Die FIFA gelte spätestens seit den Festnahmen hoher Funktionäre als schlechte Gesellschaft, in die man nicht geraten wolle, sagte der Sportphilosoph Gunter Gebauer. Die Sponsoren hätten Sorge, dass auch ihre Marken etwas von dem Schatten abbekommen könnten. Deshalb hätten am ehesten sie die Chance, Druck auf die FIFA auszuüben, damit sich an den korrupten Strukturen innerhalb des Fußball-Weltverbands etwas ändere. Die Sponsoren seien in der unangenehmen Lage, "dass sie sich verbunden haben mit einem Verband, der als kriminelle Vereinigung dargestellt wird", so Gebauer.
Der Sportphilosoph wertet es als Zeichen von Schwäche, dass die UEFA nun doch nicht - wie zunächst angekündigt - den FIFA-Kongress in Zürich boykottiert. Das liege auch daran, dass beispielsweise Russland gar nicht gegen die Korruption innerhalb der FIFA vorgehen wollte, weil es selbst von den korrupten Strukturen profitiert habe. Auch UEFA-Präsident Michel Platini sitze im Glashaus, da er seinen Sohn als Berater für die Weltmeisterschaft in Katar untergebracht habe. "Es wäre gut, wenn die UEFA sich von Platini trennen würde", sagte Gebauer. Der Verband habe allerdings - ähnlich wie die FIFA - keinen Plan B.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Gefühlt ist Joseph Blatter seit Beginn aller Zeiten FIFA-Präsident. Heute nachmittag will sich der 79-jährige Schweizer wieder zum Chef des Weltfußballverbands wählen lassen, nur zwei Tage, nachdem sieben Spitzenfunktionäre, auch engste Vertraute Blatters, in Zürich festgenommen wurden. Das FBI und die Schweizer Behörden ermitteln wegen Korruption, Geldwäsche und organisierter Kriminalität. Doch Blatter tut so, als habe er mit all dem nichts zu tun.
Christine Heuer: Gefühlt ist Joseph Blatter seit Beginn aller Zeiten FIFA-Präsident. Heute nachmittag will sich der 79-jährige Schweizer wieder zum Chef des Weltfußballverbands wählen lassen, nur zwei Tage, nachdem sieben Spitzenfunktionäre, auch engste Vertraute Blatters, in Zürich festgenommen wurden. Das FBI und die Schweizer Behörden ermitteln wegen Korruption, Geldwäsche und organisierter Kriminalität. Doch Blatter tut so, als habe er mit all dem nichts zu tun.
Und am Telefon ist Gunter Gebauer, Sportphilosoph an der FU Berlin. Guten Tag, Herr Gebauer!
Gunter Gebauer: Guten Tag, Frau Heuer!
"FIFA-Vizepräsidenten als Verbrecher bezeichnet"
Heuer: Joseph Blatter hat in seiner Rede davor gewarnt, die FIFA in den Dreck zu ziehen. Wer tut denn so was?
Gebauer: Ja, das tut vor allen Dingen die amerikanische Justizministerin, indem sie sagt, die FIFA sei eine kriminelle Vereinigung. Und zwei Vizepräsidenten wurden als Verbrecher von ihr bezeichnet. Das ist jetzt ein Dreck, in den sich diese Beschuldigten ja selbst getan haben.
Heuer: Also, da kommt keiner von außen und redet die FIFA schlecht?
Gebauer: Nein. Es wird einfach festgestellt, hier sind Gesetze gebrochen, und zwar schwerwiegender Art, und zwar gerade solche, die von amerikanischen Behörden, Finanzbehörden, Justizbehörden schärfstenst verfolgt werden, das weiß man. Das geschieht ja auch mit Verbrechern innerhalb der USA. Es fing an mit dem Prozess gegen Al Capone, der ja nicht wegen Morden und so weiter verurteilt worden ist, sondern wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis gekommen ist. Wir haben dasselbe Prinzip hier bei diesem mafiösen Verband. Und er wird zum ersten Mal von einer namhaften Politikerin, einer Großmacht, als ein Verbrecherhaufen bezeichnet.
Heuer: Joseph Blatter hat nun angekündigt, er will nach vorne schauen und nicht so viel zurück, und dann möchte er auch aufräumen. Glauben Sie das?
Gebauer: Nein, das kann er ja gar nicht. Er hat ja dieses Patronagesystem selbst eingeführt. Das heißt, er verteilt Geld, es ist eine Riesensumme zur Verfügung gestellt worden, sodass jeder nationale Verband mindestens 1,2 Millionen erhält, was natürlich für die Großverbände gar nichts ist, aber für die kleinen Verbände eine ganze Menge, zumal das ein Geldfluss ist, der nicht kontrolliert wird. Das heißt, der kann direkt in die Tasche eines Präsidenten geleitet werden.
