Dem internationalen Fußball gehe es jetzt nicht besser, nur weil FIFA-Präsident Sepp Blatter zurückgetreten sei, sagte der Vorstandsvorsitzende von Eintracht Frankfurt, Heribert Bruchhagen, im DLF. Der Fußball hänge nicht von einer Person ab. Aber Blatter habe gespürt, dass er nicht mehr den vollen Rückhalt der Fußballgemeinschaft habe. Ein Rücktritt sei überfällig gewesen. Auch der Druck der Europäer habe zum Rücktritt von Blatter beigetragen.
Bruchhagen sprach sich dafür aus, an der WM 2018 in Russland festzuhalten. Russland sei eine große Fußballnation "und da gehört eine Weltmeisterschaft auch hin", sagte Bruchhagen. Bei der WM in Katar habe er große Zweifel, "dass das ein Erfolg wird". "Die Entscheidung war falsch, aber sie ist getroffen worden."
Das Interview in voller Länge:.
Dirk Müller: Kann das wirklich stimmen, ist das wirklich wahr, als erste Meldungen gestern Abend und Andeutungen im Internet zu lesen waren, Sepp Blatter geht, der Schweizer hört auf, er kündigt seinen Rücktritt an? Genau so ist es!
Eine Zeitenwende im Fußball sehen bereits zahlreiche Kommentatoren an diesem Morgen, nachdem Sepp Blatter angekündigt hat zu gehen, den Posten des FIFA-Chefs frei zu machen, wenn auch noch nicht de facto sofort, und das vier Tage nach seiner so umstrittenen Wiederwahl. - Am Telefon ist nun Heribert Bruchhagen, Sportvorstand von Eintracht Frankfurt und auch Mitglied im DFB-Vorstand. Guten Morgen!
Heribert Bruchhagen: Guten Morgen! Ich grüße Sie und die Hörer.
Müller: Herr Bruchhagen, geht es dem internationalen Fußball jetzt schon besser?
Bruchhagen: Nein, es kann ihm ja gar nicht besser gehen, denn es ist doch nicht von einer Person abhängig, wie eine Organisation strukturiert ist. Die FIFA ist lange so gewachsen, sie ist mit der Mentalität vieler Nationen und vieler Kontinente gewachsen. Sepp Blatter war vom Generalsekretär bis zum Präsidenten, hat alles mit durchlaufen und er kannte seine eigenen Strukturen und er wusste damit umzugehen. Es ist auch schwierig, ein globales Unternehmen in dieser Größenordnung zu leiten, und jeder, der schon mal in Südamerika einen Transfer gemacht hat, wenn ich jetzt von meinem Fußball-Geschäft rede, der weiß, dass dort sehr unkonventionell und sehr an einen Patron gebunden gehandelt wird und dass dort eine ganz andere Vorstellung von Vorgängen in Sachen mit Geld herrscht, als es bei uns in Europa ist.
Müller: Herr Bruchhagen, wir haben heute Morgen gehört und gelesen, aufatmen, Erleichterung, endlich, überfällig. Bei Ihnen höre ich das kaum raus.
"Er musste um sein System wissen"
Bruchhagen: Nein! Blatter musste längst zurücktreten. Blatter musste wissen, dass seine Organisation korrupt ist. Ich kenne ihn lange und ich weiß, dass er sehr wohlhabend ist, und ich glaube, dass er diese Art der Korruption überhaupt nicht nötig hatte. Aber er musste um sein System wissen, und wer seinen Laden, wie es sich darstellt, so schlecht im Griff hat, der hat es nicht verdient, an der Spitze zu stehen, und er hätte längst zurücktreten müssen, um sich selbst einen Gefallen zu tun.
Müller: Ich möchte das so noch mal formulieren. Viele Medien haben ja geschrieben, zumindest das System Blatter ist korrupt. Das hat der "Spiegel" auch auf seinem Titel gehabt. Ich frage Sie jetzt noch einmal direkt: Ist Sepp Blatter korrupt?
