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Film der Woche
Genial bis zum Abspann

Robert Schwentke wagt nach Jahren in Hollywood und Mainstream-Filmen einen besonderen Film zur deutschen Kriegsgeschichte. "Der Hauptmann" ist ein krasses Porträt von enthemmter Gewalt und Kadavergehorsam, das fast bis zum Schluss überzeugt.

Von Hartwig Tegeler |
    Filmszene aus "Der Hauptmann". Der Hauptmann (Max Hubacher) und die Gefreiten Freytag (Milan Peschel) und Kipinski (Frederick Lau) stehen vor einem Lagertor
    "Der Hauptmann" von Robert Schwentke basiert auf einer wahren Begebenheit (Weltkino / Julia M. Müller)
    "Auf die heilige Pflicht und den Gehorsam."
    Lüge Nummer 1. Lüge Nummer 2:
    "Ja, das bin ich, der Hauptmann."
    Die Welt ist in den letzten Kriegstagen 1945 vollends aus den Fugen geraten, und die Bestien recken jetzt ohne jegliche Zügelung ihr Haupt empor. Ein Mann, gehetzt von besoffenen Soldaten im Militärwagen. Einer schießt, ein anderer bläst die Trompete. Der Gefreite Willi Herold rennt um sein Leben.
    Vom Deserteur zum Hauptmann
    Mit diesem ersten Bild setzt Robert Schwentkes Schwarz-Weiß-Film "Der Hauptmann" seinen Grundton: Die Ordnung des mörderischen Nazi- und Militärsystems existiert nur noch als leere Hülle. Tatsächlich zerfasert sie sich in Willkür, Chaos, Anarchie. Und das Ganze basierend auf Kadavergehorsam. An die Stelle der Ordnung tritt jetzt ohne jegliche Hemmungen das Wölfische des Menschen, das der Krieg immer bedient. Die Höllentore stehen weit offen.
    Willi Herold, der Deserteur, kann seinen Häschern durch Zufall entkommen. An einer Landstraße findet der junge Mann in einem liegengebliebenen Offizierswagen eine Uniform. Und schon wird aus ihm ein Hauptmann:
    "Lauf um dein Leben, Du kleines Schweinchen. Na los, lauf!"
    Willi Herold übt noch die Rolle, da steht der Gefreite Freytag …
    "Habe meine Einheit verloren."
    …vor dem neuen Hauptmann.
    "Bitte gehorsamst, mich Herrn Hauptmann unterstellen zu dürfen."
    Noch mehr Versprengte sammelt der vorgebliche Offizier auf und schon, …
    "Auf die Leibgarde Herold. Gemeinsam ist man stark."
    …schon ist die "Gruppe Herold" geboren, die durch das Hinterland zieht, um für den "Führer" die Lage zu sondieren und für Ordnung zu sorgen - dabei aber die eigene Ordnung willkürlich zu installieren.
    "Vollmacht von ganz oben"
    "Ich verlange, sofort Ihren Vorgesetzten zu sprechen!" / "Ja, ja, schon da. Können Sie mir erklären, warum Ihre Truppe ohne klaren Marschbefehl ist?" / "Wir sollen Bericht erstatten von der Lage hinter der Front. Vollmacht von ganz oben. Ganz oben. Vollmacht vom Führer selbst."
    Nur die überzeugend vorgetragene Behauptung – "vom Führer ermächtigt" -, und schon läuft die Befehlskette. Massaker, Folterungen, willkürliche Erschießungen, die Herold und seine Marodeure in einem Strafgefangenen-Lager vollziehen, funktionieren, weil jeder sich auf den Befehl des Nächsthöheren verlässt. Der Hauptmann Herold lässt dabei seinem Sadismus und seinem Machtwahn freien Lauf. Robert Schwentkes Film, der auf realen Ereignissen basiert, entwirft mit seinen strengen Schwarz-Weiß-Bildern kein Psychogramm, sondern analysiert eine Struktur. "Der Hauptmann" ist dabei notwendiger Weise ein kühler Film, weil er keine positiven Figuren setzt, sondern Menschen zeigt, die in ihren Exzessen Teil eines Getriebes sind, das hier, in dieser Zeit, aus dem Ruder läuft. Konsequent nur, …
    "Bei mir hat sich Herold immer als Offizier verhalten."
    … dass der sadistische Mörder und falsche Hauptmann vor einem Wehrmachtsgericht 1945 freigesprochen wird.
    "Unter den gegebenen Wirren der Zeit hat sich Herold doch gar nicht so abwegig verhalten. Er hat ein forsches militärisches Auftreten an den Tag gelegt, aber der Wehrmacht keinen nennenswerten Schaden zugefügt."
    Eselei im Abspann
    Soweit: grandios. Doch …
    In David Wnendts Film "Er ist wieder da" erwacht Hitler im Berlin der Gegenwart. Irgendwie wollte Robert Schwentke offensichtlich am Ende seines Films Ähnliches bedienen: Im Abspann seines bis dahin meisterhaften Schwarz-Weiß-Films "Der Hauptmann" fahren Max Hubacher als Hauptmann Herold mit Milan Peschel und Frederick Lau in Nazi-Uniformen und im Wehrmachts-Auto durch eine Stadt und drangsalieren willkürlich Passanten von heute. Das soll uns zeigen, dass das, was 1945 geschah, auch heute passieren könnte. Wer hat, in Gottes Namen, Regisseur Robert Schwentke zu dieser Eselei verführt? Warum hat kein Produzent gesagt: komm, lass diesen dummen Gag? Mein Vorschlag: Mit dem surrealen Schluss-Bild das Kino zu verlassen, wenn der Hauptmann, der nie Hauptmann war, über eine Waldlichtung mit Skeletten geht. Und dann auf einer Schrifttafel zu lesen ist, dass der 21-jährige Willi Herold 1946 von den Briten verurteilt und hingerichtet wurde. Ich würde diesen Film gerne vor seinem dämlichen Abspann schützen.