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Film "Toni Erdmann"
Die Kunstfigur als Zugang zur Tochter

Maren Ades Film "Toni Erdmann" ist ein großer Überraschungserfolg in Cannes gewesen. Darin sucht ein Vater den Kontakt zu seiner Tochter, die Unternehmensberaterin ist und verwandelt sich dafür in eine Kunstfigur. Nun kommt der Film in die Kinos.

Maja Ellmenreich im Gespräch mit Henning Hübert |
    Sandra Hüller als Ines und Peter Simonischek als Winfried/Toni in einer Szene des Films "Toni Erdmann": Das Filmfestival Cannes schickt mit "Toni Erdmann" der Regisseurin Maren Ade seit Jahren wieder einen deutschen Beitrag ins Rennen um die "Goldene Palme".
    Sandra Hüller als Ines und Peter Simonischek als Winfried/Toni in einer Szene des Films "Toni Erdmann". (picture alliance / dpa / Komplizen Film/NFP)
    Henning Hübert: Selten wurde dem Start eines deutschen Kinofilms so sehr entgegengefiebert wie "Toni Erdmann", dem neuen Film von Regisseurin Maren Ade. Zwar hat die Jury bei den Filmfestspielen von Cannes "Toni Erdmann" bei der Preisvergabe im Mai komplett ignoriert, dennoch war die Komödie der Überraschungserfolg in Cannes, kann man sagen: Im Kinosaal gab es Szenenapplaus und Standing Ovations, weiß meine Kollegin Maja Ellmenreich. Die Fachpresse überschlug sich regelrecht vor Lob. Und immerhin ging wenigstens der "Preis der internationalen Filmkritik" an "Toni Erdmann". Jetzt ist er auch für den LUX-Filmpreis des EU-Parlaments nominiert worden. Diesen Donnerstag wird "Toni Erdmann" endlich in die deutschen Kinos kommen. Maja Ellmenreich, wer ist dieser Toni Erdmann, dargestellt vom Wiener-Burg-Schauspieler Peter Simonischek?
    Maja Ellmenreich: Toni Erdmann ist eigentlich eine Kunstfigur, eine Fantasietype. Die hat sich ein Mann namens Winfried Conradi einfallen lassen. Ich beschreibe erst einmal Toni Erdmann: Das ist ein Zottelperückenträger mit schiefem Spaßgebiss, bei dem man nie so richtig weiß, was er als Nächstes tut oder macht, was er sagen wird. Vom Aussehen eine Mischung aus Helge Schneider und Loriots Maskenmonster. Diese Kunstfigur hat sich Winfried Conradi einfallen lassen, denn er braucht sie, um wieder an seine Tochter – gespielt von Sandra Hüller – irgendwie ranzukommen. Dieser Winfried Conradi ist ein Alt-68er, ein Musiklehrer aus Aachen. Er führt nicht das glücklichste Leben. Und seine Tochter als Unternehmensberaterin tourt durch die ganze Welt. Und diese beiden haben in den unterschiedlichen Welten, in denen sie leben, den Draht zueinander verloren. Und nun reist der Vater seiner Tochter nach Bukarest nach und möchte den Kontakt zu ihr wieder aufnehmen. Das geht aber gründlich schief. Er reist wieder ab – die beiden sprechen einfach so unterschiedliche Sprachen. Dieser Besuch ist beendet. Und dann taucht kurz darauf Toni Erdmann auf; die Tochter erkennt ihn natürlich. Aber diese Kunstfigur schmuggelt sich quasi ins Leben der Tochter, taucht bei Empfängen auf, in ihrer Firma, gibt sich als Coach und Berater aus und manövriert sich selbst und seine Tochter in ganz absurde Situationen.
    Hübert: Da steckt viel Klamauk dahinter, viel Albernheit? Helge-Schneider-Perücke, haben Sie gesagt. Bleibt es dabei? Erschöpft es sich darin?