Heuer: Die UEFA hat laut über einen Wahlboykott nachgedacht heute, dann hat sie aber einen Rückzieher gemacht. Wie finden Sie das?
Gebauer: Schlecht. Ich finde, das ist ein Zeichen von Schwäche. Das heißt, zunächst einmal haben sich die Europäer unter Platini aufgeplustert und gesagt, wir sind die Wichtigen. Was im Übrigen stimmt. Der Weltfußball hat sein Zentrum im Augenblick, was die Qualität, das Geld, die Macht, auch symbolische Macht angeht, in Europa, hier spielen die besten Spieler der Welt, hier sind die größten Ligen, hier wird das meiste Geld gemacht. Aber er hat nichts daraus gemacht.
Er hat im Grunde genommen hier schon lange seine Chance verpasst. Wenn man etwas hätte verändern wollen gegenüber der FIFA, dann hätte Platini schon vor einem Jahr oder vor zwei Jahren seine Kandidatur erklären müssen. Das hat er nicht getan. Und vermutlich aus Schwäche.
"Platini selbst sitzt im Glashaus"
Heuer: Ja, nur Schwäche? Also, man fragt sich ja, wer in der UEFA eigentlich verhindert, dass da mal alle aufstehen und sagen, so geht es nicht weiter!
Gebauer: Das ist doch ein europäisches Phänomen! Da gibt es natürlich auch Landesverbände, die keinerlei Lust haben, dagegen anzugehen. Also, die Russen zum Beispiel und ihre Alliierten, diejenigen, die bis jetzt auch davon profitiert haben. Es sind ja nicht alles Verbände dort in der UEFA, die ein hohes Maß an Sensibilität gegenüber Korruption und sonstigen Finanzverbrechen haben, da gibt es ja auch noch einige Mitglieder am östlichen Rand, die durchaus gewohnt sind, dass man so etwas macht. Und die kriegt Platini nicht mit.
Außerdem muss man sagen, Platini selber sitzt im Glashaus. Er hat seinen Sohn im Emirat Katar als Berater untergebracht, er hat den Emir von Katar mit Sarkozy zusammengebracht, es sind erhebliche Finanzdeals großen Stils in Paris getätigt worden, da stand er sozusagen als Pate im Hintergrund. Also, die Figur Platinis ist zumindest in Düsternis getaucht.
Heuer: Aber dann müsste sich die UEFA ja von Platini trennen?
Gebauer: Ja, das wäre ganz gut. Die Frage ist nur immer: Hat die UEFA oder hat die FIFA, beide, haben die einen Plan B? Und wenn man schaut, was ist der Plan B, Prinz Ali ist nicht wirklich ein Plan B, das ist ein bislang unbeschriebenes Blatt, das ist ein junger Prinz, der Bruder des jordanischen Throninhabers, von dem man auch nicht so furchtbar viel weiß, der auch im Fußball bis jetzt keine Rolle gespielt hat.
Wieso sollte man annehmen, dass der von heute auf morgen den größten Sportverband der Welt leiten kann, der natürlich diese ganzen Strukturen immer noch schön geschmiert beibehalten hat? Dasselbe in der UEFA. Wer sollte kommen? Es gibt Leute, die in der Lage gewesen wären vielleicht, aber die sich nicht melden. Zum Beispiel zu seiner guten Zeit Herr Zwanziger, Wolfgang Niersbach, eventuell Rummenigge, es gibt ja auch in Deutschland ein paar tüchtige Funktionäre. Nein, die haben alle abgewunken und gesagt ...
Heuer: Aber warum? Warum?
Gebauer: Weil Platini alles fest in der Hand hat. Ich glaube, die deutschen Machtpositionen sind sehr gering, schon weil man in Deutschland eine hohe Sensibilität gegenüber Korruption hat und auch nicht bereit ist, überall mitzuspielen.
Heuer: Und da möchte man bei der FIFA und bei der UEFA lieber nicht an vorderster Front mitmachen?
Gebauer: Nein, man möchte etwas erreichen, Rummenigge und der FC Bayern haben versucht, so etwas wie ein Financial Fairplay einzurichten, das heißt, eine Kappungsgrenze für die Bezahlung von Spielern und Transfers und so weiter, das hat Platini unterlaufen, und natürlich mit großer Zustimmung der Verbände, die unmäßig viel Geld ausgeben, sprich der englischen Verbände, der spanischen, der italienischen Liga und so weiter. Das heißt also, was aus Deutschland an Anregung kommt für Veränderung, wird einfach nicht umgesetzt.
"So korrupt wie die FIFA kann die UEFA gar nicht sein"
Heuer: Wenn ich Ihnen so zuhöre, Herr Gebauer, habe ich den Eindruck, die FIFA ist sehr korrupt, die UEFA ist aber immer noch korrupt genug! Sind die im Grunde alle gleich?
