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Film "Timbuktu"
In der Gewalt der Glaubensterroristen

Was passiert mit Menschen, deren Stadt von islamistischen Terrorgruppen übernommen wird? Der mauretanische Filmemacher Abderrahmane Sissako erzählt unter dem Eindruck der Besetzung von Timbuktu im Jahr 2012 vom Eindringen der fundamentalistischen Herrschaft in den Alltag der Bewohner.

Von Hartwig Tegeler |
    Der mauretanische Regisseur Abderrahmane Sissako brach bei der Pressekonferenz in Cannes in Tränen aus.
    Der mauretanische Regisseur Abderrahmane Sissako (dpa/picture alliance/Ian Langsdon)
    Eine Frau wird ausgepeitscht, 40 Schläge. Von einem sogenannten Gotteskrieger. Sie hatte sich mit einer anderen Frau und zwei Männern in einem Haus getroffen. Sie machten Musik und sangen. Sie trug bunte Kleidung. Jetzt ist sie ganz in Schwarz gekleidet. Wir sehen kein Blut, keinen nackten Rücken mit Striemen. Wir sehen das Gesicht der Frau, ihren Schmerz, ihr Entsetzen; sie schreit, dann fängt sie an zu singen. Die Peitsche gibt den Rhythmus vor. Doch das Singen beim Auspeitschen, das ist der Widerstand gegen die Gewalt der Fundamentalisten, von der Abderrahmane Sissako in "Timbuktu" erzählt.
    2012 fiel Timbuktu in Mali in die Hand islamischer Milizen. Filmemacher Abderrahmane Sissako erzählt aber nicht von diesen Ereignissen; seine Geschichte im Film "Timbuktu" erzählt vom Umgang der Menschen mit dem Terrorregime in einer eher fiktiven Oasenstadt. In der Stadt erdulden sie die Scharia-Gesetze. Die Terrorwächter sind überall in der Stadt präsent.
    Musik, Lachen, Zigaretten und auch das (Fuß-)Ballspielen sind verboten. Eine eindrucksvolle Szene im Film zeigt eine Gruppe von Jugendlichen, die ohne Ball, aber in Trikots auf einem sandigen Platz imaginären Fußball spielen. Ein symbolischer Widerstands gegen den Terror wie das Singen der Frau, die ausgepeitscht wird.
    Widerstand gegen das Regelwerk
    Doch trotz des Widerstands erzählt "Timbuktu", wie das starre, brutale und sadistische Regelwerk der vorgeblichen "Gotteskrieger" langsam, aber mit tödlicher Konsequenz das Gemeinwesen einer liberalen und toleranten, der Welt gegenüber offenen Sahara-Metropole in die Knie zwingt, ihren Geist aushöhlt und sie leer macht. Die Freiheit stirbt. Was sich in den Gesichtern der Protagonisten des Films widerspiegelt. Deutlich macht Abderrahmane Sissako das am Beispiel von Kidane, dem Beduinen, der mit seiner Frau, seiner Tochter, einem zwölf Jahre alten Hirtenjungen und seinen sieben Kühen in den Dünen in der Nähe der Stadt wohnt. Seine Nachbarn sind vor den religiösen Fundamentalisten, die die Stadt übernommen haben, geflohen. Kidane glaubt, friedlich, am Rande des Terrors weiter leben zu können. Als er aber aus Versehen einen Fischer erschießt, der seine Lieblingskuh getötet hat, fällt auch er unter das Gesetz der neuen, mächtigen Besatzer.
    Alles wird sehr schnell gehen. Du hast nicht mehr viel Zeit, sagt der Dschihadist. Man wird die Scharia, das Gesetz Gottes, anwenden. Das Schicksal kann nicht abgewendet werden, sagt der Beduine. Mein Schicksal liegt in Gottes Händen.
    "Timbuktu" lebt nicht nur von den düsteren Geschichten der Willkür, der Gewalt, des Terrors. Er zeigt auch - kunstvoll in seine Erzählung eingebaut - in kleinen Nebensträngen die Widersprüchlichkeit der Fundamentalisten, die Rauchen verbieten und selber rauchen, die Fußball verbieten und selber über Zidane und Messi sprechen, die sich die schönen Frauen der Stadt gefügig machen wollen.
    Er will das schöne Mädchen, das er in der Stadt sah, heiraten, lässt der arabische Dschihadist, der Ausländer hier im malischen Timbuktu, seinen Übersetzer der Mutter des Mädchens sagen. Das macht man nicht in dieser Weise, das entspricht nicht der Tradition, empört sich die Mutter. Deine Weigerung zwingt mich jetzt, Gewalt anzuwenden, meint der vorgebliche gottesfürchtige Krieger. Und dann der Satz der Frau: Ich fürchte mich nicht vor ihm. Ich fürchte nur Gott. Noch eine Form des Widerstands gegen die Glaubensterroristen, gespeist aus der inneren Kraft eines Glaubens, der keine Kalaschnikows und menschenunwürdigen Regeln braucht, um zu überzeugen.
    Im Licht der Wüste
    Dies alles zeigt "Timbuktu" in atemberaubenden Bildern. Bilder von Landschaften und ockergelben Gebäuden inmitten der Wüste, von Licht und dem Gelb der Sanddünen. Dazu die Schönheit der Menschen, deren dunkle Haut einen magischen Kontrast zu dem hellen Land zeichnet. Es ist eine Schönheit, die als ein ästhetischer Kontrapunkt zu menschenverachtenden wie schönheitsverachtenden Ideologie des Fundamentalismus ist.
    Abderrahmane Sissako, gebürtiger Mauretanier, lange Zeit in Mali, nun wieder in seiner Heimat lebend, beginnt seinen Film mit dem Bild einer Gazelle, die von Dschihadisten auf ihrem Pick-up gejagt wird. Sie ballern mit ihren AK47-Schnellfeuergewehren auf das Tier, bis einer brüllt: Erschieß es nicht, hetze es. Welche Gewalt, welche Grausamkeit liegt in diesem Bild. Am Ende von Timbuktu rennen der Hirtenjunge Issan und das Mädchen Toya und ein anderer Mann durch die Wüste. Dazwischen geschnitten die Gazelle vom Anfang. Die Menschen fliehen, sie werden gehetzt. Sie stehen für die Unschuld in einer Welt, in der die Ammenmärchen vom rechten Glauben alle Humanität abgetötet hat. "Timbuktu" erzählt davon mit der großen Wucht seiner Bilder.