Christoph Reimann: Netflix versucht, seinen Katalog mit Eigenproduktionen zu vergrößern. Aber die große Nachfrage nach neuen Filmen und Serien kann man damit kaum stillen. Deshalb kauft Netflix auch fleißig Filme ein - und zwar gerne bei jungen Leuten, die anders arbeiten als ihre Kolleginnen und Kollegen. Auch bei Philipp Eichholtz hat Netflix angeklopft. Unter anderem ging es um einen Film, den erst keiner haben wollte: "Luca tanzt leise", die Geschichte einer Mittzwanzigerin, die nach Jahren der Depression ihr Abi nachholt. Vor der Sendung habe ich mit Philipp Eichholtz gesprochen und ihn zuerst gefragt, wie es sich anfühlt, dass sein Film "Luca tanzt leise" zusammen mit einem zweiten jetzt doch noch ein großes Publikum findet - wie eine späte Anerkennung seiner Arbeit vielleicht?
Philipp Eichholtz: Also, wenn man so einen Film macht, dann macht man die erst mal wahrscheinlich für sich selber, denn das Publikum kommt oder kommt nicht, gerade bei so einem kleinen Film. Normalerweise war für Filme, die auf Festivals starten, wie meine auch, das sind, oft der Weg: Okay, es ist ein Festivalstart, dann kommt der auf DVD raus, die DVD kauft niemand, weil niemand von dem Film gehört hat - und dann war es das mit dem Film. Aber eben durch Plattformen wie Netflix haben wir ein Leben danach bekommen, wo dann …
Reimann: ... nach dem Kino, nach der DVD-Veröffentlichung.
Eichholtz: Genau, fast schon wichtiger teilweise. Also, ich mag das Kino, ich liebe das Kino, ich gehe ja wirklich jede Woche auch ganz oft hin. Aber wirklich, bei Netflix steht ein Film wie "Liebe mich!" oder "Luca tanzt leise" neben Filmen wie "Kokowääh" oder "Fack ju Göhte." Und für den normalen Zuschauer erst mal ist ja vom Plakat her nicht ersehbar, dass wir jetzt eine No-Budget-Produktion waren. Was auch, glaube ich, für den normalen Zuschauer erst mal unwichtig ist, wie viel Geld wir hatten, den Film zu machen.
"Wir sind fünf Leute am Set"
Reimann: Aber mich interessiert es: Wie viel hatten Sie denn?
Eichholtz: Ach Gottchen, das darf ich doch jetzt nicht sagen! Wir haben "Luca" für 6.000 Euro gemacht. Aber das ist natürlich eine theoretische Summe, denn das sind alles Profis, die da mitgespielt haben, auch vor der Kamera, ganz fundierte Schauspieler und das sind Gagenrückstellungsverträge. Und jetzt mit dem Netflix-Geld werden die auch Geld bekommen. Alles ein kleines Team, wir haben am Set selber... Mal für den Zuschauer vielleicht: Beim regulären TV-Film in Deutschland hat man so circa 30 bis 40 Leute am Set, bei einem normalen Dreh; und ich halte mein Team absichtlich klein. Das hat nichts mit Budget zu tun. Wir sind fünf Leute am Set, der Fokus liegt auf dem Schauspiel. Und ja.
Reimann: Mumblecore, das ist so die Sparte, der man Ihre Filme zuordnet. Mumblecore muss man vielleicht kurz erklären, das kommt aus den USA. Die Bezeichnung bezeichnet eigentlich Filme, wo der Ton so schlecht ist, weil das Geld vielleicht fehlt für die Produktion, dass man die Leute kaum versteht. Bei Ihnen versteht man, was die Leute sagen, aber trotzdem, die Budgets sind einfach ziemlich gering. Was würden Sie denn sagen: Macht die Not erfinderisch oder macht Not vielleicht die innovativeren Filme?
