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Film
Literatur, Mathematik oder Malerei auf der Leinwand

Der Film "Genius" erzählt von der Beziehung zwischen dem Schriftsteller Thomas Wolfe und seinem Lektor, aber auch von der Magie der Literatur. Wie wird Kunst im Genre Film dargestellt - in angemessener Erzählweise oder anhand von Klischees?

Von Hartwig Tegeler |
    Film, Filmrolle, Kino, Filmprojektor, Zelluloid
    Für die innere Erfahrung, die zur Entstehung von Literatur oder einer mathematischen Gleichung führt, finden viele Filme keine Bilder. (dpa / picture alliance )
    1913. Das Trinity College in Cambridge. Lehrer testet Schüler.
    "Die Quadratwurzel von 58.639. Los! - 242. - 242 was? - Komma 1549090. - Ja, ein Kinderspiel."
    Wohl kaum. Und es hilft auch nicht, wenn das Mathematik-Genie Srinavasa Ramanujan im Film "Die Poesie des Unendlichen" mit seinen Gleichungen - wie behauptet - in einen Kosmos der Poesie eingetreten ist.
    "Es ist wie Malen. Stelle es dir in Farben vor, die du nicht sehen kannst."
    Für uns bleibt das nur Behauptung. Da mögen auf der Leinwand noch so viele labyrinthische Gleichungen aus Kreide auf riesigen Tafeln präsentiert werden.
    "Die Poesie des Unendlichen", Matthew Browns Film über die Mathematik, genauso "Bauernopfer", Edward Zwicks Schachfilm - beide in diesem Jahr in unseren Kinos -, wie jetzt auch "Genius", Michael Grandages Geschichte über den Schriftsteller Thomas Wolfe und seinen Lektor Max Perkins: Drei Beispiele dafür, wie ein Film behauptet, etwas über Kunst und ihre besonderen Geheimnisse zu vermitteln. Doch wir verstehen schlicht nicht, was denn das mythisch Faszinierende an der Literatur, dem Schachspiel oder an der hohen Mathematik ist, von dem in diesen Filmen immer wieder vollmundig geredet wird.
    "Ich werde dir zeigen, wie du in 13 Zügen hättest gewinnen können."
    Film über Bobby Fischer als Schach-Genie
    Offensichtlich - das sagt seine Biografie, das erzählt auch der Film "Bauernopfer" - war Bobby Fischer ein Schach-Genie.
    "Wie du siehst, habe ich mein Maschinengewehr voll auf seinen König gerichtet."
    Eine komplexe Kunst, aber zu sehen, bekommen wir über sie nur Klischees. Tobey Maguire und Liev Schreiber beim großen Weltmeisterschaftsturnier:
    "Und jetzt fängt die wahre Attacke an."
    Schachbrett, grübelnde Schachmeister. Klicken auf die Stopp-Uhr.
    "Schach, Schach!"
    "Bauernopfer" ist weit entfernt von einer visuellen Fantasie darüber, wovon der Film redet. Die Bilder der Schachfiguren in Großaufnahme sind so originell wie die Zahlenkolonnen, die das indische Mathe-Genie in "Die Posie des Unendlichen" in sein Notizbuch schreibt.
    "Halten Sie je inne und denkend daran, wie viel Mühsal in jeder einzelnen Zeile steckt?"
    Im Film "Genius" kritzelt Jude Law als Schriftsteller Thomas Wolfe am Kühlschrank stehend Sätze auf zerknittertes Papier. So also soll große Literatur entstehen? Ach ja! Konventionelle Filme wie "Genius" hangeln sich von solchen Klischees zum nächsten. Für die innere Erfahrung, die zur Entstehung von Literatur oder einer mathematischen Gleichung führt, finden diese Filme keine Bilder. Und weil sie diese Bilder nicht liefern können, retten sich Drehbuchautoren und Regisseure dann in der Regel in die Biopic-Beziehungsgeflechte zwischen dem Schriftsteller und seinem Lektor oder dem Mathematiker und seinem Mentor oder dem Schach-Großmeister und dem Schach-Großmeister-Konkurrenten. Und schon hätten wir die zweite Batterie von Klischees.
    Konventionelle Erzähldramaturgie durchbrochen
    Das Problem dieser Filme ist am Ende die Art, Geschichten zu erzählen, indem sie sich sklavisch an vorn und hinten, Anfang und Ende halten. Mike Leigh hingegen durchbricht in "Mr. Turner - Meister des Lichts" von 2014, seinem Porträt über den englischen Maler William Turner, diese konventionelle Erzähldramaturgie. Ganz ähnlich wie Maria Schrader in ihrem wunderbaren aktuellen Film "Vor der Morgenröte - Stefan Zweig in Amerika" erzählt Mike Leigh in Episoden. In diesem Zergliederten, ...
    "Mr. Turner hat sich wohl von jeglicher Form verabschiedet. Ein schmutziges gelbes Geschmiere."
    ... im Diskontinuierlichen unternimmt Mike Leigh eine Annäherung an den Maler und hinterlässt uns mit einem Füllhorn anregender Fragen. So entsteht ein ganz eigener besonderer Bilder-Raum für die Literatur oder die Malerei. Die einzige Möglichkeit, sich im Bilder-Medium Kino den anderen Künsten anzunähern.