Das Kino und die Phänomene, die es umgeben - Starrummel, Fanhysterie -, sind eine infektiöse Angelegenheit: Publikum und die Macher selber lassen sich wechselseitig von der Magie des Kinos anstecken. Sie sind ein magisches Ereignis - so wie jenes "Wolken-Phänomen von Maloja" im Engadin, dem der "Bergfilmer" Arnold Fanck 1924 seinen gleichnamigen Kurzfilm gewidmet hat: Wie ein riesiger Lindwurm schiebt sich darin eine Wolke minutenschnell vor das prächtige Alpensonnenpanorama.
Vielfältigster Filmemacher der Gegenwart
Diesen 90 Jahre alten Film zitiert der Franzose Olivier Assayas in seinem neuen Werk: Wie die Wolken, die darin die Schönheit verhüllen, wirken heute die Blitzlichtgewitter der Paparazzi. Diese Wolken sind es aber auch, die der Welt ihr Geheimnis zurückgeben können, und dem Kunstwerk eine Aura, die es laut Walter Benjamin vermeintlich auf immer verloren hatte. Dieser "Verlust der Aura", die Versprechen und der Betrug unserer gegenwärtigen von PR durchdrungenen Gesellschaft - es sind diese aktuellen Themen, die Assayas, einer der vielfältigsten Filmemacher des Gegenwartskinos, hier brillant durchdekliniert.
Brillant und durchdekliniert
Gedreht hat er mit Kristin Stewart, so großartig und facettenreich wie noch nie, und einer wunderbaren Juliette Binoche, dazu noch einer Handvoll deutscher Darsteller, darunter Angela Winker und Hans Zischler.
Binoche spielt Maria Enders, eine berühmte Film-Schauspielerin. Sie und ihre Assistentin Val (Stewart) sind ein perfektes Paar. Immerzu mit dem Blackberry in der einen, dem iPhone in der anderen Hand koordiniert Val die Termine des kapriziösem Weltstars, wimmelt Presseanfragen ab und verfasst PR-Mitteilungen.
"Hallo? Nein hier ist Valentine, Marias persönliche Assistentin. Die Paparazzi werden sich auf Maria stürzen, das ist ihnen doch klar."
Zwischen Freundschaft, Anziehung und Rivalität
Der Film beginnt mit den beiden in einem altmodischen Zug auf dem Weg zu einer Preisverleihung durch die Schweizer Berge. Da erreicht sie die Nachricht, dass der Regisseur und Entdecker von Maria überraschend verstorben ist - das Stück, mit dem die beiden einst zusammen berühmt wurden, soll nun erstmals seitdem mit Maria neu inszeniert werden. Es geht darin um das Verhältnis zwischen einer älteren mächtigen Schauspielerin, und einer jüngeren, ihre Karriere und ihr Leben erst findenden Frau, das zwischen Freundschaft und Konkurrenz, Anziehung und Rivalität schwankt. Einst spielte sie die Junge, nun soll Maria die Rolle der Älteren spielen. Widerwillig hat sie angenommen, und bereitet sich auf einem abgeschiedenen Châlet nahe bei Sankt Moritz auf die Rolle vor.
Vermischung von Kunst und Leben
Auch für Maria und Val vermischen sich nun Kunst und Leben zusehends. Denn während die beiden bei Bergwanderungen Erholung suchen, und den Text proben, kommt noch eine dritte Frau ins Spiel: Das Hollywood-Starlet Joe-Ann, das in der Neuauflage die jüngere Frau spielen, also Marias alte Rolle übernehmen soll. Sie ist absolut modern, auch im Umgang mit Paparazzi und Medien.
"Sils Maria" ist ein erstaunlicher Film: Eine Komödie, überaus gelassen, ruhig, ohne abgeklärt zu sein, sinnlich und schön. Eine ironische Reflexion über das Kino, die nur so von scharfsinnigen, sarkastischen Sottisen über den heutigen Starbetrieb strotzt. Denn dies ist ebensogut ein Film über das Kino, wie er ein Film über den Boulevard ist, den Starbetrieb, der auch von seinen Feinden noch zu ernst genommen wird. Er handelt von ähnlichen Fragen, wie sie Godard und Cronenberg in ihren letzten Werken aufgreifen: Was macht es mit unserer Gesellschaft, dass Stars und Celebrities zu Vorbildern werden, dass die Menschen sich zunehmend in virtuellen Welten verlieren.
In seinem Hohngelächter über die Gegenwart dreht sich Assayas' Film um ernste Themen, ums Altern, um den Generationskonflikt zwischen den beiden Frauen.
"You really had class" - "This was my first Hollywood-Film"
Binoche spielt sich gewissermaßen selbst
Fast wirkt die junge Konkurrentin Joe-Ann, gespielt von Shooting-Star Chloe-Grace Moretz, wie eine fiktive Kopie von Kristin Stewart, was den Charme der Besetzung zusätzlich erhöht. Und auch wenn Juliette Binoche gewissermaßen sich selber spielt, kopiert Kino das Leben und umgekehrt. Assayas gibt seinen Darstellerinnen die Gelegenheit zu ausgezeichneten, intensiven Auftritten - und man ertappt sich dabei, melancholisch zu werden ob der Hunderten von Chancen die unser durchformatiertes und überscriptetes Kino jährlich verschenkt.
Vor all dem aber stellt "Die Wolken von Sils Maria" in dem er den Alltag und die Ängste seiner Figuren zeigt, die Frage, in was für einer Welt wir eigentlich leben, wie Boulevardjournalismus und der alltägliche Medien-Tsunami uns dumm und unglücklicher machen, und worauf es stattdessen im Leben wirklich ankommt.