Michael Garcia ist einem Verdachtsfall auf der Spur, der in die FIFA-Chefetage führt. Der Chefermittler der FIFA-Ethikkommission erhielt Mitte der Woche Kenntnis von einem Vorgang, der bisher offenbar unentdeckt in den hunderttausenden Dokumenten des "Sunday Times"-Fundus schlummerte. Demnach soll Urs Linsi, -FIFA-Generalsekretär bis zu seiner Entlassung 2007 - dem einstigen Präsidentschaftskandidaten Mohamed Bin Hammam hoch brisantes Wissen über die Finanzsituation der FIFA angeboten haben, um den Amtsinhaber Sepp Blatter im Juni 2011 aus dem Feld zu schlagen. Dies geht aus einer Mail von Bin Hammams Schweizer Rechtsvertreter Stephan Netzle hervor.
Der Zürcher Sportjurist hatte im März 2011 ein Mandat für den Blatter-Herausforderer aus Katar übernommen. Am 29. April 2011 schrieb Netzle an Bin Hammam: Er sei gerade mit Urs Linsi zusammengetroffen. Der Ex-FIFA-General habe ihm "bestimmte Finanzinformationen offen gelegt, die schockierend sind und die gewiss zu Ihren Gunsten wirken werden." Gemeinsam mit Linsi habe er eine Erfolgsstrategie für den bevorstehenden Wahlkongress erörtert. Er stimme, so Netzle, mit Urs Linsi darin überein, dass es wichtig sei, die FIFA-Delegierten vor der Wahl über diese brisanten Finanzinformationen zu informieren. Zugleich solle man der FIFA-Administration nicht zu viel Zeit "für die Vorbereitung von wortreichen Erklärungen und Abwehrargumenten" geben. Denn, so der Anwalt: "Ihre Informationen über die finanzielle Situation und den Missbrauch von FIFA-Mitteln sollten die FIFA-Delegierten überraschen."
Der geplante Coup fiel aus
Der geplante Coup fiel beim Kongress dann aus, weil sich Bin Hammam zuvor bereits in seiner eigenen Korruptionskampagne verheddert hatte. Eine in der Karibik organisierte Bestechungsorgie flog Wochen später auf, Blatter wurde nur Tage nach Bin Hammams Suspendierung als Alleinkandidat im Präsidentenamt bestätigt.
Netzle will sich auf Anfrage zu der Causa nicht äußern, der Schweizer Sportdachverband Swiss Olympic, dem er als Vizepräsident angehört, stellt sich hinter ihn. Garcia ließ auf konkrete Anfrage, ob er dem Vorgang nachgehe, mitteilen: "Wir werden uns natürlich jede Art und alle Materialien ansehen, die vorgelegt werden."