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Film "On the Milky Road"
Zwei Liebende, die Krieg und Tod trotzen

Von zwei Liebenden im jugoslawischen Bürgerkrieg handelt Emir Kusturicas neues, burleskes Märchen, in dem sich die düstere Realität und der magische Realismus die Hand reichen. Allerdings gelingt das in "On the Milky Road" weniger perfekt als in den Meisterwerken des serbischen Filmemachers.

Von Hartwig Tegeler |
    Die Braut (Monica Bellucci) und Kosta (Emir Kusturica) beim Baden im Fluss
    Die Braut (Monica Bellucci) und Kosta (Emir Kusturica) beim Baden im Fluss (Weltkino Filmverleih)
    Eine wunderbare Bilderorgie am Anfang. Der Wanderfalke fliegt über das Gebirge, über die Schützengräben der Bürgerkriegsparteien. Dann springt eine Gans im Dorf über eine Mauer; eine zweite folgt. Die Gänseschar watschelt am Esel vorbei, im Hintergrund ein Hahn. Zwei Männer schleppen das Schwein ins Schlachthaus. Dann springen die Gänse in die Badewanne mit dem Schweineblut. Das gerinnende Blut auf ihren Federn lockt die Fliegen an. Die Gänse brauchen nur zuzuschnappen. Frühstück. Der Wanderfalke schießt herunter, schnappt sich die Schlange, die sich auf einer Mauer am Dorfrand sonnt. Dann kommt der Hubschrauber. Kosta erwacht. Und wir sind mitten drin im jugoslawischen Bürgerkrieg. Ein Traum, ein Albtraum: Wo ist die Grenze?
    Liebesgeschichte zwischen den Fronten
    Kosta ist der Milchmann in "On the Milky Road", der sich auf seinem Esel zwischen den Fronten bewegt. Ein wenig wie der Filmemacher, der seit den Zeiten des jugoslawischen Bürgerkriegs immer wieder kritisiert wurde für seine Fantasie von einem Großserbien, der dann ideologisch zurückruderte - ein wenig -, von der Multikulturalität seiner Familie schwärmte, um dieses Gefüge im nächsten Interview wieder als unmöglich zu behaupten. Kosta - signifikanterweise gespielt von Emir Kusturica - ist - ebenfalls wie Kusturica - Musiker. Die Frauen lieben Kosta. Da ist Milena, die immer wieder mit dieser Bahnhofsuhr kämpft.
    "Uihhhh!"
    Und dann, …
    "Schönes Weib ist das."
    … dann ist da noch diese geheimnisvolle Frau - Monica Bellucci. Kosta und diese Schöne: Sie "trifft der Blitz".
    Kosta (Emir Kusturica) und die Braut (Monica Bellucci)
    Kosta (Emir Kusturica) und die Braut (Monica Bellucci) (Petr Nasic)
    "Ich bin Kosta. Und du? Wer bist du? - Na ja, ich bin nicht mehr die, die ich einst war. Damals. Davor. Vor allem. - Das ist ja wie bei mir. Ich bin auch nicht mehr, der ich mal war. - Dann ähneln wir uns."
    Eine Liebesgeschichte in Zeiten des Bürgerkriegs. Keine gute Chance auf ein Happy End. Denn Kosta und seine Geliebte müssen vor dem Killerkommando ihres ehemaligen Liebhabers fliehen.
    "Aber was können wir sonst machen? Außer wegrennen?"
    Atmosphärisch, aber nicht aus einem Guss
    Aber immer wie bei Kusturica ist auch diese Geschichte nicht nur "von dieser Welt". Irgendwann verstecken sich die beiden in einem alten Baum. Als sich die Verfolger nähern, erheben sich die Liebenden einfach in die Luft. Magischer Realismus à la Emir Kusturica. So geraten auch die Bilder in "On the Milky Road" immer wieder in diesen Kusturica-Rausch, der uns in "Time of the Gypsies" - 1989 - schon betörte. Die Flucht vor Tod, Krieg und Gewalt, Trauer und Verzweiflung hinüber auf eine andere, eine magische Ebene wird auch hier zum ästhetischen Prinzip. Und Kusturicas Sohn Stribor unterlegt die Bilder mit seinem Balkanpop.
    Auch in "On the Milky Road" flackert also die Kunst des Kinomagiers Kusturica immer wieder auf. Allein die Anfangssequenz ist ein Meisterwerk atmosphärischer Komposition, die uns mit wenigen Pinselstrichen in einen Erzählkosmos katapultiert. Da erinnert "On the Milky Road" schon an "Time of the Gypsies", "Arizona Dream", "Underground" oder "Schwarze Katze, weißer Kater". Doch anders als diese Meisterwerke wirkt der neue Film nicht wie aus einem Guss. Der kunstvoll-kuriose Wechsel der Realitäten wirkt manchmal gar ein wenig wie die Wiederholung eines bewährten Prinzips.
    Kosta (Emir Kusturica) auf seinem Esel
    Kosta (Emir Kusturica) auf seinem Esel (Marcel Hartmann)
    Der Eindruck entsteht auch, weil schwer zu verstehen ist, was Kusturica uns erzählen will. Es geht um die Lebenslust, die auch der Bürgerkrieg nicht auslöschen kann. Allen scheint aber der Krieg nicht wirklich etwas auszumachen. Wegen eben der vorhandenen prallen Lebensfreude. Lieben, Leben, Sterben, in die Luft gejagt werden - ja, so ist das Leben, was sollst du machen! Diese Botschaft hinterlässt schon einen schalen Beigeschmack. Gegen den auch das zugegeben berührende Abschlussbild nichts hilft: Der alte Mönch - Kosta, 15 Jahre später - bedeckt ein Bergplateau mit Steinen und schafft so einen Ort der Erinnerung. Das ist eindrucksvoll, wirkt aber irgendwie auch hinzugefügt.