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Film "Westfront 1918" vor 90 Jahren erschienen
Das Grauen des Ersten Weltkrieges in Bild und Ton

Todesschreie von Verwundeten, minutenlange Schlachtfeldszenen, ohrenbetäubende Maschinengewehrsalven: Georg Wilhelm Pabst wollte mit seinem "Westfront 1918" ein klares Statement gegen den Krieg setzen. Die Kritiker waren zunächst begeistert. Doch Hitlers Machtübernahme machte dem Erfolg ein Ende.

Von Hartmut Goege |
    Der österreichische Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst (undatierte Aufnahme)
    Mit "Westfront 1918" schuf Georg Wilhelm Pabst eine Anklageschrift gegen den Krieg - nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Film von 1930 verboten (picture-alliance/ dpa / DB)
    Die letzten Kriegsmonate 1918 irgendwo in Frankreich. Eine neue Angriffswelle überrascht vier deutsche Soldaten, die hinter der Frontlinie bei einem Bauern und seiner Tochter einquartiert sind.
    "Geht denn die Sauerei schon wieder los!" - "Ausgerechnet, wo ich ein Grand mit Vieren habe!" – "Mensch, zum Heldentod kommst du noch immer früh genug."
    Erich Maria Remarques Kriegsroman "Im Westen nichts neues": Das Bild zeigt die Taschenbuch-Ausgabe von 1959
    Erich Maria Remarques Kriegsroman "Im Westen nichts neues" diente als Vorlage für "Westfront 1918" (imago images / teutopress)
    Als am 23. Mai 1930 der Antikriegsfilm "Westfront 1918" von Georg Wilhelm Pabst im Berliner Premieren-Kino CAPITOL anläuft, ist die Kritik wenige Wochen nach der rauschenden Premiere von "Der Blaue Engel" erneut vom revolutionären neuen Tonfilm begeistert. So ist etwa in der "Lichtbild-Bühne" zu lesen:
    "Vor dem grandiosen Erlebnis dieser Uraufführung spürt man, weiß man: Hier ist der repräsentative deutsche Großtonfilm geschaffen worden: die Summierung, die Verwirklichung dessen, was wir technisch, künstlerisch, organisatorisch zu leisten imstande sind."
    Die große Resonanz von "Westfront 1918" ist auch dem herausragenden Erfolg des Romans "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque geschuldet, der ein halbes Jahr zuvor erschien. Sein Buch hatte eine hitzige Debatte über die blutige Sinnlosigkeit des Krieges losgetreten, angesichts der grauenvollen Erfahrungen in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs.
    "Scheiße!" - "Melder! Los!" - "Volltreffer! In Artilleriebeobachtung!" - "Batterie schießt zu kurz!" – "Sanitäter!"
    Das Triptychon "Der Krieg" von Otto Dix hängt am 04.04.2014 in Dresden in der Sonderausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen im Albertinum.
    Kunst und Grauen im Ersten Weltkrieg: Zerrissen nach allen Seiten
    Wer heute verstehen will, "wie die Herzen … sogleich in Flammen standen, als jetzt Krieg wurde", muss sich die Zeit vor hundert Jahren vergegenwärtigen: Die Künste hatten in der Vorkriegszeit einen ungeheuren Aufbruch der Ideen erlebt.
    Zwar wurden schon in der Stummfilmzeit Kriegsfilme mit mehr oder weniger pazifistischen aber auch kriegsverherrlichenden Tendenzen produziert, doch in "Westfront 1918" machen die verstörenden Geräuschkulissen im Kinosaal die Kriegsgräuel unerträglich realistisch. Eindrücke, die zahlreiche Rezensenten teilen:
    "Alles das zeigt der Tonfilm 'Westfront 1918‘ so grausam anschaulich, die Todesschreie der Verwundeten und das Krachen der Geschütze mischen sich in das Gellen des Wahnsinns des Mordens, dass man erschüttert hinausgeht."
    Realistische Kriegsdarstellung
    Für zeitgenössische Zuschauer ist der Film ein Schock. Minutenlange feste Kameraeinstellungen zeigen schonungslos infernalische Szenen auf dem Schlachtfeld. Schmerzensschreie und Maschinengewehrsalven füllen einen Großteil der Tonspur. Ihre Herstellung glich einer Sisyphusarbeit, die Monate in Anspruch nahm, wie Mark Sorkin, Assistent von Pabst, später erläutert:
    "Weil es noch keine Mischung gab, musste man ein Stück von der Tonspur mit der Explosion herausschneiden, wann immer jemand auf der Leinwand den Mund aufmachte. Wir fügten die Explosionen zwischen die Worte. Ein Fehler von nur einem Bild, und die Explosionen überdeckten den Dialog."
    Darüber hinaus wird auf Musik gänzlich verzichtet. Pabst will so den authentischen Charakter unterstützen und die offene Brutalität, die Verwahrlosung und das Elend der Soldaten zeigen. Der Film erzählt nicht wie in Remarques Roman die Geschichte einer Hauptfigur, die enthusiastisch in den Krieg zieht und an der Front ihre Ideale verliert.
    "Westfront 1918" präsentiert einen nackten, emotionslosen Ausschnitt aus dem Dasein vier einfacher Infanteristen, die in den letzten Kriegsmonaten auf den Schlachtfeldern zu überleben versuchen.
    "Oh Gott!" - "Reiß dich zusammen, Mensch, wir sind doch Helden!"
    Anti-Kriegs-Roman "Kriegspferd Pummelchen"
    In seinem 1930 erschienenen Anti-Kriegs-Roman "Kriegspferd Pummelchen" hält Franz Müller-Frerich ein engagiertes Plädoyer für jene 16 Millionen Tiere, die im Ersten Weltkrieg getötet wurden.
    Ihre Schicksale sollen stellvertretend für Millionen stehen. Zwar wollte Pabst bewusst mit seinem Film eine Anklageschrift gegen den Krieg drehen, doch der bekannte Soziologe und Filmkritiker Siegfried Kracauer ist nach der Premiere skeptisch:
    "Dass einer Generation, die jene Jahre nicht mehr aus eigener Erfahrung kennt, das Angeschaute zur Abschreckung dient, ist unwahrscheinlich, aber wissen soll sie, wie es gewesen ist."
    Auftakt zur radikalen Gleichstellung der Filmwirtschaft
    Pabst wurde in der Endphase der Weimarer Republik wegen seiner pazifistischen Haltung als "roter Pabst" verschrien und von Nationalkonservativen wie radikalen Rechten heftig angegriffen. So war es nicht verwunderlich, dass mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sein Film von der Zensur 1933 als einer der ersten Filme verboten wurde.
    "Indem er die gebrachten Opfer als unnütz und den Krieg übertrieben realistisch darstellt, untergräbt er den Verteidigungswillen des Volkes und gefährdet damit lebenswichtige Interessen des Staates."
    Das Verbot des Antikriegsfilms "Westfront 1918" bildet einen Auftakt zur radikalen Gleichschaltung der gesamten deutschen Filmwirtschaft. Bald wird die nationalsozialistische Filmpolitik kriegsverherrlichende Produktionen, die Opferbereitschaft und Heldenmut propagieren, ausdrücklich fördern.