"Es wird so sein: Jede Runde dauert sieben Minuten."
"Nach Ablauf der Runde läute ich mein Glöckchen. Dann stehen bitte die Damen auf und rücken einen Tisch weiter aufwärts in der Nummernfolge."
Ein Mann und eine Frau sitzen sich gegenüber und versuchen in Höchstgeschwindigkeit herauszufinden, ob es mit dem Menschen auf der anderen Seite des Tisches eine gemeinsame Zukunft geben könnte.
"Äh, ick bin wejen Kurt hier. Meinem Freund. Der hat, äh, der hat dringend ne Frau nötig, saje ick. Wir leben zusammen innem Ensemble."
"Inner Männer-WG?"
"Ja, ja so, inner Laube, sagen wir mal so."
"Wirklich?"
"Ja."
"Aber Sie können doch nicht als erwachsener Mann in einer Laube wohnen!"
Der Lebenskünstler Volker Hartmann und die Geschäftsfrau Maria Koppel - gespielt von Michael Gwisdek und Senta Berger – entdecken wenig Gemeinsamkeiten:
"Sind Sie denn Rentner?
"Ja."
"Ehrlich?"
"Ja."
"Gute Rente?"
"Nee."
"Nee. Und der Kurt."
"Ooch nich."
"Auch nich."
Improvisation als dramaturgisches Prinzip
Wenn Michael Gwisdek von seiner Schrebergarten-Wohngemeinschaft erzählt, ist Senta Bergers Überraschung echt. Bei Drehbeginn wusste keiner der Akteure, auf wen er treffen würde. Jeder kannte nur die Biografie seiner eigenen Figur, die Regisseur Jan Georg Schütte in einem Vorgespräch mit den Schauspielern entwickelt hatte.
"Und als das dann näher rückte und so klar wurde: Da muss man sich jetzt mit seinen eigenen Worten hinstellen und sagen: Äh, ich möchte mal berührt werden, ich möchte einen Mann im Bett oder ich möchte überhaupt auf dem Gebiet etwas, da hab ich ganz schön Schiss gekriegt."
Hildegard Schmahl hat das Improvisieren auf der Bühne gelernt. Trotzdem ging es ihr am Set wie allen Kollegen. Jeder hatte Angst, beim Spielen zu viel von sich preiszugeben. Auch Mario Adorf:
"Weil es natürlich die eigenen Worte sind, die es also viel weniger verfremden als ein gelernter fremder Text. Also es ist schon mehr in diesen Figuren von einem selbst drin, als es normalerweise der Fall ist."
"Dann saßen wir aber da und das ging leicht, das Gespräch. Da war alles wie weggeblasen."
Es ist ein Vergnügen zu beobachten, wie die Darsteller mit ihren Figuren verschmelzen und mit jedem Partner von Neuem die Absurdität eines siebenminütigen Seelenstriptease durchleben. Hautnah spüren die Zuschauer die quälenden Sekunden.
"Hä-ähm. Ja. Haben Sie auch Tiere?"
Wenn Johann Schäfer – gespielt von Mario Adorf – nicht weiß, wie er das Gespräch eröffnen soll. Aber auch das Knistern, wenn eine seiner Speed-Dating-Partnerinnen Worte findet, die ihn berühren.
"Im Persischen heißt der Ehemann oder die Ehefrau Hamdam. Und das bedeutet, der oder die Mit-Atmende. Und wenn ich jetzt in meinem Bett liege, höre ich nichts. Niemand atmet neben mir. Und das find ich traurig."
"Dieser Film ist absolut ehrlich!"
Dass es Partner gibt, bei denen es auf Anhieb funkt und andere, die einander nicht ausstehen können, ist deutlich sichtbar - und genau das, was die Darsteller beim Spielen empfunden haben, gesteht Brigitte Janner:
"Das ist das Tolle: Dieser Film ist absolut ehrlich! Und das ist noch mal eine Studie, wie es heute in Deutschland aussieht. Unter alten Männern und Frauen, die alleine sind. Also ich finde diesen Film so politisch! Er reißt Themen an, die in unserer Gesellschaft tabu sind."
Sexualität, Einsamkeit, Armut: Geschickt verpackt Jan Georg Schütte Wahrheiten über das Alter - und über das Verhältnis von Männern und Frauen - in Szenen voller Witz und Situationskomik.
"Also finanziell werden Sie nicht unterstützt und Sie brauchen ne Wohnung und Sie möchten gerne besser kochen lernen und Sie möchten gerne kuscheln, ja – und deshalb sind Sie hier?"
Ausgangspunkt für den Film „Altersglühen" war die gleichnamige Radiosendung, mit der Jan Georg Schütte vor drei Jahren den Deutschen Hörspielpreis gewann. Er wusste also, was er tat. Trotzdem hat er den technischen Aufwand unterschätzt, zeitgleich alle Gespräche fürs Fernsehen aufzuzeichnen: 19 Kameras mussten so platziert werden, dass eine die andere nicht ins Bild nimmt. Am Ende hatte Schütte über 20 Stunden Material. Ein ganzes Jahr brauchte er, um daraus seinen Film zusammenzuschneiden:
"Da sitzen Leute und reden und sagen: Ich möchte Sie kennenlernen. Aber ein Film braucht ja nun mal einen Spannungsbogen. Und den mussten wir hinterher bauen. Und das war im Grunde die Arbeit des Drehbuchschreibens, die wir dann danach machen mussten."
Verglichen mit der üblichen Primetime-Kost im deutschen Fernsehen ist Jan Georg Schüttes Improvisationsfilm ein Genuss, an dem man sich verschlucken kann: So peinlich, so unangenehm wie das wahre Leben. Aber auch so überraschend, komisch und schön. Warum nur wagen die Programmmacher nicht öfter solche Experimente? Die Zuschauer, meint Hildegard Schmahl, sehnen sich danach:
"Sachen, die anders sind, die dem Zuschauer was zumuten. Mir gefällt das gut. Und ich möchte an solchen Sachen beteiligt sein. Das andere langweilt mich und ich bin nicht gern gelangweilt!"