Die FIFA sei mit der Suspendierung von Sepp Blatter und Michel Platini, der bislang als möglicher Nachfolger Blatters gehandelt wurde, an einem Tiefpunkt angelangt, sagte der frühere FIFA-Mediendirektor Guido Tognoni im DLF. Er gilt als scharfer Kritiker des Weltverbandes. Ob die beiden Fußballfunktionäre endgültig am Ende seien, könne man noch nicht sagen. Die Suspendierung gelte ja vorerst nur für 90 Tage und könne noch einmal um 45 Tage verlängert werden. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass die Ethikkommission ausgerechnet an Blatter und Platini "Sandkastenübungen" mache.
Wie es mit der FIFA weitergehe, sei noch unklar, sagte Tognoni. "Wir wissen nicht, wie sie in einem halben Jahr dasteht." Leute, die unbelastet seien, müsse man mit der Lupe suchen. Eine Mitschuld hätten auch die großen Fußballverbände wie der DFB, sagte Tognoni. Sie hätten nur zugeguckt. Besonders der Deutsche Fußballbund als Weltmeister-Verband müsse jetzt mehr tun, "seiner Leitfunktion" gerecht werden und andere Verbände wie den englischen, den niederländischen oder den schwedischen um sich scharen. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sei zwar kein Politiker, aber "er hat es in der Hand, er kann noch mehr tun".
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Wir wissen nicht, ob die Mafia auch über eine Ethikkommission verfügt. Wenn nicht, dann würde sich der Fußballweltverband in diesem Punkt vom organisierten Verbrechen unterscheiden, jedenfalls aus der Perspektive von US-Ermittlern, die die FIFA ja mit der Mafia vergleichen. Gestern hat die Ethikkommission den Bann über Sepp Blatter und seinen bis dato möglichen Nachfolger Michel Platini verkündet. 90 Tage dürfen sich die beiden bei der FIFA nicht mehr blicken lassen. Und ob es danach Vergebung gibt, ist unklar. Zürich ist ja nicht Canossa. Beide haben Einspruch eingelegt. Der europäische Fußballverband meint sogar, Platini könnte als UEFA-Chef weiterarbeiten. Im FIFA-Skandal, das noch mal kurz zur Erinnerung, geht es um organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Überweisungsbetrug zum Zweck millionenschwerer Bestechungsprogramme. Blatter selbst wird dann noch vorgeworfen, im Jahr 2011 an Platini zwei Millionen Franken zulasten des Weltfußballverbandes geleistet zu haben. Wofür oder wofür nicht ist unklar. - Am Telefon ist jetzt Guido Tognoni, ehemaliger Mediendirektor der FIFA. Guten Morgen.
Guido Tognoni: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Tognoni, war es das für Blatter und Platini?
Tognoni: Kann man nicht ganz sagen. Es ist einfach ein unglaublicher Tiefpunkt in der Karriere von beiden, aber von Sepp Blatter vor allem. Der Mann ist jetzt wirklich am Boden, kann man sagen. Er wird vom Hof gejagt. Ob er sich nochmals in den Hof zurückwagt, das werden wir sehen, weil die Sperre, die ausgesprochen worden ist, ist ja nur provisorisch. Das heißt, die Behörde ermittelt weiter. Das ist in diesem Fall die interne Behörde. Die Ethikkommission, die ermittelt weiter. Sie hat die bisherigen Funktionäre einfach einmal vorsorglich gesperrt. Das macht man im zivilen Rechtswesen, um weiteren Schaden abzuwenden. Das zeigt, dass die Ethikkommission offenbar gute Argumente hat, um die Leute zu sperren. Ob sie nochmals kommen, wissen wir spätestens nach 90 oder allenfalls sogar nach weiteren 45 Tagen, weil um weitere 45 Tage kann die Kommission die Sperre noch verlängern.
"Schwer zu glauben, dass Platini da unbeschadet herauskommt"
Heinemann: Kann Platini als UEFA-Chef weiterarbeiten?
Tognoni: Ja das ist jetzt eine gute Spitzfindigkeit, weil die UEFA ist ja nicht Mitglied der FIFA. Aber Michel Platini ist Mitglied des Exekutivkomitees der FIFA. Wenn die Ethikkommission ihn sperrt als UEFA-Präsident, in dieser Funktion kann ihm das theoretisch egal sein. Aber wenn die Kommission ihn sperrt als Mitglied des Exekutivkomitees, dann sollte die Sperre für alles wirken. Wir bewegen uns da im Bereich der juristischen Spitzfindigkeiten. Die UEFA macht im Moment etwas auf Widerstand. Ich weiß nicht, wie ernst das gemeint ist. Wenn es sehr ernst gemeint ist, dann kann das mittelfristig sogar zu einem Bruch zwischen der FIFA und der UEFA führen.
Heinemann: Wie erklären Sie sich die Reaktion der UEFA?
