Es waren spektakuläre Nachrichten, die am 27. Mai 2015 die Runde machten.
"Das ist eine Bombe, die da heute geplatzt ist in Zürich." (Phoenix)
"In Zürich sind sechs Funktionäre des Fußballweltverbands verhaftet worden." (Euronews)
"Die Verhaftungen erfolgen am frühen Morgen vor dem Züricher Nobel-Hotel Baur au Lac...und zwar auf Ersuchen der US-Behörden." (SRF)
Um war es ging – Korruption und Betrug im großen Stil – wurde nur wenige Stunden später klar. Da trat die amerikanische Justizministerin Loretta Lynch, eine kleine, sehr energische Frau, in New York vor die Fernsehkameras und erklärte:
"Our investigation revealed that what should have been an expression of international sportsmanship was used as a vehicle in this broader scheme to line executives’ pockets with bribes totaling 110 million dollars, nearly a third of the legitimate cost of the rights to the tournaments involved."
Funktionäre hatten sich auf sehr unsportliche Weise die Taschen vollgestopft und dabei ganz nebenbei ein paar amerikanische Gesetze gebrochen. Darunter Gesetze gegen Bandenkriminalität und das Treiben der Mafia. Lynch selbst, die in den Jahren davor die Staatsanwaltschaft im New Yorker Stadtteil Brooklyn leitete, hatte dort einst die Untersuchungen angeschoben. Nun sah sie, auf ihrem neuen Posten im Zentrum der amerikanischen Politik, die Chance gekommen, die Arbeit offensiv zu promoten.
Seitdem ist sie das Gesicht der Strafverfahren, die überwiegend gegen Akteure aus Nord-, Mittel- und Südamerika eingeleitet wurden. Weshalb sie es war, die im Dezember zu einer neuerlichen Festnahmeaktion in Zürich und einer auf 41 Angeklagte angewachsenen Liste Stellung nahm:
"The investigation is ongoing and it is very, very far-reaching. And because it is ongoing I am not going to be able to give you the specifics."
Leider vermochte sie nicht viel zu verraten. Außer:
"Die Ermittlungen laufen weiter. Und sie reichen sehr, sehr weit."
Ein Bild kann man sich trotzdem machen. Unter anderem durch die vor Gericht abgegebenen umfassenden Geständnisse zweier zentraler Figuren: des US-Amerikaners Chuck Blazer, einst Mitglied im FIFA-Exekutivkomitee, und des Brasilianers José Hawilla, dem eine Sportrechtevermarktungsfirma namens Traffic Group gehört.
Auch die gewöhnlich eher zugeknöpfte Loretta Lynch ließ gelegentlich Andeutungen fallen. So wie im Dezember in London, wo sie verriet, dass die Ermittler inzwischen auch Katar im Visier haben: das Land, das 2010 auf undurchsichtige Weise den Zuschlag für die WM 2022 erhalten hatte.
Ihr persönlich bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit. Denn am 8. November wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Und diese Wahl zieht automatisch viele personelle Veränderungen nach sich. Loretta Lynch etwa wird ihren Posten in Washington als oberster Staatsanwalt des Landes verlassen müssen. Gehen werden auch die hauptverantwortlichen Bundesstaatsanwälte, die sogenannten US District Attorneys. Was theoretisch zu einem Problem bei anhängigen Verfahren werden kann. Denn sie haben eine exponierte Position, können völlig unabhängig agieren und selbst angelaufene Prozesse wieder einstellen. Egal ob etwa aus Kostengründen. Oder aus rein politischen Erwägungen.
Und politische Untertöne hat der Komplex allemal. Ein Beispiel: Das katarische WM-Bewerbungskomitee und auch die FIFA haben vor einer Weile der Stiftung des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton großzügige Spenden überwiesen. Nicht ausgeschlossen, dass sich damit die Hoffnung verband, Hillary Clinton im Fall eines Wahlsieges im November zu beeinflussen.
Brian Socolow, ein profilierter New Yorker Anwalt und Spezialist für Sportrecht, glaubt jedoch nicht, dass sich viel ändert.
"Angesichts des bisherigen beachtlichen Aufwands wäre ich geschockt, wenn jemand, der neu reinkommt, diese Fälle links liegen lässt. Das Ganze ist weltweit von hohem, öffentlichen Interesse. Und es geht um Betrug und Korruption, wogegen jeder Bundestaatsanwalt normalerweise vorgeht.”
Auch der schottische Journalist Andrew Jennings, der in der Vergangenheit so manches aufgedeckt hatte und dem FBI zu Beginn der Ermittlungsarbeit wichtige Informationen zukommen ließ, ist nicht besorgt. Er rechnet vielmehr damit, dass demnächst noch weitere Personen in Schwierigkeiten geraten werden.
"Die Untersuchungen gehen weiter. Die Staatsanwälte haben im März in der Schweiz alle Dokumente zum ISL-Bestechungsskandal angefordert. Ich würde mir ernsthaft Sorgen machen, wenn ich Sepp Blatter wäre."
Die Pleite des einst mit der FIFA eng verbundenen Schweizer Rechtevermarkters ISL brachte an den Tag, dass Funktionäre allein aus dieser Quelle mehr als 100 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern kassiert hatten. Für Korruptionsverfahren ein riesiger Betrag, sagt Jennings.