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Film der Woche: "Parasite"
Ungehemmte Gier nach Luxus

Faszinierend, dystopisch, pessimistisch - so präsentiert sich der diesjährige Cannes-Gewinner "Parasite" vom südkoreanischen Regisseur Bong Joon-ho. Eine arme Familie dringt in das Haus einer reichen Familie ein. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist fließend.

Von Hartwig Tegeler |
Szene aus dem Film "Parasite" von Regisseur Joon-ho Bong. Eine junge Frau und ein junger Mann sitzen in einem Badezimmer und starren auf ihr Smartphone.
Szene aus dem Film "Parasite" von Regisseur Joon-ho Bong. (picture alliance/dpa/Neon/Entertainment Pictures/ZUMAPRESS)
Gut, der Spruch vom Sohn der Kim-Familie ist ein Running Gag, immer wieder sagt er ihn - "wow, das ist ja wirklich metaphorisch" - aber er ist auch ziemlich treffend für Bong Joon-hos Film "Parasite": Eine Familientragödie mit Hang zum deftig absurd Komischem. Vielleicht aber ja auch ein Horrorfilm. Irgendwie ist alles real … und eben metaphorisch. Und das mit dem W-Lan, da unten, in der schäbigen Souterrain-Wohnung der Kims, ist außerdem signifikant. Denn es zeigt deutlich, dass die vierköpfige Familie – Vater, Mutter, Sohn, Tochter – Schnorrer sind, Trickser, Versager, ja, auch Betrüger, ziemlich heftige, wie sich zeigen wird. Jedenfalls hat die Nachbarin ein Stock höher über ihnen ihr W-Lan verschlüsselt. Unverschämtheit, finden die Kims, haben das Passwort aber bald geknackt. Aus ihrer Sicht ein Grundrecht: "Dass wir endlich wieder unbegrenztes W-Lan haben."
Schnorrer, Trickser und Schleimer
Schnorrer, wie gesagt, Trickser, aber auch Schleimer. Und dann hat der alte Schulfreund des Kim-Sohns einen Vorschlag: "Willst du meine Stelle als ihr Englischnachhilfelehrer übernehmen?" Der erfolglose Sohn der Familie Kim – mehrmals hat er seinen Uni-Abschluss nicht geschafft – will. Und damit ist Bong Joon-ho beim Spiegelbild dieser Familie gelandet, einige Stockwerke höher in der gesellschaftlichen Spähre, in der Designer-Villa in einem anderen Stadtviertel hinter den hohen Mauern des designten Gartens. "Wow, das ist ja wirklich metaphorisch."
Die Familie des superreichen IT-Unternehmers Park - Vater, Mutter, Sohn, Tochter – führen ein Leben in Reichtum und Luxus. Herr Park seinerseits ist so arrogant zu glauben, dass er die Menschen aus der Unterschicht schon an ihrem Geruch erkennt; er müsse nur schnüffeln, dann wisse er, woher einer kommt. Was ihn nicht davor schützt, dass er mit dem neuen Englisch-Nachhilfelehrer seiner Tochter bald auch Herrn Kim als Chauffeur, Frau Kim als Haushaltshilfe und Tochter Kim als Kunst-Therapeutin für seinen ach so begabten kleinen Sohn auf der Pelle, sprich in seinem Haus hat. Der Klassenkampf mit Lug und Betrug ist also eröffnet, gemäß des Credos von Vater Kim, nun Chauffeur von Herrn Park: "Das ist unsere Chance."
Schon in "Snowpiercer" von 2013 – der erste Film übrigens, den Bong Joon-ho mit westlichen Schauspielern und in englischer Sprache gedreht hat - schon in diesem dystopischen Apokalypse-Eiszeit-Thriller wird die Kunst des südkoreanischen Regisseurs sichtbar, Genre-Elemente mit Gesellschaftsanalyse zu verbinden. Was der Filmemacher auch jetzt in "Parasite" grandios praktiziert. "Parasite" kann man ansiedeln im Genre des "Home Invasion Thrillers" mit Horror-Elementen. So, wie in "Borgman", in "Kevin allein zu Hause", in "Funny Games" oder in Jordan Peeles "Wir" ist die Grundkonstellation: Bösewichte, Räuber, Mörder oder, wie in "Parasite", Betrüger dringen in ein fremdes Haus ein und damit in das Private von Anderen. In der Regel liegen die Sympathien der Zuschauer bei denen, die sich in einem Kampf auf Leben und Tod gegen die Eindringlinge verteidigen.
Düsteres und abstrus komisches Gesellschaftsbild
Wäre das auch in "Parasite" der Fall, dann müssten wir mit der Familie des IT-Unternehmers Park bangen, die sich gegen die Parasiten wehren, also die Familie Kim. Doch Bong Joon-ho erzählt eine Geschichte, die viel, viel ambivalenter ist. Denn wer sind denn hier die Parasiten? Die Schwindler aus dem Prekariat? Oder die eitlen, empathielosen und gierigen Superreichen, die Arme angeblich riechen. "Parasite" präsentiert keine einzige Figur, die zur Identifikation einlädt.
Alle sind gierig nach Luxus und schönem Schein; auch die aus der Unterschicht wollen nur dasselbe wie die da oben. Und dann gibt es in "Parasite", diesem düsteren und makaberen und abstrus komischem Gesellschaftsbild, außer dem Oben und dem Unten noch eine weitere Schicht, in der noch andere Menschen hausen: im Keller. Die Unten finden so welche, die noch weiter unten leben und auf die sie treten können. "Wow, das ist ja wirklich metaphorisch."
Man ist entsetzt und fasziniert zugleich, wenn man "Parasite" sieht, diesen zutiefst pessimistischen und dystopischen Film.