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Film über Glasgow
Der Sound deines Computers gibt dir Sicherheit

Der Brite Phil Collins ist - im Gegensatz zu seinem Namensvetter - kein Musiker, sondern ein international erfolgreicher Videokünstler. In dieser Woche läuft sein erster Film in den deutschen Kinos an: „Tomorrow is always too long“. Ein außergewöhnlicher Musik-Film über Glasgow und seine Menschen.

Von Simone Schlosser | 15.03.2016
    Blick auf die schottische Stadt Glasgow
    Blick auf das schottische Glasgow, die Heimatstadt vom Videokünstler Phil Collins (picture-alliance/ dpa)
    Ein Dokumentar-Musical mit singenden Amateurdarstellern. Eine Liebeserklärung an Glasgow und seine Bewohner. Eine Großstadtsymphonie mit popkulturellem Hintergrund. Der Film von Videokünstler Phil Collins entzieht sich jeder Einordnung:
    "Ein kaleidoskopischer Nachtzug in den Voodoo Puls dieser Stadt. So würde ich den Film beschreiben. Aber selbst mir fällt es schwer, ihn einzuordnen, weil es so viele Ebenen gibt, die gleichzeitig passieren. Auf jeden Fall ist der Film in Bewegung."
    Im Mittelpunkt stehen die Bewohner Glasgows: Ein Jahr lang hat sich Phil Collins in seiner ehemaligen Heimatstadt herumgetrieben: Er hat ein junges Paar durch die Schwangerschaft begleitet. Ist mit Stammgästen in Pubs und Diskotheken versackt. Und hat als Roadie für ein schottisches Elvis-Double gearbeitet:
    "In vielen Filmen und Beschreibungen über Glasgow geht es um Gewalt, Armut und Drogen. Ich wollte einen anderen Blick auf diese Themen werfen. Eine Zärtlichkeit zurückholen, die man in diesem Sozialrealismus nicht findet. Deshalb bin ich an diese scheinbar unsichtbaren Orte gegangen, die eine Stadt ausmachen, aber die man nur besucht, wenn man etwas braucht. Durch die Freundschaften, die ich dort geknüpft habe, habe ich Glasgow erst richtig kennengelernt."
    Schlüsselszenen des Films sind die Musical-Einlagen
    Als fiktive Dokumentation erzählt Phil Collins den Alltag in Glasgow. Gedreht hat er in Kindergärten und Schulen. Auf der Geburtsstation eines Krankenhauses. Während eines Tanzcafés in einem Seniorenheim. Schlüsselszenen sind die Musical-Einlagen seiner Protagonisten. Einer davon ist der Gefängnisinsasse Mick Harden. In einer engen Zelle singt er von seinen Ängsten und Träumen:
    "Viele der besten Pop- und Rock-Sänger sind keine guten Sänger im klassischen Sinne. Man muss nur mal an Lou Reed denken oder an Bob Dylan oder Morrissey. Im Film wollte ich möglichst viele verschiedene Stimmen hören. Die meisten hatten noch niemals zuvor gesungen. Aber ich wollte diesen besonderen Moment, wenn sie mit einem Orchester singen. Das war für mich einfach ein Teil des Deals."
    Geschrieben hat die Songs die walisische Singer-Songwriterin Cat Le Bon. Die Musik stammt von Mogwai-Musiker Barry Burns, mit dem Phil Collins zusammen eine Berliner Bar betreibt. Eingespielt wurden sie schließlich vom Schottischen Nationalorchester. Durch diese Mischung wurden aus den zurückgenommen Balladen üppige Pop-Songs.
    "Ich arbeite viel mit Popkultur und Popmusik, denn für mich hat das radikales Potential. Natürlich gibt es auch diese toten Winkel der Popmusik, in denen sie sehr wenig zu sagen hat. Aber es gibt immer wieder auch diese Ausbrüche, in denen sie emotionale Bereiche berührt, die andere Kunstformen nicht erreichen können.
    Hommage an das Trash-Fernsehen der 90er
    Eine andere Ebene des Films ist das medienkritische Trash-Fernsehen: In einer Art Hommage an die Neunziger zappt sich Phil Collins durch ein selbst gestaltetes Bürgerfernsehen inklusive Kochshow und Talkrunde.
    "Ich bin mit dem Fernsehen aufgewachsen. Fernsehen war mein bester Freund. Aber ich schaue wenig Qualitätsfernsehen. Wenn, dann schaue ich nachts: Ich liebe Teleshopping-Kanäle. Fernsehwahrsagerinnen. Diese Programme, die man nur beim Durchschalten findet. In dem Film haben wir versucht, diese Anarchie einzufangen, die das Fernsehen einmal ausgemacht hat. Außerdem wollte ich etwas machen, das sehr schnell geschnitten ist, sodass man sich nicht mehr erinnert, was man zuletzt gesehen hat."
    Höhepunkt dieses Fernsehmarathons ist die schottische Schauspielerin Kate Dickie als Fernsehwahrsagerin mit einem emotional-pointierten Monolog über die Entfremdung des Menschen durch die Neuen Medien.
    Ausschnitt aus dem Film: "You're forced to be so fucking polite all the time. What violence does a smiley exact?”
    "Dieser Monolog ist das Kernstück des Films. Die einzige Szene, die ungeschnitten ist. Allein dadurch sticht sie schon heraus. Mir macht sie jedes Mal ein bisschen Angst, weil ihre Emotionalität so treffend ist. Allein dadurch, dass sie sich direkt an die Zuschauer wendet. Sie sagt immer wieder: Der Sound Deines Computers gibt Dir Sicherheit. Tatsächlich ist unser Alltag so banal in vielen Bereichen."
    In diesem Sinn ist der Film nicht nur die berührende Momentaufnahme einer Großstadt. Sondern ein Gesellschaftsporträt mit universellem Anspruch, das einerseits von der Austauschbarkeit seiner Protagonisten lebt, andererseits aber an keinem anderen Ort als Glasgow hätte entstehen können:
    "Das ist ein Film über Gemeinschaften, und über die Menschen, die diese Gemeinschaften ausmachen. Die Geschichten sind leicht erkennbar. Doch was die Menschen in Glasgow auszeichnet, ist ihre offene und forsche Art, die einerseits sehr amüsant ist, und andererseits sehr berührend."