"Aber wir leben noch!"
Da sitzt sie mit dem Zwanzigjährigen am Meer. Er fingiert gern Selbstmorde, sie, die Siebzigjährige, sprüht vor Lebensfreude. Und redet von der Verbannung des jüdischen Offiziers Dreyfus:
"Dreyfus hat einmal von der Teufelsinsel geschrieben, dass er da die herrlichsten Vögel sehen würde. Viele Jahre später in der Bretagne hatte er rausgefunden, dass es nur Möwen gewesen sind."
Maude aus "Harold und Maude" hat eine KZ-Tätowierung auf dem Arm
Manchmal verwandelt sich mit einem Bild oder einem Kameraschwenk der gesamte Ton eines Films. Harold und Maude am Meer, Möwen, Cat Stevens' Song "If you want to sing out, sing out". Und dann dieser kurze Kameraschwenk auf Maudes Unterarm, auf dem eine KZ-Tätowierung zu sehen ist.
"Harold und Maude" ist die Geschichte einer überlebenden Jüdin, Ihr exzessiver Lebenswille ist der einer Frau, die in die Hölle geblickt hat. Deswegen wird sie zur Schelmin. So wie Moritz Bleibtreu alias David Bermann in "Es war einmal in Deutschland". David, der zusammen mit ein paar Freunden deutschen Hausfrauen als fliegende Händler Wäsche verkauft. David ist seinerseits ein großer Schelm, der immer auf dem schmalen Grat zwischen Chuzpe und Trauer jongliert in seinem Land, in dem 1946 als deutscher Jude nicht willkommen ist.
"Keiner von uns wird hier bleiben. - Auf Amerika! - Auf Amerika!"
Aber: "Und vergesst niemals, Hitler ist tot, aber wir leben noch!"
Lebensbejahendes Monumentalkino
Ein wuchtiges Leitmotiv, das die Geschichten über die weiter lebenden Juden zusammenbindet. Das gilt auch für Rachel in Paul Verhoevens "Black Book". Die holländische Jüdin erinnert sich in einem israelischen Kibbuz an ihre Affäre mit einem SS-Offizier, die sie als Spionin für den Widerstand einging.
"Aber wir leben noch!"
Das gilt auch für Otto Premingers Epos "Exodus", das von den Shoah-Überlebenden erzählt, die versuchen, nach Palästina zu kommen. 1947 noch unter britischer Mandatsherrschaft. Monumental-Kino, das aber mit der 15-jährigen deutschen Jüdin und dem jungen polnischen Auschwitz-Überlebenden Nebenfiguren zeichnet, die das übermäßige Hollywood-Pathos immer wieder durchbrechen und vermitteln, was es bedeutet, weiter zu leben.
David Bermann in Sam Gabarskis Film "Es war einmal in Deutschland" hat das KZ überlebt wie die Figuren in "Exodus". Als "Repatriierter" hat David als Überlebensstrategie das hemmungslose Fabulieren entwickelt.
"Die Menschen lieben Geschichten, kosten ja nichts. Fast nichts."
Das Ziel: Hitler töten
David Bermann, dieser ehemalige jüdische KZ-Häftling, gelangte gar auf den Obersalzberg. Erzählt er.
"Ich bin dort hingefahren, um das Stück Scheiße umzubringen."
David gelingt das nicht - im Film "Es war einmal in Deutschland". Aldo, dem Apachen, und seinen "unrühmlichen Mistkerlen" schon - im Film "Inglourious Basterds" von Quentin Tarantino.
"Ich stelle ein Spezialkommando zusammen. Und dazu brauche ich acht jüdische amerikanische Soldaten. Und sobald wir auf feindlichem Gebiet sind, haben wir nur ein Ziel: Nazis töten."
Rache an der ungerechten Wirklichkeit
Eine Nazi-Überwindungs-Geschichte, die mit der Explosion eines Pariser Kinos endet. In dem befinden sich Hitler, Goebbels und die anderen. Der Filmpublizist Georg Seeßlen sagt, dass Tarantino den ersten Film gemacht hat, der sich von der nach-faschistischen Kinogeschichte wirklich löst. Der die Nazis nicht als Monster oder faszinierende Unholde weiterleben lässt.
"Das Kino rächt sich nicht nur an jenen Personen, die, bevor sie selber sterben mussten, so viel Unheil und Tod brachten. Das Kino rächt sich an der ungerechten Wirklichkeit selber."
Und "Inglourious Basterds" erzählt auch die Gegengeschichte zum leidenden, schwachen und chancenlosen Opfer. So wie "Es war einmal in Deutschland". Da sagt der Frankfurter überlebende Jude David:
"Für die SS waren wir Juden feige, weiche Untermenschen. Auf die Idee, einer wie ich könnte zum Attentäter werden, wären sie nie gekommen."