Bruchhagen: Nein. Wenn man ihn kennt und wenn man sein Engagement sieht, dann nein. Aber der "Spiegel" hat es richtig geschrieben: das System. Wenn ich einen Laden führe, wenn ich bei Eintracht Frankfurt weiß, dass im Bereichsleiter-Bereich oder im Direktorenbereich unter mir Missstände bestehen, dass die korrupt sind, dann muss ich entweder für einen Selbstreinigungsprozess sorgen, oder ich muss die handelnden Personen sofort und strikt entlassen. Und wenn ich das über Jahre hinweg mit dem Vorwurf lebe und ich schaffe keine Veränderung, dann muss ich erkennen, dass dieser Laden in seiner Struktur ja gar keine Veränderung zugelassen hat, und wenn ich, um mich selbst an der Spitze zu halten, diese Strukturen weiterhin akzeptiere, dann bin ich nicht der richtige Mann, und das ist ihm auch schon vor Jahren von allen auch immer wieder gesagt worden, dass hier unbedingt eine Reform kommen musste.
Müller: Wusste Wolfgang Niersbach, DFB-Chef, dass das System Blatter korrupt ist?
Bruchhagen: Noch einmal bitte die Frage?
"Zwischen Vorwürfen und Beweisen, da ist eine lange Strecke"
Müller: Wusste Wolfgang Niersbach, dass das System Blatter korrupt ist?
Bruchhagen: Wusste, wusste, wusste. - Wolfgang Niersbach ist ja jetzt gerade erst in die FIFA eingetreten. Wenn man an Tognoni und viele Vorgänge denkt, an die Vermarktungsgesellschaft der IFL, wenn Sie sich erinnern, all dort sind diese Vorwürfe des korrupten Systems immer schon gemacht worden. Aber zwischen lesen, wissen, ahnen und auch Beweise anzutreten, das ist ein weiter Weg. Wolfgang Niersbach, aber auch Theo Zwanziger sind als Europäer in diesem Gremium natürlich immer auch ein bisschen Außenseiter gewesen.
Müller: Sie sagen, die sind deutlich genug gewesen, auch in der Öffentlichkeit, haben das angeprangert, haben das gegenüber Sepp Blatter auch deutlich genug gemacht.
Bruchhagen: Wenn Sie von Thomas Kistner die Veröffentlichung lesen, das Buch lesen über Korruption im Fußball, da ist schon ganz klar und auch handfest über mafiöse Strukturen gesprochen worden. Neu sind die Vorwürfe nicht, aber zwischen Vorwürfen und Beweisen, da ist eine lange Strecke, sage ich mal.
Müller: Herr Bruchhagen, meine Frage war ja, ob Wolfgang Niersbach wie auch Zwanziger, ob die beiden deutlich genug waren gegenüber diesem Phänomen, gegenüber Sepp Blatter.
"Das Volk des Fußballs wollte ihn einfach nicht mehr"
Bruchhagen: Die Aussage von Platini, "Sepp, tritt zurück!", ist doch auch mit das Werk von Wolfgang Niersbach. Er und Platini sind doch sehr eng und die Europäer wollten auch keine weitere Zeit von Blatter. Aber man muss doch immer genau abwägen zwischen radikalem kompromisslosem Vorgehen und pragmatischem Vorgehen im Fußball. Man macht es sich auch immer sehr einfach und sagt, ja man hätte doch, man hätte doch.
Müller: Nein, ich frage Sie ja. Wir wollen es nicht einfach machen. Ich frage Sie.
Bruchhagen: Ich glaube, dass diese Art von Druck, den die Europäer gemacht haben und auch Wolfgang Niersbach, auch jetzt zum Rücktritt von Blatter geführt hat, dass er erst einmal diese Wahl hinter sich bringen wollte, gewählt werden wollte, aber dass er wusste - und das hat er ja auch gesagt -, dass er keine Anerkennung mehr hatte, dass er nicht mehr von Fußballern gestützt wird, dass er nicht mehr von Verbänden gestützt wird, dass das Volk des Fußballs ihn einfach nicht mehr wollte, weil es spürte, dass das ganze System korrupt ist.
