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FIFA-Kongress
"Infantino auf dem absteigenden Ast"

Der FIFA-Kongress trat vor allem durch den Auftritt der norwegischen Verbandspräsidentin in Erscheinung, die die WM in Katar kritisierte. Gianni Infantinos Ankündigung, erneut als Präsident anzutreten, wurde wenig beachtet - auch von den Delegierten, meint Sportpolitik-Experte Thomas Kistner.

Thomas Kistner im Gespräch mit Astrid Rawohl |
Portrait von FIFA-Präsidenten Gianni Infantino, der sich nachdenklich an den Mund fasst
FIFA-Präsident Gianni Infantino während des Jahrestreffens der UEFA (picture alliance / ANP | ROBIN VAN LONKHUIJSEN)
„Es hat nur spärlich Applaus gerieselt“, sagt Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung über die Kandidatur-Ankündigung von Gianni Infantino für die kommende Periode als FIFA-Präsident (ab 2024). Der geringe Applaus sei durchaus ungewöhnlich, Infantino nach vielen Problemen und Skandalen in seiner Amtszeit seit 2015 auf dem absteigenden Ast, meint Kistner. Infantinos fehlende Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Katar ist für ihn wenig verwunderlich:
"Wer sich in Autokratien so wohlfühlt wie Infantino, der Autokrat an der Weltfußball-Spitze, der hat natürlich keine objektive Wahrnehmung für Erkenntnisse und Vorhaltungen von NGOs wie Amnesty International und hat vor allem kein Interesse, die Gunst des Emirs zu verlieren, der ihn und die Familie ja in seinem Land beherbergt."

"Niemand hat sich an russischen Delegierten gestört"

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei beim FIFA-Kongress nur wenig im Fokus gewesen. Für viele Vertreter aus entfernten Ländern oder Staaten, die selbst autokratisch regiert würden, sei das anders als im Westen kein Thema:
"Es hat sich insofern auch niemand daran gestört, zumindest nicht offen, dass der russische Verband nicht einmal suspendiert worden ist und dessen Delegierte munter zwischen ihnen im Saal saßen, während zugleich der Verbandschef aus der Ukraine nur per Video zugeschaltet wurde, wo er dann in kugelsicherer Weste eine emotionale Botschaft verkündet hat. Aber auch die hat nicht verfangen."

Norwegen deutlich, DFB "Duckmäuser"

In Sachen Katar hatte die norwegische Verbandspräsidentin  Lise Klaveness sehr deutliche Wort gefunden. Vom DFB sei dagegen wenig gekommen, meint Kistner:
"Der DFB ist sich treu geblieben und hat wie üblich, den stillen Zaungast gespielt. Auch von Neuendorf war nichts zu vernehmen. Der DFB war ja, mit wenigen Ausnahmen schon immer einer der größten politischen Duckmäuser im Sport."
Bernd Neuendorf ist der Favorit bei der Wahl des neuen DFB-Präsidenten.
Bernd Neuendorf, Vorsitzender des Fußball-Verbandes Mittelrhein (FVM) und Kandidat für den Posten des DFB-Präsidenten, aufgenommen während eines Interviews. (Marius Becker/picture alliance/dpa)

"Watzke und Neuendorf zu UEFA und FIFA"

Der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf wird nach Kistners Einschätzung noch in diesem Jahr eine größere Rolle in der FIFA bekommen, weil Rainer Koch keinen Rückhalt im DFB mehr hat. In der UEFA sollte dann aus dem gleichen Grund Hans-Joachim Watzke auf Peter Peters folgen. Kistner meint:
"Watzke aus Dortmund ist sicher ein schwereres Kaliber. Ob Neuendorf die Ränkespiele der internationalen Sportpolitik so rasch durchschauen wird, bleibt abzuwarten. Aber Kummer ist man diesbezüglich in Deutschland ja gewohnt."