Tognoni: Die UEFA hat ja schon immer Probleme mit der FIFA. Das ist historisch bedingt. Der Antagonismus, der besteht immer und der besteht weiterhin. Die UEFA kann sich sagen, ja was interessiert mich die Ethikkommission der FIFA, wir sind uns selbst, wir genügen uns selbst, wir brauchen das nicht. Das ist eine etwas autonome Auslegung der Dinge. Ich bin überrascht, dass die UEFA nicht schon früher mit Austritt gedroht hat aufgrund der Spannungen, die es immer wieder gegeben hat. Aber ich glaube, dieses Szenario, dies müssen wir ernst nehmen. Die FIFA liegt in Trümmern und wenn die UEFA sagt, was interessiert uns dieser Trümmerhaufen, wir gehen mal unseren eigenen Weg, dann wäre das jetzt mittelfristig gesehen nicht einmal so eine große Überraschung.
Heinemann: Können Sie sich vorstellen, dass der nächste FIFA-Präsident Platini heißt?
Tognoni: Ich denke, nein. Es fällt schwer zu glauben, dass er aus dieser Aktion im Moment unbeschadet herauskommt. Er hat sicher viel an Ansehen verloren. Wenn einer mit Sepp Blatter kungelt und keine glaubwürdige Erklärung vorbringen kann - und diese liegt offenbar nicht vor; sonst wäre es nicht zu dieser Sperre gekommen -, dann hat er ein ganz großes Problem. Im Moment sind die Reihen hinter Platini noch einigermaßen geschlossen, aber wir wissen ja wie das ist. Die Freunde fallen schnell einmal ab, wenn es einem schlecht geht. Ich glaube nicht. Die Frage ist jetzt einfach: Was fällt die Kommission für ein Urteil? Theoretisch ist es natürlich auch möglich, dass sie am Schluss von 45 oder von 90 Tagen sagt, ja gut, das war eigentlich alles nicht so schlimm. Aber das glaube ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ethikkommission ausgerechnet an Sepp Blatter und an Michel Platini irgendwelche Sandkastenübungen macht.
Heinemann: Ende Februar, Herr Tognoni, soll der künftige FIFA-Präsident gewählt werden, jedenfalls laut Fahrplan. Muss diese Wahl vorgezogen werden? Kann der Weltverband monatelang kopflos dastehen?
Tognoni: Die Wahl darf sicher nicht verschoben werden. Reden wir mal so. Vorziehen wird schwierig sein. Das Chaos in der FIFA ist ziemlich groß. Einen Kongress vorzubereiten, braucht doch etwas Zeit. Wenn man die Wahl vorziehen würde, gäbe es sicher wieder Einsprüche, weil das Exekutivkomitee hat nun mal dieses Datum festgelegt. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre meines Erachtens, wenn man die Wahl verschieben würde, weil dann hätte das nicht bestehende Interregnum noch länger Bestand. Das würde das Chaos noch vergrößern. Ich glaube, wir müssen froh sein, wenn die Wahl am 26. Februar stattfindet. Dann hat man doch immerhin organisatorisch etwas geleistet. Die Hoffnung besteht natürlich auch, dass man dann auch einen guten Kandidaten wählen kann.
"Ich erwarte vom DFB, dass er die Fahne hochhält"
Heinemann: Sie haben jetzt zweimal von Chaos gesprochen. Ist die FIFA überhaupt noch zu retten?
Tognoni: Eine sehr gute Frage. Die FIFA liegt in Trümmern, ich habe es schon mal gesagt. Die FIFA liegt in Agonie. Der Supermann, der die FIFA mit ein paar Handgriffen retten kann, den gibt es nicht. Von innen eine Revision zu erwarten, eine echte Reform, ist fast nicht möglich. Die Frage, wie lange die FIFA noch in dieser Form besteht, die beantworten vielleicht die schweizerische Bundesanwaltschaft und das amerikanische Justizministerium. Weil nur unter diesem Druck sind diese Geschehnisse jetzt erfolgt. Ich habe Mühe zu glauben, dass die FIFA in ein paar Monaten noch so dasteht, wie sie jetzt dasteht. Ich habe fast keine Hoffnung, dass es gute Leute gibt, welche die FIFA von innen reformieren können. Das Wichtigste wäre, dass die FIFA nun endlich mal wenigstens einen Ansprechpartner findet, der mit den Sponsoren redet, der mit den Medien glaubwürdig reden kann, der die Verbände hinter sich scharen kann, einfach einer, der eine minimale Ordnung wiederherstellt und eine minimale Glaubwürdigkeit.
Heinemann: Eine Kollegin sagte gestern, die FIFA sei so eine Art failed state. Kann man das so vergleichen? Muss sie so reformiert werden wie ein völlig chaotischer Staat?
