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Film der Woche
Der Absturz eines Oscar-Kandidaten

Der höchste Filmpreis schien ihm fast sicher: US-Regisseur Nate Parker wurde für seinen Anti-Sklavenhalterfilm "The Birth of a Nation" für den Oscar hoch gehandelt. Dann holte ihn aber die eigene Vergangenheit ein.

Von Hartwig Tegeler |
    Nate Parker, US-amerikanischer Schauspieler und Regisseur des Filmes "The Birth of a Nation" bei der Filmpremiere in London.
    Nate Parker, US-amerikanischer Schauspieler und Regisseur des Filmes "The Birth of a Nation" bei der Filmpremiere in London. (imago /APress)
    "Ihr hört schön auf ihn, und dann kommt ihr vielleicht in den Himmel."
    Um 1800 in den Südstaaten der USA. Virginia. Drei Jahrzehnte wird es noch dauern, bis der Sieg der Nordstaaten im Bürgerkrieg den Sklaven die Befreiung bringt. Nat bringt sich selbst das Lesen bei und wird zum wortgewaltigen Prediger. Der Plantagenbesitzer reist mit diesem Sklaven übers Land, damit der - Honorar an den Master - den anderen das Evangelium predigt. Und die Untertänigkeit.
    "Ihr müsst euch immer euren Mastern unterwerfen, mit allem Respekt."
    Doch die Reise durch die Sklavenhalter-Gesellschaft der US-Südstaaten öffnet Nat die Augen. Im Sommer 1831 dann führt er einen Aufstand an, bei dem 70 Sklaven über die Plantagen ziehen und ihre Unterdrücker töten. Nach 36 Stunden ist der Widerstand blutig niedergeschlagen. Nat Turner wird gehängt.
    Eine Frage der Moral
    Der Film, der diese Geschichte erzählt, "The Birth of a Nation" - Regie, Hauptdarsteller und Drehbuchautor: Nate Parker - wurde nach seiner Aufführung auf dem Sundance-Festival 2016 zum heiß gehandelten Oscar-Favoriten. Bis, ja, bis die Presse daran erinnerte, das Nate Parker zusammen mit einem Mit-Studenten angeklagt war, 1999 eine Kommilitonin vergewaltigt zu haben. Parker bekam einen Freispruch, doch die vergewaltigte Frau brachte sich später um. Und damit stand die Frage im Raum: Kann ein Kunstwerk gut sein, dessen Regisseur von einem hohen moralischen Standpunkt aus die Verbrechen der US-Geschichte enthüllt, aber selbst keine moralisch saubere Weste hat? In den USA ist die Antwort inzwischen klar gesetzt: "The Birth of a Nation" verschwand im Mutterland der Political Correctness in der Versenkung. Nate Parker erlebte als Künstler einen tiefen Absturz. Im Gegensatz zu Casey Affleck, der trotz ähnlicher Vorwürfe einen Oscar für "Manchester by the Sea" bekam. Doch die entscheidende Frage ist mit dem nicht beantwortet: Kann "The Birth of a Nation" als Film überzeugen?
    Es gibt ohne Frage eindrucksvolle Szenen. Wenn der Aufstand der Sklaven niedergeschlagen ist, fährt die Kamera an Bäumen vorbei, an deren Äste schwarze Männer und Frauen hängen. Gelyncht. Dazu Nina Simone mit dem Billie-Holiday-Klassiker "Strange Fruit". Textzeile: "Ein schwarzer Körper baumelt im Südstaaten-Wind / Merkwürdige Früchte hängen von den Pappeln." So bekommt diese Geschichte über den Aufstand der Sklaven im 19. Jahrhundert in Zeiten rassistischer Polizei-Gewalt und der Protestbewegung "Black Lives Matter" eine selbstverständliche Legitimation.
    Die Geschichte muss erzählt werden
    Aber die historische Bedeutung eines Films, seine Wichtigkeit und seine Qualität liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Bei "The Birth of a Nation" ist nämlich das Erlöser-Pathos fürchterlich, der Film trieft davon. Wenn der Sklaven-Anführer Ned Turner am Ende gehängt wird, dann zelebriert Filmemacher Nate Parker eine Jesus Figur, inklusive Heiligsprechung. Schwer auszuhalten. Vor allem, weil der andere Film über die Sklavenhalter-Gesellschaft, Steve McQueens Drama "12 Years a Slave" von 2013, sich solch falschem Pathos verweigert. McQueen schafft komplexe Figuren auf Seite der Sklaven wie auf der der Sklavenhalter. Bei Nate Parker hingegen sind die Guten nur gut und die Bösen nur böse. Dass ein Film in den USA wegen blinder Flecken in der Biographie des Filmemachers in der Versenkung verschwunden ist, das ist allerdings unangemessen. Denn "The Birth of a Nation" mag Agitationskino sein, aber diese Geschichte musste endlich im Kino erzählt werden.
    "Selma" - der Film über die Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King -, das Meisterwerk "12 Years a Slave", "Moonlight" - Oscar-Gewinner von 2017 - und jetzt "The Birth of a Nation". Diese Filme sollte man in einem Vierer-Feature anschauen. Thema: Die Geschichte der Afroamerikaner. Zu einem Ergebnis wird man in jedem Fall kommen: Black Lives Matter! In der Gegenwart und der Vergangenheit.