    Ellmenreich: Erst einmal: Dieser Klamauk und diese Albernheit sind ganz, ganz groß. Sekundengenaues Timing und ganz, ganz hohe Schauspielkunst erleben wir da – eine Professionalität, die an den Tag gelegt wird, die Maren Ade auch beschrieben hat, die Regisseurin. Da wurden also einzelne Szenen tagelang gedreht, bis wirklich alles stimmte. Denn das Ziel war es ja, eine Figur eine andere Figur spielen zu lassen. Also, da wird schon klar, dass das kein oberflächlicher Klamauk ist; sondern wenn sich Toni alias Winfried auf ein Furzkissen setzt, dann lachen wir nicht nur über den Gag an sich, sondern auch darüber, was sich ein Vater einfallen lässt, um seine Tochter aus ihrer so angestrengten Businessfassung zu bringen. Und dann bleibt einem das Lachen doch ab und zu im Halse stecken.
    Tochter sind die Eltern irgendwie peinlich
    Hübert: Ist es eine Komödie oder wird es ein Familiendrama?
    Ellmenreich: Naja, jede Komödie ist ja auch immer eine Tragödie. Und es geht im Kern um einen Generationenkonflikt, bei dem wir dabei sein dürfen, und den wir vielleicht auch alle kennen. Diese Tochter Ines hat sich beruflich, geografisch, aber auch emotional ganz weit entfernt von ihren Eltern, ist eigentlich erwachsen. Aber ist dann doch noch nicht so groß, als dass sie wirklich schon über den Dingen stehen könnte. Die kann ihren Vater einfach nicht so nehmen wie er ist. Und sie reagiert mit diesem kindlichen Reflex, den wir wahrscheinlich auch alle kennen, dass einem die Eltern irgendwie peinlich sind. Dieses Dilemma verschärft sich natürlich, weil es diese Frau eigentlich geübt ist, immer die Situation im Griff zu haben. Und zu ihrem Eigenbild passen eigentlich emotionale Blockaden und Peinlichkeiten überhaupt nicht. Man hört das vielleicht ganz gut in einem Dialog, wenn der Vater sie auf die althergebrachte Art eines Vaters anspricht und versucht, sie emotional zu knacken.
    - "Na? Bist Du denn auch ein bisschen glücklich hier?"
    - "Was meinst Du mit Glück? Glück ist ja ein ziemlich starkes Wort."
    - "Ich meine, ob Du mal ein bisschen zum Leben kommst auch. Halt auch mal was machen, was Spaß macht."
    - "Schwirren jetzt ganz schön viele Begriffe hier rum: Spaß, Glück, Leben. Was findest denn Du lebenswert? Wenn Du schon die großen Themen hier hochbringst?"
    Ellmenreich: Rums! Da gibt sie ihrem Vater also die volle Breitseite, weil sie es gar nicht aushalten kann, mit ihm so zu sprechen wie er sie auch anspricht. Und dann kommt diese Kunstfigur Toni Erdmann ins Spiel – und auf diese Figur kann sich Ines dann doch einlassen. Wenn sie sich schon nicht auf ihren Vater einlassen kann, dann doch wenigstens auf das Rollenspiel. Die beiden haben also die Gelegenheit, durch das Spiel eine Distanz herzustellen. Und dann können sie doch wieder ein bisschen mehr so sein wie sie sind. Und da erleben wir Ines auf eine hervorragende Art und Weise, wie sie langsam wieder Mensch wird, wie sie also langsam wieder zu der Tochter von Winfried oder auch von Toni wird.
    Hübert: Das klingt danach, als hätte "Toni Erdmann" auch das Zeug zum internationalen Erfolg?
    Ellmenreich: Ja, auf alle Fälle. Nur weil die Jury nicht zugestimmt hat, war die internationale Kritikerwelt begeistert von diesem Film. In Cannes wurde oft die Frage nach dem deutschen Humor gestellt. Und ich glaube, das ist eher ein universeller Humor, der da transportiert wird. Also, wie ein Kind, das über die Konsequenzen seines Handelns nicht nachdenkt, pfeift auch er auf die Folgen seines Tuns. Und ich glaube, das ist so ein Humor, den versteht man überall auf der Welt. Genauso wie auch das Phänomen, dass einem die Eltern peinlich sind beziehungsweise dass einem die Kinder peinlich sind – das ist ja auch was Internationales.