Tognoni: Durchaus! Aber die chaotischen Staaten, die liegen dann wirklich völlig in Trümmern. Das ist bei der FIFA noch nicht der Fall. Sagen wir, die Statuten sind noch da. Ein Kongress kann noch einberufen werden. Aber wir haben auch schon in anderen ganz großen Unternehmen gesehen, in den USA zum Beispiel, dass die ganz plötzlich zerfallen, dass sie so groß und so schwerfällig und so korrupt sind und so viel Fehlverhalten an den Tag gelegt haben, dass sie nicht mehr zu retten sind. Ich hoffe, dass das bei der FIFA nicht der Fall sein wird, aber wir wissen wirklich nicht im Moment, wie die FIFA in einem halben Jahr noch dasteht.
Heinemann: Herr Tognoni, hätte der Deutsche Fußballbund, der DFB seinen Einfluss zugunsten einer halbwegs sauberen FIFA besser nutzen müssen?
Tognoni: Ja, kann man schon sagen, aber nicht nur der Deutsche Fußballbund. Auch die Engländer und ein paar andere. Es ist einfach faszinierend zu sehen, wie die großen Fußballverbände dastehen und hinschauen und gucken, wie die FIFA zerfällt. Und ich habe schon mehrfach gesagt, ich erwarte eigentlich vom Deutschen Fußballbund als Weltmeisterverband, als Gründungsverband der FIFA, dass er jetzt die Fahne hochhält, dass er ein paar gute Verbände hinter sich schart, dass er nicht wartet, bis Mosambik oder Anguila oder Westsamoa etwas macht, sondern dass der Deutsche Fußballbund seiner Leitfunktion gerecht wird, dass er die besten Verbände und die größten hinter sich schart und dass er eine Aktion startet, welche die FIFA wieder funktionsfähig macht.
"Genugtuung, dass das Regime von Blatter zu Ende geht"
Heinemann: Wie bewerten Sie die Rolle von DFB-Präsident Niersbach?
Tognoni: Wolfgang Niersbach ist ja politisch unerfahren. Nur er hat bis jetzt mindestens keinen Fehler gemacht. Das muss man ihm anrechnen. Die Politik ist ja nicht seine große Stärke, aber Niersbach hat mindestens jetzt einmal ein Zehn-Punkte-Programm veröffentlicht vor einigen Wochen. Aber es muss noch mehr kommen. Er hat es in der Hand, Kraft seines Titels Deutscher Fußballbund-Präsident. Er hat es in der Hand, die Engländer, die Holländer, die Schweden, die Amerikaner und ein paar andere hinter sich zu scharen und zu sagen, jetzt machen wir mal was wir wollen, jetzt machen wir, was wir für gut finden. Er kann noch mehr tun. Er braucht natürlich auch die Unterstützung der Liga. Es gibt ein paar tüchtige Fußballpräsidenten bei Ihnen. Man muss eine Arbeitsgruppe intern mal gründen in Deutschland, Arbeitsgruppe FIFA, und mit dieser muss man vorgehen. Wolfgang Niersbach kann das nicht alleine. Aber der Deutsche Fußballbund könnte das als Ganzes.
Heinemann: Der Präsident des Afrikanischen Fußballverbandes, Issa Hayatou, führt jetzt übergangsweise den Weltverband. Der Kameruner ist auch schon einmal gerügt worden. Kennen Sie in der FIFA irgendeinen Funktionär ohne klebrige Finger?
Tognoni: Ja, Sie sagen es. Das ist das große Problem. Man muss die Leute mit der Lupe suchen. Wir müssen Leute suchen und finden, die nicht anfechtbar sind. Innerhalb der FIFA kommt mir auf die Schnelle gar keiner in den Sinn. Und es kann nicht sein, dass man wieder einen Präsidenten hat, der nichts anderes tun muss als Angriffe von außen abwehren, weil er irgendeine zwielichtige Vergangenheit hat. Issa Hayatou ist sicher nicht ein Thema für die Zukunft. Er hat das allerdings auch selber eingesehen und hat gesagt, er macht das nur bis zum Kongress. Das ist immerhin eine schöne Einsicht. Aber selbst wenn er bis zum Kongress das macht, er ist nicht der richtige Mann, um der FIFA die neue richtige Farbe zu verleihen.
Heinemann: Herr Tognoni, ich habe Sie eben vorgestellt als ehemaligen Mediendirektor der FIFA. Wie froh sind Sie über das Wörtchen ehemalig?
Tognoni: Ich bin eigentlich nicht sehr froh darüber. Das macht einen nicht ganz stolz. Ich hätte lieber in der FIFA weiterhin gearbeitet und vielleicht dieses oder jenes verhindert. Schadenfreude macht sich bei mir nicht breit. Es macht sich eine gewisse Genugtuung breit, dass das Regime von Sepp Blatter, das auf Korruption, Nepotismus und so weiter beruht, dass das zu Ende geht. Aber dass es der FIFA so schlecht geht, das macht natürlich niemandem Freude, der den Fußball einigermaßen liebt. Zu denen zähle ich mich auch. Wie gesagt, es ist nicht schön, von außen zuzusehen, wie eine so gute Institution einfach zerfällt.
Heinemann: Guido Tognoni, danke schön für das Gespräch.
Tognoni: Danke Ihnen auch.
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