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Film "Zärtlichkeit"
Ein Hoch auf die Erinnerung

Im neuen Werk der belgischen Regisseurin Marion Hänsel begeben sich zwei längst geschiedene frühere Partner auf eine lange Autofahrt. Sie müssen ihren Sohn abholen, der sich beim Snowboardfahren in den Bergen verletzt hat. Die Brote sind geschmiert, Erinnerungen werden ausgetauscht - erfrischend leise, angenehm unaufgeregt.

Von Josef Schnelle |
    Blick durch eine Autoscheibe auf eine schneeglatte Straße im Dunkeln.
    Was bleibt, wenn eine Beziehung längst vorüber ist? Der Film "Zärtlichkeit" zeigt das in einer langen Autofahrt. (picture alliance / dpa - Uwe Zucchi)
    "Hallo? Ja. Aber was hast Du genau? Und nichts an der Wirbelsäule? Und Dein Nacken? Wo bist Du? Clinique de L'Espérance. Das klingt immerhin erfreulich."
    Wie eine schwarze Wolke hängt die stete Sorge um die Kinder über dem Leben von Eltern. Das ändert sich auch nicht, wenn diese erwachsen sind und so gefährliche Dinge tun wie Snowboard fahren. So ein Anruf mitten in der Nacht bringt dann alles auf eine kleine dramatische Formel. Es ist etwas geschehen. Sohn Jack – eigentlich ein erfahrener Pistenmatador, Skilehrer sogar – ist in einen Baum gekracht und hat sich ein Bein gebrochen. Jetzt liegt er in einem französischen Alpenkrankenhaus. Weil die Versicherung nicht für den Rücktransport des Verletzten nach Belgien einsteht, machen sich die Eltern auf den Weg, den verunglückten Sohn heim zu holen. Lisa und Frans sind seit vielen Jahren getrennt. Doch für diese Aktion kommen sie noch einmal zusammen. Es beginnt eine lange Autofahrt ins Skigebiet. Die Brote sind geschmiert und es werden Erinnerungen ausgetauscht.
    "Weißt Du noch, als Jacques ganz klein war? Ich hab' gedreht und eine Frau hat auf ihn aufgepasst. Er war in der Toilette eingesperrt und kam nicht an den Schlüssel. Armer Spatz."
    "Wo war das noch?"
    "In Charente-Maritime. Er war gerade drei."
    "Du hast mir´s erzählt. Ich war nicht dabei."
    "Du warst oft nicht da."
    Der leise, nur angedeutete Vorwurf ist schon das Dramatischste, was passiert in diesem angenehm unaufgeregten Film der belgischen Regisseurin Marion Hänsel, der davon erzählt, was bleibt, wenn eine Beziehung längst vorüber ist. Der Film erzählt das nicht, in dem er dramatische Konflikte entfaltet. Wir erfahren auch nicht, warum und unter welchen Umständen sich das Paar getrennt hat.
    Die Traurigkeit über das Scheitern der Ehe
    Natürlich dreht sich vieles um den gemeinsamen Sohn, der gerade humpelnd das Krankenhaus verlassen hat, um bei seinen Skilehrerkumpeln unterzukommen. Die Regisseurin nimmt sich aber hauptsächlich alle Zeit der Welt, um die subtilen Verästelungen der Beziehung des Ex-Ehepaares zu entfalten. In kleinen Nickligkeiten spiegeln sich die vergangenen Konflikte. Aber im Mittelpunkt steht – wie der Filmtitel schon sagt – die Zärtlichkeit, die diese Beiden immer noch füreinander empfinden.
    Andere Regisseure würden diese Geschichte vielleicht zuspitzen. Hänsel jedoch deutet die Möglichkeiten nur an, die die Situation enthält: ein spätes Wiederzueinanderfinden, das Aufbrechen alter Konflikte und die Traurigkeit über das Scheitern der Ehe. Alles ist da und wird doch mit großer Regiekunst eher unterspielt als übertrieben. Schließlich muss man doch für eine Nacht ein Hotelzimmer teilen, bevor die Rückfahrt beginnen kann. Verschämt wie Teenager und doch tief vertraut wie eben ein altes Paar überbrücken sie die Peinlichkeit der Situation.
    "Schnarchst Du noch?"
    "Und Du?"
    "Was meinst Du?"
    "Na, Du hast doch auch geschnarcht."
    "Was? Das hast Du mir nie gesagt."
    "Sowas sagt man einer Frau nicht."
    "Nicht mal seiner eigenen Frau? Das war aber wirklich nett von Dir."
    Marion Hänsel ist mit knapp einem Dutzend Filmen die große Unterschätzte des belgischen Kinos, deren Markenzeichen seit ihrem Debüt "Die Kraft der Liebe" von 1977 stets das besonders präzise Erzählen gewesen ist. Auf der Rückfahrt verteilt sich das Ehepaar auf zwei Autos. Der Sohn fährt mit dem Vater. Die Mutter steuert dessen Auto vorneweg. So kann "die Zärtlichkeit" noch einmal aus anderen Perspektiven beleuchtet werden. Einmal nimmt Lisa einen Anhalter mit und ganz kurz scheint die Utopie einer neuen Liebe auf. Man spürt das nur daran, wie sich Lisas Körperspannung verändert und ihre Stimme beim Smalltalk geradezu anschmiegsam wird. In einer Zeit, in der das grob Dramatisierte die Kinosprache beherrscht, ist der angenehme Plauderton dieses Films geradezu eine Erholung. Noch die letzte Szene, nach der die beiden wieder auseinander gehen, ist ein kleines Kabinettstückchen mit einem Feuerwerk der Blicke.
    "Vielen Dank."
    "Vielen Dank wofür - ist doch unser Sohn."