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Film: "Das Verschwinden der Eleanor Rigby"
Zwei Herzen auf einem Bildschirm

Der US-Regisseur Ned Benson hat eine Liebesgeschichte in zwei verschiedenen Versionen gedreht: ihre Perspektive und seine. Beide Versionen sind gleichzeitig im Splitscreen zu betrachten. Die weibliche Hauptperson heißt Eleanor und wird ständig auf ein Beatles-Lied angesprochen.

Von Rüdiger Suchsland |
    US-Schauspielerin Jessica Chastain spielt eine der Hauptrollen in "Das Verschwinden der Eleanor Rigby"
    US-Schauspielerin Jessica Chastain spielt eine der Hauptrollen in "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" (AFP PHOTO / RAFA RIVAS)
    "All the lonely people... Eleanor Rigby"
    "All the lonely people", all die einsamen Menschen. Wo kommen sie alle her? So sangen vor über vierzig Jahren die Beatles. Eleanor Rigby - das kommt jedem, der seit den Sechzigern aufwuchs, bekannt vor. Der Hit der Beatles erzählt von Einsamkeit, Depression und Tod und ist für zumindest einen Menschen auf der Erde eine Belastung: Für die junge Frau nämlich, die genau so heißt, wie das Lied, und immer wieder darauf angesprochen wird.
    "Ich komme zum Aufnahmegespräch in Ihren Kurs über Identitätstheorie."
    "Ah, Sie sind Julians Tochter. Dann stand Julian also damals auf die Beatles."
    "So ungefähr."
    "Bestimmt hassen Sie die Beatles?"
    "Nein, nicht wirklich."
    Flammend rot sind ihre Haare, leidenschaftlich ihr Gemüt. So schnell sich Eleanor Hals über Kopf in den Barbesitzer Conor verliebt, so schnell verliert sie auch jeden Lebensmut, als sie ihr ungeborenes Kind verliert.
    "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" ist einerseits ein ganz normaler Liebesfilm. Zwei Menschen finden sich und scheinen von Anfang an für einander bestimmt. Alles schon tausendmal gesehen im Kino - und gehört:
    "In diesem Körper schlägt nur ein Herz."
    Es ist aber auch ein Melodram, denn das scheinbar perfekte Glück zerbricht, beide gehen getrennte Wege.
    "Ich kann das nicht mehr. Wir brauchen eine Auszeit."
    Der Film ist schließlich aber vor allem ein Psychothriller. Der Thrill und das psychologische Vexierspiel ereignen sich in diesem Fall allerdings nicht auf der Leinwand, sondern im Kopf des Zuschauers.
    Zweigeteilter Bildschirm
    Jede Geschichte hat mehr als nur eine Seite, und aus dieser erst einmal banalen Erkenntnis hat der New Yorker Regisseur Ned Benson für sein Spielfilmdebüt ein sehr besonderes filmisches Ereignis entwickelt. Der fast schon abgedroschene Satz, dass die Wahrheit im Auge des Betrachters liege, wird hier nämlich extrem radikalisiert. Durch die Ästhetik des Films, durch die formale Entscheidung, alles aus zwei getrennten Perspektiven zu erzählen - und zwar gleichzeitig. So sieht man hier oft Bilder im Splitscreen, das heißt, in einem zweigeteilten Bildschirm, mal - und oft genug - zusammengeführt zu einem einzigen Breitwandbild, dann aber auseinanderbrechend, indem zum Beispiel zwei Kameras auf einer Straße, nachdem sich das Paar verabschiedet, mit jedem von ihnen deren getrennte Wege gehen.
    "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" ist insofern ein formales Experiment. Der Regisseur legt bei seiner Methode eine besondere Konsequenz an den Tag: Bei der Welt-Premieren wurde der Film in zwei Varianten vorgestellt, insgesamt 190 Minuten lang - sie präsentierte zwei getrennte Geschichten aus den zwei individuellen Perspektiven: Auf "Sie und Er" folgte "Er und Sie". Das sind mehr als nur reine Mätzchen - es ist der Versuch der gottgleichen, Objektivität behauptenden Sicht eines allwissenden, allmächtigen Erzählers die Einsicht entgegenzuhalten, dass jeder seine eigene Wahrheit hat, in seiner eigenen Welt lebt.
    Philosophisch holt ein derart radikaler Konstruktivismus die schon wieder überholten Behauptungen der Postmoderne nach, nach dem die "großen Erzählungen" tot seien und so etwas wie Wahrheit nicht existiere.
    Filmisch ist es überaus reizvoll, und das erst recht, wenn nun eine einzige, dritte, internationale Fassung ins Kino kommt, die vom Regisseur selbst erstellt wurde, und beide Betrachtungsweisen verknüpft, ohne sie zu vermischen.
    Gutes amerikanisches Unterhaltungskino
    Der Film ist gutes Unterhaltungskino, sehr amerikanisch in seiner Betonung des Emotionalen und seinen handwerklichen Strategien zur Emotionalisierung des Zuschauers, etwa dem Einsatz der Musik, dabei seiner gleichzeitigen Scheu vor allem Analytischen.
    Insofern geht der Film dem Verschwinden der Eleanor Rigby aus dem Leben ihres Gatten nicht wirklich auf den Grund.
    "Sie hatten noch nie ein gebrochenes Herz?" - "Nein, das kenn ich nur aus Büchern." - "Ich muss hier raus, verstehen Sie?" - "Sie wissen schon, dass es heißt, wenn man vor Dingen davon läuft, dass man dann immer wieder flieht und sein ganzes Leben auf der Flucht ist. Hat sich das für sie genauso lahm angehört, wie für mich?" - "Nein" - "Gut, ich habe nämlich keinen blassen Schimmer, wie man richtig lebt, wissen Sie?"
    Abwechslung kommt hier nicht zuletzt durch die Nebenfiguren ins Spiel. Isabelle Huppert und William Hurt spielen Eleanors Eltern, Ciarán Hinds Conors Vater.
    Getragen wird der Film aber von den überzeugenden Hauptdarstellern James McAvoy und Jessica Chastain, die noch nie so zerbrechlich wirkte, wie hier.
    Mit ihrer Hilfe bleibt dieser stilistisch radikale, inhaltlich etwas zu brave Liebes-Melo-Thriller bis zum Ende mitreißend.