"Mach die Augen auf. Sieh mich an." - "Ich hab furchtbare Kopfschmerzen." - "Massimiliano, Du kannst machen was Du willst, dich besaufen und auch sonst alles aber zieh mich da bitte nicht rein. Kapiert? Ich bin nämlich nicht mehr Deine Freundin." - "Warum bist Du denn jetzt so sauer?" - "Erinnerst Du Dich noch an gestern Nacht oder nicht?" - "Es tut mir leid, entschuldige bitte." - "An was erinnerst Du Dich denn." - "Du hast mich nach Hause gefahren oder?"
Wie es tatsächlich gewesen ist, wer tatsächlich am Steuer gesessen hat, wird man erst am Ende des Films erfahren. Das ist der Thrilleraspekt der Geschichte um eine Fahrerflucht nach dem Roman "Human Capital" von Stephen Amidon. Der deutsche Titel lautet "Der Sündenfall". Der italienische Regisseur Paolo Virzi hat ihn verfilmt.
Er verlegt die Story in die Lombardei und macht die dort ansässigen Jongleure des Finanzkapitals zu den Hauptakteuren. Im Zentrum der Geschichte steht ein Unfall, bei dem ein Fahrradfahrer lebensgefährlich verletzt wurde. Alles spricht dafür, dass Massimiliano Bernaschi der Täter ist. Das ist der verwöhnte Sohn des reichsten Mannes der Stadt, der mit seinen Fondsgeschäften Millionen gescheffelt hat. Anschließend hat der junge Mann offenbar, ohne dem Verletzten zu helfen, die Flucht ergriffen. Mit einem erzählerischen Kunstgriff wird die Geschichte bis zur Enttarnung des wahren Täters zu einem mehrdimensionalen Gesellschaftsporträt. Das Drama wird aus drei Perspektiven erzählt. Aus der Sicht des Emporkömmlings Dino, dessen Tochter mit Massimiliano befreundet ist oder besser war. Aus der Sicht von Carla Bernaschi, die ein gelangweiltes Luxusleben an der Seite ihres Mannes führt. Und aus der Perspektive von Dinos Tochter Serena, die das verlogene Netzwerk der Superreichen hinter sich lassen will. So zerfällt der Film eigentlich in drei parallele Geschichten, die zusammen genommen die Tiefenschichten der Beziehung zweier Familien enthüllen. Carla zum Beispiel ist als Ehefrau des eiskalten Paten im Zentrum des dargestellten Beziehungsgeflechts zu einer frustrierten Shopping-Queen geworden. Von ihrem Chauffeur lässt sie sich von einem Edelladen zum anderen bringen.
"Wohin fahren wir?" – "Also ich brauche unbedingt ein Paar neue Schuhe. Also fahren wir zu Baldoni." – "Sehr gern Signora." – "Oder nein doch lieber zu Cruze. Dann kann ich vielleicht endlich den Stoff aussuchen für die neuen Vorhänge im Salon." - "Sehr gern Signora." – "Tut mir leid, ja." – "Aber Signora, ich bitte Sie." – "Oder vielleicht fahren Sie mich zu Adriana in den Antiquitätenladen von Crusetti."
Ungewöhnlich präzises Sittenbild der Ära Berlusconi
Dino ist nicht wirklich reich. Er will aber mitmachen in der Welt der Spekulation und der Geldgier. Deswegen hat er sich Unsummen geliehen, mit denen er in den neuen Fonds von Giovanni Bernaschi eingestiegen ist. Das böse Erwachen aus dem Traum vom Reichtum ruiniert den ehrgeizigen Immobilienmakler ein für allemal.
"Ich hab mich nicht klar ausgedrückt. Wir haben auf einen Crash gewettet und der ist nicht eingetreten. Er hat nicht stattgefunden. Dino, was ich sagen will ist, dass die Positionen deutlich eingebrochen und gesunken sind." – "Gesunken, ja?" – Wie viel gesunken. Na ja im Moment sind wir bei einem Verlust von etwa 90." – "Prozent?
Virzi gelingt mit diesem Film ein ungewöhnlich präzises Sittenbild der Ära Berlusconi mit all ihrem skrupellosen Geschacher. Nur Reichtum zählt, auch wenn er mit dubiosen Methoden erzielt worden ist. Lediglich Tochter Serena verkörpert so etwas wie die Hoffnung auf ein neues Italien. Virzis Psychogramm einer kaputten Gesellschaft ist gerade deswegen eindrucksvoll, weil es sich anders als etwa Nanni Moretti mit seinem Film Il Kaimano - das Krokodil - gerade nicht auf Berlusconi direkt bezieht. Vielmehr spiegelt Virzis Film eine allgemeine gesellschaftliche Stimmung. Das gelingt ihm mit einem atmosphärisch dichten detailverliebten Erzählton und mit einer hervorragenden Darstelleriege, die das Gestanzte der Figuren mühelos überspielt. Turmhoch über allem steht dabei Valeria Bruni-Tedeschi als frustrierte Ehefrau, die Teil des Systems aber auch, dessen sarkastische Kritikerin ist.
"Es läuft ja auch alles Bestens. Ihr habt auf den Niedergang des Landes gewettet und ihr habt gewonnen." – "Wir haben gewonnen. Du gehörst auch dazu Liebling.