"Was stimmt nicht mit dem Titel?"
"Jeder kommt ins Rick´s" – "Everybody Comes to Rick´s". Das sollte er ursprünglich sein: der Titel von "Casablanca". Also genau wie der des Theaterstücks, auf dem der Film basiert.
"Er klingt nicht nach einem Kriegsfilm."
"Seit wann ist es denn ein Kriegsfilm? Und außerdem gewinnt man mit Kriegsfilmen keine Oscars."
"Casablanca"-Produzent Hal B. Wallis ist von Studioboss Jack L. Warner im Juni 1942 zum Rapport bestellt worden. Der dritte Mann in Warners Büro: ein gewisser Mr. Johnson von der US-Regierung. Er bringt die Lage der amerikanischen Nation, die ein halbes Jahr vorher – nach dem Angriff Japans auf den Marinestützpunkt Pearl Harbor – in den Zweiten Weltkrieg eingetreten ist, auf den Punkt:
"Das ist die größte Bedrohung, der die Welt je gegenüberstand."
Staatliche Einflussnahme
Einmischen wolle er sich zwar nicht in die Dreharbeiten, doch sehe er seine Aufgabe darin, die Filmstudios zu ermahnen, patriotische Heldengeschichten zu erzählen, mit denen das amerikanische Volk auf den Krieg an der Seite der Alliierten gegen Nazi-Deutschland eingeschworen werden soll. Eben Filme zur Stärkung der Moral.
Im Fall von "Casablanca" baut Johnson zusätzlich Druck auf. Die Dreharbeiten müssten forciert werden, damit der Film so schnell wie möglich in die Kinos komme. Dazu hat er einen Fragebogen vorbereitet, den Produzent Wallis seinem Regisseur Michael Curtiz in die Hand drückt.
"Was ist das? ‚Verhilft uns dieser Film zum Sieg?‘ Was ist das für eine Scheiße?! Du lernst es nie."
Wie die "Nicht-Einmischung" Johnsons aussieht, bekommt vor allem Michael Curtiz zu spüren. Curtiz und Johnson sind die Antagonisten in diesem Film, der über weite Strecken das nachgebaute Filmset von Rick´s Café in den Warner-Studios zum Schauplatz hat. Wer von den beiden setzt sich durch? Es entbrennt ein Kampf um künstlerische Freiheit und staatliche Einflussnahme.
"Mr. Curtiz, wann gedachten Sie eigentlich, meinen Fragebogen zu beantworten?"
"Ich war noch nie gut im Schreiben."
"Dieses Papier hilft uns an einem Strang zu ziehen, das gleiche Ziel zu verfolgen."
"Ich bin kein Politiker, ich mache Filme."
Kein Ende in Sicht
Und in diesen Filmen will Curtiz keine Geschichtsklitterung betreiben oder gar fragwürdige Hoffnungen transportieren, wie das bereits einige Produktionen in den ersten Kriegsjahren getan haben. Anders aber als "Casablanca" sind solche Propagandawerke heute fast vergessen: Filme wie "Ich war ein Spion der Nazis" mit Edward G. Robinson oder "Der lange Weg nach Cardiff" mit John Wayne.
Auf der anderen Seite mangelte es dem Drehbuch von "Casablanca" aber auch an einer eigenen künstlerischen Ausdrucksform, wie sie beispielsweise Charlie Chaplins "Der große Diktator" und "Sein oder Nichtsein" von Ernst Lubitsch hatten. Und vor allem fehlte es noch bis kurz vor Drehschluss an einem Ende der Geschichte.
"Ich soll diesen Film fertigdrehen. Dann gebt mir den Rest des Drehbuchs!"
"Möglichkeit eins: Ilsa entscheidet sich für Rick, den Amerikaner."
"Oder für Victor László. Das ist die andere."
"Den Flüchtling? Nein! Sie treffen eine bessere Wahl."
Stress aber nicht nur am Filmset. Während der Dreharbeiten wird Michael Curtiz auch von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt. Nach fast 20 Jahren ohne Kontakt taucht Tochter Kitty aus seiner 1923 geschiedenen Ehe mit der ungarischen Schauspielerin Lucy Doraine auf.
Warum sie nicht in New York geblieben sei, fragt Curtiz. Sie antwortet mit Gegenfragen: Warum hat er sie und ihre Mutter damals nach New York geschickt und nicht zu sich nach Los Angeles geholt? Und weshalb hat er sie nie sehen wollen? Diese Vorwürfe nutzt der Film dazu, sich dem Menschen Michael Curtiz anzunähern. Der ist am Set ein echter Despot.
Säufer mit Hundegesicht
"Unser Held ist ein Säufer mit Hundegesicht. Unsere Norwegerin ist eine Schwedin. Was wird das? Eine Komödie?"
Curtiz war bekannt für seinen herrschsüchtigen Charakter, seine egomanischen Züge und auch dafür, ein Frauenheld gewesen zu sein.
"Hier wird also gezaubert."
"Gezaubert wird auf der Besetzungscouch."
In "Curtiz" erzählt der in der Schweiz geborene Regisseur Tamás Yvan Topolánszky nicht nur über die Entstehung von "Casablanca". Sein Film ist auch ein Porträt des Regisseurs, der 1886 in Budapest als Mihály Kertész Kaminer geboren wurde, zuerst nach Wien emigrierte, in Berlin und Paris arbeitete und im Alter von 40 Jahren in die USA ausgewandert ist.
Gedreht hat Topolánszky seine kunstvoll arrangierten, expressionistischen Tableaus in stilechtem Schwarzweiß. Das erinnert an den Film noir, hat aber auch etwas Prätentiöses.
Bergman und Bogart spielen hier übrigens keine Rolle. Sie sieht man, wenn überhaupt, dann nur unscharf von weitem. Mal hört man auch nur ihre Stimmen. Eine durchaus kluge Entscheidung, um den Fokus auf Michael Curtiz zu legen und auf die spannenden künstlerischen wie politischen Entscheidungen während des "Casablanca"-Drehs. "Curtiz" überzeugt als fiktionalisiertes "Behind the Scenes" eines der größten Filme der Kinogeschichte.
"Curtiz" von Tamás Yvan Topolánszky ist beim Streaminganbieter Netflix zu sehen.