Vielleicht liegt die große Weisheit in Almódovars "Leid und Herrlichkeit" in der Parallelbewegung, in der der Film erzählt wird. Das ist das Zurück - die Erinnerung -, aus dem sich ein Vorwärts überhaupt erst ergeben kann.
Und da "Leid und Herrlichkeit" von einem alten, in die Jahre gekommenen Regisseur erzählt, der sich in einer großen Schaffenskrise befindet, stellt Regisseur Almodóvar die naheliegende Frage (und beantwortet sie gleich selbst): "Basiert ´Leid und Herrlichkeit´ auf meinem Leben? Nein, und ja, auf jeden Fall." Wenn allerdings der reale Filmemacher wie der fiktive vor 35 Jahren seinen letzten Film gedreht hätte, dann wäre noch vor Almodóvars "Matador" - 1985 - Schluss gewesen. War es aber nicht!
Eine Neugeburt?
Das erste Bild von "Leid und Herrlichkeit": Antonio Banderas unter Wasser, in einer Art Meditationshaltung abgetaucht in ein Schwimmbecken. Eine Fruchtblase, aus der heraus das Neue geboren wird?
Dann der Umschnitt in die Vergangenheit in den 1960er-Jahren in einem Dorf in Valencia. Die Mutter – Penélope Cruz – wäscht mit anderen Frauen die Wäsche im Fluss, der kleine Salvador schaut zu.
"Ich wäre so gern ein Mann, dann könnte ich nackt im Fluss baden."
"Eins sage ich euch, sie will nur mal wieder da unten ihr Pfläumchen erfrischen."
"Wieso nicht."
"Eins sage ich euch, sie will nur mal wieder da unten ihr Pfläumchen erfrischen."
"Wieso nicht."
Die Frauen sind die Starken
Eine romantische Erinnerung an eine heile Zeit – zumindest für den Jungen. Die Mutter, die Göttin seines frühen Lebens, Fels in der Brandung, die die Familie durchzubringen sucht. Der Vater, wie fast immer bei Almódovar, abwesend. Die Frauen sind die Starken.
"Leid und Herrlichkeit" ist wie ein Triptychon, dessen drei Bilder sich immer wieder überlagern. Das sind Salvadors Jugend, dann die wilde Zeit in Madrid nach dem Ende der Franco-Diktatur inklusive der ersten großen Liebe Salvadors. Und dann, das dritte Bild: das Heute. Salvador ist vereinsamt, hat chronische Rückenschmerzen und diverse andere Krankheiten – Hypochonder? Auch! Vor allem aber Salvador ist abgeschnitten von seiner Arbeit und damit vom Kino. Doch jetzt hat die Madrider Cinemathek einen alten Film von ihm restauriert, und der Regisseur sucht den seinerzeit verhaßten, weil immer zugedröhnten Hauptdarsteller nach mehr als drei Jahrzehnten wieder auf.
"Warum bist du hergekommen?"
"Zweiunddreißig Jahre habe ich gebraucht, um mich mit diesem Film zu versöhnen. Die Cinemathek hat ´Sabor´ restauriert. Sie haben mich drum gebeten, dass wir beide ihn vorstellen."
"Wissen die nicht, dass wir seit dem Dreh nicht mehr miteinander reden?"
"Zweiunddreißig Jahre habe ich gebraucht, um mich mit diesem Film zu versöhnen. Die Cinemathek hat ´Sabor´ restauriert. Sie haben mich drum gebeten, dass wir beide ihn vorstellen."
"Wissen die nicht, dass wir seit dem Dreh nicht mehr miteinander reden?"
Der schmerzhafte Weg in die Erinnerung
So beginnt der auch immer schmerzhafte Weg in die Erinnerung. Salvador sucht beim gelegentlichen Heroinrauchen Entspannung vor den Geistern, Gespenstern und Dämonen der Vergangenheit. Was aber nichts hilft. Ja, melancholisch ist dieser Film, traurig, gnädig, sanft, aber nicht beschönigend. Und wenn der alt gewordene Mann ...
"Da sind zwei Sammelbilder drin. Liz Taylor und Robert Taylor."
... die Zeit im Dorf als Junge, durchaus in der Erinnerung verklärt, ...
"Glaubst du, das sind Geschwister?"
"Schon möglich."
"Schon möglich."
... dann sehen wir in diesem Bildermosaik kurz danach die alte Mutter vor ihrem Tod, die den Sohn ihrerseits kein bisschen verherrlicht.
"Ich versuche gerade, diese Rosenkränze zu entwirren."
"Komm, ich helfe dir, Mutter."
"Nein, das kannst du nicht."
"Komm, ich helfe dir, Mutter."
"Nein, das kannst du nicht."
Manche Erinnerungen sind, wie gesagt, unerträglich. Aber Pedro Almodóvars Alter Ego in Gestalt von Antonio Banderas, hat sich dem zu stellen, weil am Ende wartet das Versprechen auf eine mögliche Heilung, das der Regisseur seiner Figur gibt.
Jenseits von Hollywood-Manierismen
Almodóvar habe von ihm verlangt, erzählt Antonio Banderas, dass er für seine Rolle in "Leid und Herrlichkeit" alle Hollywood-Manierismen abwerfe, ...
"Clean myself as much as possible."
... sich wieder frei mache von allem Ballast. Verständlich, Almódovars Wunsch, wenn man die Banderas-Klischees der letzten Banderas-Jahre anschaut - 80er-, 90er-Jahre -, die irgendwo zwischen "Zorro", "El Mariachi" und dem trotteligen spanischen Actionhelden in "The Expendables – Teil 3" festklebten. Doch dieses ...
"Clean myself as much as possible."
..."Reinigen" für "Leid und Herrlichkeit" ist wunderbar gelungen. Pedro Almódovar hat über seinen Hauptdarsteller gesagt: "Tiefgründig, subtil, mit einer abwechslungsreichen Bandbreite winziger Gesten, hat er so einen sehr schwierigen und riskanten Charakter hervorgebracht." Und damit einen großen Film entstehen lassen, in dem nicht mehr das Grelle, überbordend Explodierende des "frühen" Almódovar im Vordergrund steht.
Aber die Emotionen von damals - Liebe, Lust, Verzweiflung, Angst und Besessenheit, Leid und Herrlichkeit eben -, sie sind nicht verschwunden, sondern haben sich nur in der Tiefe verankert, wirken in der Dynamik des Alters. Das erzeugt die tiefe Bewegung dieser Geschichte und die Bewegung, die "Leid und Herrlichkeit" bei uns auslöst.