Gebauer: Nein, es gibt Unterschiede. Ich meine, die UEFA ist weiß Gott nicht so weit verbreitet wie die FIFA, so korrupt kann sie gar nicht sein. Aber sie ist eben auch nicht der große Saubermann und an der Spitze steht auch nicht ein entschlossener Verbandspräsident, der in der Lage wäre, den Weltfußball wieder in die Spur zu bringen, in die er gehört.
Heuer: Sie haben Wolfgang Niersbach schon angesprochen, genannt, den DFB-Präsidenten, der wird heute in die FIFA-Führung berufen. Was kann er da ausrichten? Kann er überhaupt etwas ausrichten an dieser Stelle?
Gebauer: Ja, er wird wahrscheinlich sagen, dass er hinter verschlossenen Türen gewaltige Reden schwingen wird und auf Sauberkeit achten wird und so weiter. Da hat er einen großen Verbündeten, das ist Blatter, der will das ja auch. Also, ich sehe jetzt nicht, dass Wolfgang Niersbach irgendwie besonders viel Neues bringen wird. Niersbach ist ja auch ein ehemaliger Funktionär, der sozusagen eine Karriere gemacht hat als Pressesprecher, vorher auch bei Sport-Medien untergebracht. Also, jemand, der immer auch mit im System war, der jetzt nicht unbedingt der Korruption natürlich verdächtig ist, aber der jetzt auch nicht als der große Aufräumer, Saubermann und sozusagen der Lichtblick des Weltfußballs ist.
"Es dürfte erhebliche Einbußen für Sponsoren geben"
Heuer: So, aber wer kann denn die FIFA unter Joseph Blatter verändern, wer kann mit der Korruption dort aufräumen? Das FBI, die Sponsoren, die Fans? Wer hat eine Chance, dieses Willkürregime zu beenden?
Gebauer: Ich glaube, am ehesten noch die Sponsoren. Die Sponsoren sind im Moment in der unangenehmen Lage, dass sie sich verbunden haben mit einem Verband, der als kriminelle Vereinigung dargestellt wird. Ich nehme mal an, dass jetzt nicht unbedingt die Spitzen der Politik in der Welt sich mit Blatter verbünden werden, wie das bis jetzt immer der Fall war, bei Endspielen um die WM und so weiter, sondern dass jetzt das sozusagen eine schlechte Gesellschaft ist, in die man nicht gerne geraten möchte.
Und dann könnte es ja sein, dass die Marke, die wirbt mit der FIFA, auch etwas von diesem Schatten abbekommt. Das dürfte erhebliche Einbußen geben, und möglicherweise kann über die Sponsorengruppe einiges bewirkt werden, sodass zumindest einige neue Leitlinien in die FIFA eingeführt werden. Es ist versucht worden, mit dem Staatsanwalt Garcia aus den USA, mit dem Richter Eckert aus Deutschland, das ist schiefgelaufen. Da gab es zwar eine Untersuchung, aber Garcia konnte seinen Bericht nicht veröffentlichen, der ist auf Eis gelegt worden.
Also, das waren Ansätze, die, soweit ich weiß, unter Anregung von Herrn Zwanziger mal zustande gekommen sind, jedenfalls brüstet er sich damit. Das scheint mir ein guter Ansatz gewesen zu sein. Blatter hat auch zugestimmt. Aber Sie sehen, dieser Ansatz, der eigentlich gut gedacht war, bleibt in der Hälfte stecken und kommt nicht zum Ziel.
Heuer: Kann es sein, dass sich das in den nächsten Jahren ändert? Haben Sie da eine Prognose, wie schnell so was gehen kann?
"Ein Gift in das Ohr der Öffentlichkeit geträufelt worden"
Gebauer: Ich denke, Blatter kann so nicht weitermachen. Jetzt ist ja geradezu ein Gift in das Ohr der Öffentlichkeit geträufelt worden, um mal ein klassisches Beispiel zu zitieren. Das heißt, man wird jetzt immer, wenn man FIFA hört, immer mitdenken: kriminelle Vereinigung. Und das kann sich so ein Club auf Dauer auch nicht leisten. Das heißt, die beschädigen permanent ihre Marke.
Und da es ständig darum geht, dass man Geld generieren will ... Es geht ja nur in zweiter Linie um Sport, der funktioniert ja unabhängig von der FIFA zum großen Teil. Dass der Fußball im Augenblick seine Blütezeit erlebt, liegt ja nicht an der FIFA, das liegt daran, dass wir so gute Spieler haben, dass die Vereine ausgezeichnet sind, hervorragende Trainer dabei sind. Da hat die FIFA eigentlich gar nichts damit zu tun.
Heuer: Der Sportphilosoph Gunter Gebauer im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Gebauer, vielen Dank dafür!
Gebauer: Ja, gerne!
Heuer: Wiederhören!
Gebauer: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.