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Fieberthermometer im Permafrost

Umwelt. - Fast die Hälfte Russlands und große Teile der Polargebiete bestehen aus permanent gefrorenen Böden, in denen große Mengen organischen Materials gespeichert sind. Weil durch gestiegene Temperaturen der Permafrostboden auftaut, untersuchen Wissenschaftler, welche Verbindungen in welchen Mengen freigesetzt werden könnten.

Von Monika Seynsche | 30.06.2008
    Das Büro im vierten Stock ist schmal und vollgestellt mit Kisten und Expeditionskoffern. Vladimir Romanovsky sitzt an seinem Schreibtisch und lächelt entschuldigend, als das Telefon klingelt. Es ist der dritte Anruf innerhalb von zehn Minuten. In wenigen Stunden werden die letzten Kisten abgeholt und zum Flughafen gebracht. Der Geophysiker von der Universität von Alaska in Fairbanks zieht eine von ihnen heran und greift hinein. Er holt eine blaue Tasche heraus, öffnet sie und zeigt ein Maßband, das denen verdächtig ähnelt, die Lehrer auf dem Sportplatz benutzen. Aus einer anderen Kiste hat er einen schmalen Metallzylinder hervorgekramt und hängt ihn an die Spitze des Maßbands. Das sei im Prinzip auch schon alles, was er für seine Arbeite brauche, sagt er.

    "Wir haken diesen Temperaturfühler mit einem Datensammler zusammen hier an das Maßband und lassen es dann in unsere Bohrlöcher hinab. Nach ein, zwei Metern stoppen wir, messen die Temperatur und senken es dann weiter ab, immer tiefer und tiefer. Auf diese Weise bekommen wir ein Temperaturprofil des Permafrostbodens."

    Vladimir Romanovsky und seine Kollegen haben ein ehrgeiziges Ziel: Sie wollen zum ersten Mal überhaupt eine Bestandaufnahme der Temperaturen in allen Permafrostböden der Erde erstellen, um zu sehen, wie das wärmer werdende Klima die Dauerfrostböden beeinflusst. Dafür brauchen sie überall in den Polargebieten schmale Bohrlöcher, in die sie ihre Maßbänder und Temperaturfühler hinab senken können. Einige davon sind schon gebohrt, teilweise vor Jahrzehnten, aber viele sind mittlerweile unbrauchbar oder müssen ganz neu gebohrt werden. Um den enormen Aufwand bewältigen zu können, haben die Forscher ihre Arbeit aufgeteilt. Ihre Gruppe sei für Alaska, Russland und die Mongolei zuständig. Am nächsten Tag wird Vladimir Romanovsky nach Russland fliegen, um mit den ersten Messungen zu beginnen.

    "Ich werde einige Orte in Russland aufsuchen. Zuerst Westsibirien, südlich der Yamal Halbinsel, um dort Messungen zu machen und dann geht es zurück nach Moskau und von dort nach Ostsibirien, da arbeiten wir dann mit unseren Kollegen vom Permafrost Institut Yakutsk zusammen."

    Das war im Juli 2007. Elf Monate später ist Vladimir Romanovsky zurück in Fairbainks und er und seine Kollegen haben die ersten Daten aus Russland ausgewertet. Diesmal ist der Forscher nur telefonisch erreichbar.

    "Die Permafrostböden sind deutlich wärmer geworden. In einigen Regionen um bis zu drei Grad und an den meisten anderen Stellen um ein bis zwei Grad."

    Und das innerhalb der vergangenen 20 bis 30 Jahre, also seit in dieser Region Permafrosttemperaturen untersucht werden. Besonders dramatisch seien die Veränderungen in Westsibirien und im nordeuropäischen Teil Russlands. Verantwortlich dafür seien in erster Linie die steigenden Lufttemperaturen.

    "Aber gerade in Westsibirien haben auch die Niederschläge im Winter zugenommen und es fällt immer mehr Schnee. Und Schnee isoliert sehr gut, er hält die Böden im Winter warm."

    Diesen Sommer werden die Geophysiker wieder hinausfahren, um neue Löcher in den Boden zu bohren und ihre Temperaturfühler in die Tiefe zu lassen. In vielen Teilen der Polargebiete wird dann zum ersten Mal die Temperatur des Permafrosts gemessen. Nur so lässt sich in Jahren oder Jahrzehnten feststellen, wie sich der Permafrost verändert hat.