Eine magersüchtige Halbwüchsige macht in einer Klinik eine Körpertherapie. Ihr Vater, ein Untersuchungsrichter, besucht Tatorte und blickt mit leisem Kopfschütteln auf die Opfer. Eine etwa 40-jährige Frau versucht Kontakt mit Geistern aufzunehmen. Das sind die drei Hauptfiguren von "Body", einem Film der polnischen Regisseurin Malgorzata Szumowska. Sie leben in Plattenbauten, in nichtssagend eingerichteten Wohnungen, kaufen ein in Nachttankstellen, verlassen im grauen Morgenlicht des frühwinterlichen Warschau das Haus. Und alle drei sind so eigentümlich, so verletzlich und anrührend, dass man sie schon ins Herz geschlossen hat, bevor die Geschichte überhaupt begonnen hat.
"Body" handelt von drei Sehnsüchtigen, die sich in Süchte geflüchtet haben: Die Tochter in die Magersucht, der Vater in den Alkohol, und die Therapeutin in die Suche nach dem Jenseits. Was die drei verbindet, ist der Verlust eines geliebten Menschen. Vater und Tochter kommen nicht über den Tod der Mutter hinweg, die vor sechs Jahren starb. Und die Geisterbeschwörerin, die übrigens auch die Therapeutin der Tochter ist, verlor vor Jahren ihr Baby durch plötzlichen Kindstod. Von diesen drei Wesen erzählt Malgorzata Szumowska mit großer Zärtlichkeit und, man glaubt es kaum, mit Heiterkeit. Mit einem leisen Humor, der zeigt, dass die Zeit der Trauer bald vorbei sein könnte.
Die Körperübungen der Mädchen in der Klinik sind ein absurdes Ballett. Wenn die Therapeutin mit ihrem riesigen Hund nach draußen geht, dann sieht es eher so aus, als werde sie selbst von dem Tier an der immer straff gespannten Leine ausgeführt. Abends schnarcht das Ungetüm in ihrem Bett. Und dann gibt es diese wunderbare Szene, in der der etwas untersetzte, träge Untersuchungsrichter im Autoradio einen alten Hit hört - und sich an etwas Schönes zu erinnern scheint.
Auf der vergangenen Berlinale gewann "Body" den Silbernen Bären für die beste Regie. Im Jahr davor sorgte ein weiterer Szumowska-Film auf dem Festival für große Aufmerksamkeit: "Im Namen des...", die Geschichte eines Priesters, der sich darüber klar wird, dass er seine Homosexualität nicht länger verdrängen kann. Szumowskas Filme gehören zu einem polnischen Kino, das schon seit einiger Zeit in ganz Europa Furore macht - und nicht nur in Europa. Der Auslandsoscar ging in diesem Jahr an den polnischen Film "Ida" von Paweł Pawlikowski, den in den USA und Frankreich jeweils mehr als eine halbe Million Menschen sahen. Es ist die Geschichte einer jungen Nonne, die mit ihrer jüdischen Herkunft konfrontiert wird. Und ein Blick auf das Polen der 60er-Jahre – auf ein Land zwischen Jazzmusik und stalinistischem Erbe.
"Was machst du eigentlich?"
"Jetzt gar nichts mehr. Und früher war ich Richterin. Ganz große öffentliche Prozesse. Ich hab sogar ein paar Leute zum Tode verurteilt."
So unterschiedlich all diese Filme sein mögen - was sie verbindet, sind Figuren, die sich einer Aufgabe stellen müssen, und das heißt fast immer: sich selbst - und eine visuelle Form, die an das klare, strenge polnische Kino der 60er-Jahre anknüpft. In "Body" sind die Plattenbauten, in denen Vater und Tochter leben, fotografiert wie existenzialistische Landschaften. Der Turnraum im Krankenhaus wirkt wie eine Theaterbühne, das Auto der Therapeutin wie ein Glaskäfig. Überhaupt blickt die Kamera immer wieder durch Rahmen: Türrahmen, Fensterrahmen, Schaufenster, Autoscheiben, so als suche sie den Kontakt zu Menschen, die sich und der Welt abhandengekommen sind. Dass wir Zuschauer so mühelos mit ihnen Verbindung aufnehmen können, ja dass diese Figuren von einer umfassenden, uns alle betreffenden Verlorenheit erzählen, macht die Größe nicht nur dieses polnischen Films aus.