Der merkwürdig altertümlich klingende Untertitel dieses meisterlichen Films des mexikanischen Regisseurs Alejandro Gonzales Iñárritu ist leider missverständlich übertragen. Es handelt sich beim Originaltitel keineswegs um die unverhoffte "Macht", sondern um die unverhoffte "Virtue" - "Tugend" der Ahnungslosigkeit. So betitelt nach der Premiere am Broadway eine New Yorker Starkritikerin ihre unverhoffte Jubelkritik. Zugleich wird mit diesem Titel auch eine Lanze gebrochen für die unverhofften Tugenden des Trivialkinos, in dem neben viel Action und Krawall auch tiefe Wahrheiten stecken können. Inárritu erzählt von Birdman, einem ehemaligen Superheldendarsteller, der in einem spektakulären Vogelkostüm populär und reich geworden ist. Nun will er sich einen Traum erfüllen. Er will ein Stück am Broadway inszenieren und selbst darin die Hauptrolle spielen. Seine Tochter, die auch seine Assistentin ist, hält davon wenig:
"Das ist meine Chance, endlich etwas zu schaffen, das von Bedeutung ist." - "Von Bedeutung für wen? Du hattest Deine Karriere vor der dritten Comic-Verfilmung, bevor die Menschen vergessen haben, wer in dem Vogelkostüm steckte und du bringst ein Stück auf die Bühne, dass vor 60 Jahren geschrieben wurde für irgendwelche tausend Jahre alten weißen Bonzen, deren einziges Problem ist, wo sie nach der Vorstellung ihren Kaffee und Kuchen herkriegen. Aber das interessiert niemanden, nur dich."
Nervöser drogenaffiner Unterton
Hauptfigur Riggan Thomson hat es sich nicht leicht gemacht. Er hat eine Kurzgeschichte von Raymond Carver dramatisiert, die gleich die größte Frage der zivilisierten Menschheit verhandelt: Worüber reden wir, wenn wir über Liebe reden? Ein Kammerspiel am Küchentisch, das im historischen St.-James-Theatre direkt am Broadway bald Premiere haben soll. Der Film zeigt die letzten Tage vor der riskanten Uraufführung vor einem kritischen Publikum. Der Film ist nicht, wie manche Medien geschrieben haben, in einer einzigen Einstellung gedreht. Jedoch wird keine der Einstellungen zum Zwecke der Auflösung jemals unterbrochen. Kameramann Emmanuel Lubezki taumelt, rast und schwebt also mit seinem Arbeitsgerät stets auf der Suche nach dem Moment, in dem Riggan zusammenbrechen wird, durch das undurchschaubare Labyrinth der Gänge und Theaterräume bis hin zum einzigen Ruheraum - der Bühne. Das verleiht dem Film einen nervösen drogenaffinen Unterton, der die Handlung und Hauptfigur Riggan vorantreibt.
"Meinst Du wirklich, Du bist bereit für die Premiere morgen?" - "Nein, ich meine die Vorpremieren waren ziemlich katastrophal. Wir schaffen offenbar keinen Durchlauf ohne gigantisches Feuer oder gigantische Ständer. Ich bin pleite. Ich schlafe nicht mehr seit ... gar nicht. Dieses Stück fühlt sich langsam so an wie eine deformierte Miniaturversion meiner selbst, die mir unablässig hinterherläuft und mir immer auf die Eier haut mit einem winzig kleinen Hammer."
Kann man fliegen, wenn man will?
Bis hierhin handelt es sich um einen Kinofilm, der die Urmutter aller darstellenden Künste - das Theater - hochleben lässt. Es gibt aber auch kleine Irritationen. Scheinbar besitzt Riggan Superkräfte, die mit einem Fingerschnipsen Autos zum Explodieren bringen oder Blumenvasen vom Tisch fegen. Manchmal meldet sich "Birdman" im Vogelkostüm zu Wort und setzt Riggan weiter zu. Das ist besonders interessant, weil Hauptdarsteller Michael Keaton ja zwei Mal "Batman" im Kino verkörpert hat. Auch er ist dadurch reich und berühmt geworden und kehrt mit diesem Film, der zugleich Hollywood-Feier und Hollywoodkritik, ist zurück auf die große Leinwand. Kann man fliegen, wenn man will, oder stürzt man gleich grausam ab? Diese Frage stellt der Film am Ende gleich zweimal.
"Beliebtheit ist die nuttige kleine Cousine von Wertschätzung, mein Freund." - "Keine Ahnung was das heißen soll." - "Das heißt, dass hier mein Ruf auf dem Spiel steht und der bedeutet mir ne Menge." - "Wenn das ein Schuss in'n Ofen wird, verpisst Du dich wieder zu deinen Studiokumpels und produzierst wieder diesen kulturellen Völkermord. Jede Minute wird 'n Blödmann geboren. Das war P.T. Barnums Hypothese, als er den Zirkus gründete. Und es hat sich nicht viel geändert. Ihr wisst genau, wenn ihr einen Scheiß-Schrottfilm nach dem anderen rausbringt, werden die Menschen anstehen und bezahlen."
Wir wollen glauben, dass sich Riggan mit mexikanischem poetischen Realismus aus den Zwängen der Tatsächlichkeit mit einem Flügelschlag befreien kann.