaube ich, ist in entscheidender Weise natürlich darauf zurückzuführen, dass Subversion, Nadelstichpolitik, der Versuch, ihn ums Leben zu bringen seitens des US-Geheimdienstes, in eine Situation gebracht hat, wo er sich immer bedroht fühlte, wo dann mit dem Embargo auch noch eine Kulisse aufgebaut wurde, die die ganze Insel sozusagen vollständig erfasste und sich an die Wand gedrückt fühlte. Also dieses Gefühl, es könnte immer eine Aggression gegen die Insel passieren, dass das Schicksal seines Volkes letztlich auch immer davon abhing, wie gerade die US-Position war, alles dies hat natürlich schon zu einer Konstitution geführt, in der er immer in Habachtstellung war, nur nachts auf den Straßen mit den Autos unterwegs war, seinen ganzen Lebenswandel komplett gegen die normalen Uhrzeiten organisiert hat. Also es war schon so etwas wie Belagerungsphilosophie in seinem Leben vorhanden.
    Müller: Und deshalb musste er viele Oppositionelle einsperren lassen, foltern lassen, töten lassen?
    Maihold: Nun, das ist eine Konstellation, die natürlich völlig klar ist. Die Menschenrechtsverletzungen, die dieses Regime begangen hat, die Verfolgung der Opposition, auch sozusagen die Unterdrückung abweichender Meinungen – Kuba hat nie eine Position ergriffen, wie man sie am Ende der Sowjetunion kannte, dass man sich ein paar Dissidenten sozusagen hielt, in Anführungszeichen, sondern es wurde immer systematisch eine Repressionsstrategie gefahren. Aber ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass man also überall die Subversion vermutete und das als eine US-gesteuerten Maxime sah, die zu Putsch oder zu anderen internen Komplikationen führen könnte.
    "Er ist nicht freigekommen von seinem eigenen ideologischen Rahmen, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder"
    Müller: Und weil er politisch dann so repressiv aufgestellt war, im Grunde auch als Selbstschutz, wie auch immer definiert, Sie haben das ja gerade erklärt, war er auch dann wirtschaftlich, sozial unbelehrbar?
    Maihold: Er war, glaube ich, nicht unbelehrbar. Er hat ja, wie dann die Sowjetunion als wirtschaftliche Unterstützung für Kuba zusammenbrach, diese Sonderperiode der Wirtschaft ausgerufen, die eigentlich eine Überlebensphase des Regimes war, um sich neu zu orientieren und eine gewisse Wirtschaftsöffnung gemacht, aber in dem Maße, in dem das dann überwunden worden ist, hat er das wieder zurückgenommen. Also er ist letztlich nicht freigekommen von seinem eigenen ideologischen Rahmen, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, der da sozusagen klar die Zeichen der Zeit erkannte und gesagt hat, wir müssen eine offenere Art des wirtschaftlichen Umgangs führen, um nicht systematisch immer wieder neu in die Bredouille zu geraten.
    Müller: Jetzt haben ja viele Beobachter gerade zu diesem Punkt, Herr Maihold, gesagt, na ja, wenn Raúl das versucht hat, zu initiieren und ja auch umzusetzen – in Teilen ist das ja offenbar auch gelungen, diese Öffnung, ganz zu schweigen jetzt von der Annäherung gegenüber den Vereinigten Staaten, gegenüber Washington –, dann muss Fidel Castro das letztendlich im Hintergrund auch alles goutiert haben, alles unterstützt haben. Ist das so?
    Maihold: Er hat es letztlich mit ertragen, würde ich mal sagen. Er hat relativ bald erkannt nach seiner Erkrankung, dass er jetzt nur noch ein Kommentarist der Ereignisse ist und als Symbolfigur ab und zu auf die Bühne geholt wird, wenn wichtige Staatschefs kommen oder wenn er für die Ideologie des Systems benutzt wurde. Aber letztlich konnten seine "reflexiones", die er da in der Parteizeitung "Granma" veröffentlichte, nur noch sozusagen eine gewisse Vergangenheit repräsentieren. Es waren immer Stimmen der ideologischen, traditionellen Positionen, die haben aber für die Praxis des Regierens sehr begrenzte Wirkung gehabt.
    Müller: Wollen wir vielleicht zum Schluss, Herr Maihold, noch etwas pathetisch werden, großhistorisch werden, insoweit das möglich ist: Ist mit Fidel Castro auch eine längst vergangene große Zeit – wie auch immer in den Einzelheiten definiert – jetzt definitiv zu Ende gegangen?
    Maihold: Ich glaube schon. Er ist sicherlich einer der letzten Vertreter des Kalten Kriegs in seiner traditionellen Prägung, und es ist, glaube ich, Teil der Tragik von Fidel Castro, dass er sich eigentlich selber überlebt hat.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben, Ihnen noch einen schönen Tag!
    Maihold: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.