Müller: Das wusste er ja auch vor fünf Tagen. Einige hatten das ja auch schon ganz klar angedeutet. - Ich möchte noch mal auf 2006 blicken. Da ist in den vergangenen Tagen häufig argumentiert worden, dass der Druck nicht so stark und so konsequent ausfallen kann, auch von deutscher Seite, weil Sepp Blatter immer damit gedroht haben soll, dann erzähle ich, wie 2006 in Deutschland die Fußball-WM zustande gekommen ist. Könnte da was dran sein?
"Irgendwo muss ja gespielt werden"
Bruchhagen: Das weiß ich nicht. Das ist eine Spekulation, da sollte man sehr zurückhaltend damit sein. Man kann ja vieles mutmaßen, aber daran möchte ich mich überhaupt nicht beteiligen, denn das wäre ja absurd. Wie sollte man denn dann überhaupt noch irgendwo an ein Land eine WM vergeben? Irgendwo muss ja gespielt werden, und wenn jetzt jeder unter Generalverdacht steht, der den Zuschlag für eine WM bekommt, ja dann weiß ich nicht, wie es funktionieren soll.
Müller: Es gibt ja den einen oder anderen Hinweis von Delegierten, die plötzlich die Versammlung verlassen haben. Aber das System FIFA, wie Sie es eben beschrieben haben, korrupt, hat ja damals auch schon gegriffen und Deutschland den Zuschlag gegeben.
Bruchhagen: Ich weiß nicht, worauf Sie in Ihrer Fragestellung hinaus wollen. Wenn Sie andeuten wollen, dass die Vergabe an Deutschland unter ähnlichen mafiösen Strukturen stattgefunden hat, dann kann ich nur sagen, das glauben Sie doch wohl selbst nicht.
Müller: Sie glauben das nicht? Das ist ja meine Frage.
Bruchhagen: Nein, absolut nicht.
Müller: Gut. - WM 2018, 2022, wird da noch etwas passieren, wird sich da was ändern?
"Katar war falsch"
Bruchhagen: Das ist gar nicht so einfach. Sie stellen mir hier Fragen, die meinen Horizont total überschreiten. Aber ich kann mir vorstellen, 2018 ist doch gar nicht mehr so einfach, da irgendetwas zu ändern oder einem anderen Land den Zuschlag zu geben. Ich bin davon überzeugt, dass das stattfindet. Die Vorbereitungen, die verschiedensten Rechte, die vergeben worden sind, die Schadensersatzforderungen, falls man das nicht machen würde, die sind so immens, dass ich da an eine Veränderung nicht glaube. Ich halte es auch für angebracht, in Russland zu spielen. Russland ist eine große Fußballnation und sie hat allemal den Zuschlag einer solchen Veranstaltung verdient.
Müller: Sie sagen, daran sollen wir auf jeden Fall festhalten?
Bruchhagen: Katar, da mache ich einen Riesen-Unterschied. Russland ist, wie ich sagte, eine große Fußballnation. Dort spricht überhaupt nichts dagegen und da gehört eine Weltmeisterschaft auch hin, allein von der Fußballvergangenheit. Katar mit den extrem klimatischen Bedingungen, da habe ich große Zweifel, ob das ein großer Erfolg wird, diese Veranstaltung. Aber noch einmal: Es ist immer leicht gesagt zu fordern, das muss weggenommen werden, das muss verändert werden, aber der Hintergrund, was das organisatorisch bedeutet und welche Logistik dahinter steckt, der erschließt sich doch nicht jedem, der das sehr kritisch sieht. Die Entscheidung war falsch, Katar war falsch, aber sie ist getroffen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk danke an Heribert Bruchhagen, Sportvorstand von Eintracht Frankfurt und Mitglied im DFB-Vorstand. Herr Bruchhagen, vielen Dank, dass Sie so früh und auch so spontan für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
Bruchhagen: Ja, Ihnen auch. Tschüss!
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