Er ist einer von trauriger Gestalt, dieser Regisseur, wie er dasitzt auf seinem Regiestuhl. Irgendwo in der spanischen Provinz. Dreh eines Werbespots; russischer Wodka. Der Dreh vom Kampf des Don Quixote gegen Windmühlenflügel geht in die Hose ...
"Und Schnitt! Sehr gute Arbeit."
Aber Toby, dem Werbefilmer - wunderbar gespielt von Adam Driver - ist das egal. Kann man ja in der Postproduktion richten. Digital! Doch dann tritt ein geheimnisvoller Sinti auf Toby zu und drückt ihm eine DVD mit einem älteren Schwarzweiß-Film in die Hand. Tobys Film. Vor Jahren hatte er ihn als Abschluss seines Studiums in einem kleinen Dorf gedreht, nicht weit vom jetzigen Set. Seine Version des "Don Quixote".
Die Fiktion ändert die Realität
Toby fährt mit dem Motorrad hin. Erinnerung an die Zeit vor dem Zynismus. Langsam beginnt sich in Terry Gilliams "The Man Who Killed Don Quixote" die Zeit aufzulösen, die Ebenen der Realität zu verschwimmen in der glühenden Sonne von La Mancha. Toby im Dorf.
"Es hat sich alles geändert seit deinem Film, Toby!"
Und nicht zum Besten. Die Hauptdarstellerin von damals - die Dulcinea - wurde nicht zum Star, sondern zur Escort-Dame. Und der Schuster?
"Der alte Mann, der Don Quixote gespielt hat, ist der noch am Leben?"
Nicht nur das, sondern der alte Mann - Jonathan Pryce spielt ihn - hält sich tatsächlich für den "Ritter von der traurigen Gestalt":
"Ich bin Don Quixote!"
Natürlich stellt sich die Frage, was Wahn ist und was Realität. Vielleicht ist der alte Schuster ja doch Don Quixote? Und Toby sein Knappe Sancho Pansa?
"Auf uns warten große Abenteuer."
Ändert die Fiktion die Realität?
"The Man Who Killed Don Quixote" ist keine Cervantes-Verfilmung, sondern eine Improvisation über die Phantasie mit den Figuren des Klassikers. Wo die Realität sich als brüchig erweist und nie ganz klar ist, ob an ihre Stelle schon die Fantasie getreten ist oder der Traum oder Albtraum, die sich einen Dreck um Logik und klare Orientierung sorgen.
"Großer Gott, Sancho, ein Riese. Sei bereit zu sterben."
Terry Gilliams "The Man Who Killed Don Quixote" ist ein Kosmos von Fantasie auf vielen Ebenen. In jeder mindestens eine Falltür. Und wenn man durch sie fällt, stürzt man immer hinunter auf eine noch tiefere Ebene, deren Realitätsgehalt noch zweifelhafter ist. Aus dem Film über den Regisseur wird einer über einen Mann, der sich verloren hat - als Künstler -, aber die Chance bekommt, sich wiederzufinden, was aber nicht geht, wenn er in dieser Realität verharrt. Und wenn Toby einmal über den Schuster bemerkt,
"Er glaubt jetzt wirklich, er sei Don Quixote", dann kann er sich bezüglich dieser Illusion später gepflegt selber an die Nase fassen.
Überbordende filmische Fantasie
Aber das kennen wir bei Terry Gilliam zur Genüge: aus "Tim Bandits" oder "Brazil", aus "König der Fischer" oder "12 Monkeys" oder aus "Fear and Loathing in Las Vegas". Toby, der Filmemacher, der am Ende selber zum Ritter wird und eben gar keine so traurige Gestalt abgibt, können wir als Alter Ego zu Terry Gilliam "lesen", der mehr als zwanzig Jahre besessen durchhielt, um "The Man Who Killed Don Quixote" drehen zu können. Oder? Ist es ganz anders? Nur eines ist sicher: gegen alle Widerstände von Windmühlenflügeln, gegen Stürme, die das Filmset 2000 zerstörten, gegen knauserige Produzenten, die bei Versuch zwei im Jahre 2003 nicht die Geduld und Besessenheit des Filmemachers aufbrachten, weil sie eben nur aufs Geld schauten: Dieser Film ist jetzt da, fertig, auf der Leinwand. Als überbordende Fantasie über die filmische Fantasie, in der Don Quixote am Ende natürlich mit Dulcinea, oh nein, mit Sancho Pansa, Moment, doch Dulcinea, in die Weite der Wüste reitet. Der Sonne entgegen. Natürlich Und wenn sie nicht gestorben sind …
"Auf uns beide warten große Abenteuer. Hmmh!"
Ich liebe diesen Berg von Stühlen übrigens, von Schrott, Second-Hand-Kram, riesenhoch in der Schlossszene, ein Berg, der natürlich zusammenbrechen müsste, wegen der Statik, der Gravitation, der Physik, aber es nicht tut, es sei denn, der Kinomagier Terry Gilliam schnippt mit den Fingern. Was ist schon Raum? Was Zeit? Im einem Kino, in dem sich Fantasie und Delirium immer schon die Hand gereicht haben.