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FIFA-WM 2014
Neue Runde im Ticketskandal

Raymond Whelan soll während der WM 2014 VIP-Tickets für rund 50 Millionen Euro auf dem Schwarzmarkt verkauft haben, wurde erst festgenommen, dann aber wieder freigelassen. Jetzt erhebt die brasilianische Staatsanwaltschaft erneut Anklage gegen ihn.

Von Carsten Upadek |
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    Im Juli 2014 wurde Raymond Whelan in Rio de Janeiro verhaftet. Der Verdacht: Schwarzhandel mit WM-Tickets. (dpa / picture alliance / Ramires Ferreira)
    Anfang Juli 2014 - Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien: 32 Teams, 64 Partien, Millionen Fans. Für die Spiele aber haben die Ermittler um Fábio Barucke keinen Sinn. Sie sind einer organisierten Bande auf der Spur, die mit VIP-Eintrittskarten handelt. Als Kopf identifizieren die Polizisten den Franco-Algerier Lamine Fofana, einen Ex-Fußballprofi, der über eine schier unerschöpfliche Ticket-Quelle zu verfügen scheint: jemanden aus den höchsten FIFA-Kreisen, mit dem Fofana in 15 Tagen 157 Textnachrichten austauscht und 28 Telefonate führt. Unter anderem zeichnen die Ermittler dieses Gespräch auf:
    "Ich spreche heute mit meinem Kunden über das Paket des siebenten Spiels. Aber vielleicht brauchen wir nun 20."
    "Das kann ich machen. Ich habe 24, hier in meinen Händen."
    "Wenn Du sie in Händen hast, kann ich sie direkt abholen, richtig?"
    "Aber das wird viel Geld kosten. 24 mal 25.000 Dollar."
    "Ich weiß. Bezahle ich in Reais oder Dollar?"
    "In Dollar."
    Flucht durch den Hinterausgang
    Der Mann am anderen Ende der Leitung, der hier über 600.000 Dollar in bar verhandelt, ist Raymond Whelan, Exekutiv-Direktor des exklusiven FIFA-Partners Match-Services, verantwortlich für die Vermarktung teurer VIP-Eintrittskarten, genannt Hospitality-Pakete. Während der WM residiert er mit den anderen FIFA-Bossen in Rios bekanntestem Hotel, dem noblen Copacabana Palace. Whelan verschwindet durch dessen Hinterausgang, als Chefermittler Barucke und seine Beamten eintreffen, um ihn festzunehmen:
    "Das war eine Sache von zwei Minuten. In seinem Zimmer lief der Fernseher noch, die Sachen waren verstreut. Die Überwachungsbilder zeigen, wie er durch einen Service-Zugang flüchtet und draußen einen Bus nimmt und verschwindet."
    Am Nachmittag des 14. Juli 2014 - Deutschland ist am Vorabend Weltmeister geworden - stellt sich Whelan der brasilianischen Justiz. Hinter den Kulissen beginnen MATCH und FIFA intensiv an dessen Freilassung zu arbeiten. Das habe Priorität, sagt der damalige Generalsekretär Jérôme Valcke bei einem Treffen mit Vertragspartnern in Zürich in der gleichen Woche. Ein Teilnehmer berichtet dem Deutschlandfunk, Valcke sei nervös gewesen. Er habe bestätigt, dass Whelan seit Jahren Tickets schwarz verkaufe. Inzwischen ist Valcke selbst wegen illegalen Tickethandels suspendiert.
    Überraschende Freilassung
    6. August: Ray Whelan wird nach 23 Tagen in brasilianischer Haft freigelassen. Die Anordnung kommt von einem Richter des obersten Gerichtshofs - der allerdings gar nicht zuständig sei, urteilen dessen Amtskollegen im November. Bis dahin ist Whelan allerdings mit Genehmigung nach England abgereist. Im Februar 2015 schließt die sechste Strafkammer Rio de Janeiro das Strafverfahren gegen ihn. Sie sehe keine ausreichenden Beweise für einen Prozess, heißt es in einer schmalen Erklärung. Für elf weitere Angeklagte reichten sie aber aus, wundert sich Staatsanwalt Marcos Kac.
    "Ich war überrascht. Ich kann nicht sagen, dass ich nicht überrascht war. Ich stimme der Entscheidung nicht zu. Ich denke, dass die Beweise ausreichend sind."
    Gern wäre die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen - konnte sie jedoch erst einmal nicht. Laut brasilianischem Recht muss der Gerichtsbeschluss dafür erst offiziell publiziert sein. Doch damit ließ sich der zuständige Richter Zeit: acht Monate - bis Anfang Oktober 2015:
    "Ich erinnere mich nicht, schon einmal eine solche Erfahrung gemacht zu haben!"
    Erst durch den Deutschlandfunk erfährt Staatsanwalt Kac von der Veröffentlichung. In der Begründung der Einstellung des Verfahrens schreibt der Richter, er sehe keinerlei Hinweise auf Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Bestechung. Im Anklagepunkt des illegalen Tickethandels gebe es nicht genügend Belege, um einen Prozess zu eröffnen. Seit den ersten Ermittlungen begleitet Vicente Seda vom Fachblog "Bastidores FC" den Fall:
    "Aus nicht-juristischer Sicht ist es sehr merkwürdig die ganzen Telefonausschnitte zu hören und dem Mann wird nicht einmal der Prozess gemacht. Und noch merkwürdiger ist die Zeitspanne bis zur Veröffentlichung der Begründung. Acht Monate - das ist schlecht von jedweder Betrachtung: der Kompetenz, der Flexibilität oder einer anderen Macht, die eine Verzögerung hervorgerufen haben könnte. Fragt man danach bei der Pressestelle des Gerichtshofs, bekommt man keine Antwort."
    Warum gibt es keine Kontrollen?
    Gegen Lamine Fofana und zehn weitere mutmaßliche Bandenmitglieder läuft der Prozess. Ein Urteil wird für November erwartet. Sie sollen das System des illegalen Tickethandels seit der WM 1998 in Frankreich betreiben und pro Partie 250.000 Euro verdient haben, schlussfolgern die Strafverfolger aus den abgehörten Telefongesprächen. Chef-Ermittler Barucke ist eines besonders in Erinnerung:
    "Da fragte ein Kunde: ‚Aber komme ich mit der Karte ins Stadion? Die Karte hat den Namen und die Ausweisnummer, ich könnte am Eingang gestoppt werden?' Und er Verkäufer sagt: ‚Nein, nein. Ich verkaufe die schon seit vier Weltmeisterschaften. Auf der Karte könnte auch der Name des Papstes stehen, aber Du kommst rein, weil ich weiß, dass die FIFA nicht darauf achtet. Das ist so!'"
    Mit Kontrollen könnte die FIFA illegalen Tickethandel komplett unterbinden. Dass es keine gibt - könnte das zu tun haben mit der Verstrickung hochrangiger Funktionäre? Es ist mindestens ungewöhnlich, dass Match-Direktor Whelan in seinem Hotelzimmer Eintrittskarten für 25.000 Dollar das Stück in bar an Rios mutmaßlich größten Schwarzmarkthändler verkauft, der ihn in Telefongesprächen mit "Boss" anredet.
    "Es ist schwer, an so viel Unschuld und Naivität zu glauben",
    so Journalist Vicente Seda. Raymond Whelan ist nach Informationen des Deutschlandfunk weiter in seiner alten Funktion als MATCH-Direktor für die WM-Unterbringung tätig und pendelt zwischen seinem Wohnort Manchester und Russland: dem Austragungsort der nächsten Fußball-WM.