Die Frage stand als eine der ersten im Raum, als am Donnerstag in Washington die neue Anklageschrift präsentiert wurde: Keiner der 16 zusätzlich Beschuldigten ist amerikanischer Staatsbürger. Und nur zwei von ihnen hatte man am frühen Morgen verhaften können – in einem Züricher Luxushotel und dank der Hilfe Schweizer Behörden. Wie würde die US-Justiz ihrer habhaft werden?
Mit manchen Ländern wie zum Beispiel Brasilien gäbe es zwar kein Auslieferungsabkommen, räumte Justizministerin Loretta Lynch ein. Aber das würde ihre Behörden keinesfalls bremsen. Die Welt sei klein.
"Wir wissen nicht, was diese Personen für Reisepläne haben."
Einen Tag später zeigte sich, wie diese Andeutung gemeint gewesen war. Da gingen Beamte des FBI an Bord eines vor Florida vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffs und nahmen einen der 16 Angeklagten fest: Héctor Trujillo aus Guatemala. Im Hauptberuf Jurist und Verfassungsrichter seines Landes. Im Nebenamt Generalsekretär des nationalen Fußballverbandes und auf diesem Posten offensichtlich in ein komplexes Geflecht aus Schmiergeldzahlungen und Verschleierungsmanöver verwickelt.
Akribische Arbeit der US-Ermittlungsbehörden
Festnahmen – wie jene im Mai in Zürich – sind medienwirksam und spektakulär. Aber sie spiegeln nur die Oberfläche jener akribischen Arbeit wieder, die die amerikanischen Ermittlungsbehörden seit vier Jahren in die Aufklärung des mafiartigen Bestechungsnetzwerks gesteckt haben. Die Zahl der Anklagepunkte stieg am Donnerstag auf 92. Die der angeklagten Funktionäre und Sportmarketing-Manager auf 41.
Man muss blind sein. Oder so müde wie der schläfrig wirkende amtierende FIFA-Präsident Issa Hayatou in der Pressekonferenz am Donnerstag in Zürich, um so zu tun, als handele es sich dabei um das Treiben von ein paar schwarzen Schafen.
"As it stands right now FIFA is not corrupt. We have individuals who have shown a negative behavior. So do not generalize a situation."
"Die FIFA ist nicht korrupt", übersetzte der Simultandolmetscher den aus Kamerun stammenden Hayatou auf Englisch. "Verallgemeinern Sie die Situation nicht."
Die Feststellung ist absurd. Was jeder sieht, der sich die Zeit nimmt, sich mit der 236 Seiten langen Anklageschrift zu beschäftigen. Nicht nur werden die Spuren so gut wie jeden Vergehens mit den damit verbundenen Geldtransaktionen dokumentiert. Was zeigt, dass im internationalen Verbandsfußball offensichtlich alles käuflich war, was einen nennenswerten Umsatz und Profit versprach. Die amerikanischen Staatsanwälte konnten darüber hinaus seit Mai acht Geständnisse verzeichnen. Darunter von FIFA-Exekutivkomitee-Mitgliedern wie Luis Bedoya aus Kolumbien und Jeffrey Webb von den Cayman Islands.
24 sogenannte Mitverschwörer
Und noch etwas ist von Belang. Die Anklageschrift nennt insgesamt 24 durchnummerierte sogenannte Mitverschwörer, über deren Identität in den meisten Fällen nur grobe Angaben gemacht werden – über deren berufliche Tätigkeit oder Posten in den Verbänden und Föderationen.
Loretta Lynch weigerte sich in der Pressekonferenz ausdrücklich, mehr über deren Identität zu verraten.
"Die Ermittlungen laufen weiter und sie reichen sehr, sehr weit. Und deshalb kann ich Ihnen nichts über die Details sagen."
Einige Mitverschwörer sind leicht zu erkennen. Wie die Nummer 8: der Katarer Mohammed Bin-Hammam. Bei anderen darf geraten werden. Das Besondere an diesem System: Aus anonymen Mitverschwörern werden bisweilen geständige Mittäter. Wie im Fall von Zorana Davis, der Inhaberin von International Soccer Marketing im amerikanischen Bundesstaat New Jersey. Sie lief in der ersten Anklageschrift im Mai noch anonym in der Kategorie Mitverschwörer als die Nummer 5.
Weshalb sich Spannung um das Rätsel rankt: Wer sind denn wohl Nummer 14 und Nummer 17? Beide werden als FIFA-Offizielle bezeichnet. Im Fall der 14 spricht einiges dafür, dass es sich um den langjährigen, derzeit suspendierten Schweizer FIFA-Präsidenten Sepp Blatter handelt. Denn bei der Nummer 17 liegt die starke Vermutung nahe, dass damit der suspendierte französische FIFA-Generalsekretär Jerôme Valcke gemeint ist, über dessen Rolle bei der fragwürdigen Überweisung von 10 Millionen Dollar aus dem Budget der Südafrika-WM-Organisatoren an den korrupten Jack Warner in die Karibik bereits einiges bekannt ist.
Droht also Valcke und Blatter der lange Arm der amerikanischen Justiz? Das ist keineswegs ausgeschlossen. Blatter könnte sich nur einer Sache sicher sein: Er würde als Schweizer Staatsbürger von seinem Heimatland nicht an die USA ausgeliefert. Doch gegen ihn läuft dort bereits ein Ermittlungsverfahren.