Eichholtz: Weiß ich nicht. Ich glaube, es gibt auch ganz tolle Filme mit ganz viel Budget. Aber ich glaube, Kreativität kommt immer dann zum Vorschein, wenn man halt nicht alles mit Geld lösen kann. Aber natürlich will ich auch mit Budgets arbeiten und ich habe Projekte in der Mache, die auch mehr Budget haben werden, so. Aber generell, für meine ersten drei Filme jetzt, kann ich mal sagen, war es sehr befreiend, einfach so unabhängig zu arbeiten, einfach es zu machen. "Luca" ist ein Film, der ist komplett aus dem Bauch entstanden. Der war von der Idee bis zum ersten Drehtag, waren dazwischen drei Wochen. Das ist ungehört beim Filmemachen. Film ist ein sehr kopfstarkes Medium, wo dann Gremien dazukommen, von der Idee bis zum Dreh vergehen drei bis vier Jahre, man muss durch so viele Kanäle gehen und den Film …
"Meine Produktionsfirma ist von Oma gefördert"
Reimann: Ja, vielleicht kranken daran ja auch viele Filme. Vielleicht krankt daran auch irgendwann ... vielleicht geht dann irgendwann die Kreativität unter. Ich habe gelesen, dass Sie Filmförderungen ablehnen. Stimmt das?
Eichholtz: Das stimmt keineswegs.
Reimann: Trotzdem sind die drei großen Filme …
Eichholtz: Meine Produktionsfirma ist von Oma gefördert, genau.
Reimann: Tatsächlich, die Oma hat da wirklich Geld gegeben?
Eichholtz: Meine Oma hat sicherlich auch mal wirklich Geld gegeben. Meine Oma ist nicht reich, nebenbei, aber wir reden ja auch wirklich hier nicht von den größten Summen. Nee, nee, ich muss da sagen: Zum Beispiel das Medienboard Brandenburg kam nach "Liebe mich!" auf mich zu, hat mir eine ganz liebe E-Mail geschrieben und gesagt: "Berichte doch mal über deinen nächsten Film, dann muss die Oma vielleicht nicht den nächsten Film fördern". So. Und das fand ich ganz toll. Das Ding ist, glaube ich, aktuell, warum ich mit der Förderung noch nicht gearbeitet habe, schlicht und ergreifend der, dass ich die Schnelligkeit momentan mir nicht nehmen lassen wollte. Ich habe einen Film gefühlt, ich hatte die Schauspieler parat, ich hatte mein Team im Place und wir haben einfach gedreht, so aus dem Bauch heraus.
Wir haben noch länger mit Philipp Eichholtz gesprochen –
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Reimann: Mit diesem geringen Budget zu arbeiten, das ist ja gerade das offenbar, was Sie interessant macht für Netflix, weil Sie halt Dinge anders machen. Weil die Dialoge improvisiert sind, weil Sie zum Teil mit Laienschauspielern gearbeitet haben. Haben Sie nicht Angst, das zu verlassen irgendwie, diese Sparte?
Eichholtz: Ich glaube, da muss ich einfach mich auf mein Gefühl als Geschichtenerzähler verlassen, das ich auch prima entwickeln konnte in den letzten drei Jahren - durch diese drei Filme auch -, dass, glaube ich, der Humor oder meine Weltsicht, egal wie man filmt, immer so ein bisschen mit reinkommen wird. Und diese Impro-Sache ist auch nicht dogmatisch, aber es ist einfach eine Form gewesen, mit der es mir Spaß macht, mit Schauspielern zu arbeiten. Und ich denke nicht, dass sich das ändern wird, wenn wir mal ein paar Hunderttausend mehr hätten.
Reimann: Das Improvisieren in Filmen und in Serien ist aber etwas, was im Moment ganz gut geht. In Großbritannien kann man das sehen bei der Krimiserie "Suspects", da werden die Dialoge weitgehend improvisiert. Und die Ufa hat jetzt die Filmrechte für die deutsche Adaption erworben. Wenn jetzt so eine deutsche, traditionsreiche Produktionsfirma auf den Trend aufspringt, meinen Sie, das kann gutgehen?
Eichholtz: Ja, ich habe ja nun drei Folgen gedreht, also, das geht wunderbar, weil die drei Hauptkommissare wirklich gute Schauspieler sind, die improvisieren können. Und dann liegt es halt wirklich von Folge zu Folge, wie aber auch im englischen Format: Wie gut sind deine Episodenrollen? Weil, die müssen auch aktiv sein.
"Der Film wird weltweit gesehen"
Reimann: Hat das schon das Arbeiten für Sie verändert?
Eichholtz: Natürlich war ich ein bisschen im Rahmen der Ufa, wie ich arbeiten musste. Aber das spielerische Herausarbeiten, was jetzt wichtig in einer Szene ist oder was, das war dieselbe Arbeit wie bei meinen Filmen. Und das war toll mit den Schauspielern. Ja, die Ufa, glaube ich, das war schon… die waren da mutig. Also, ich bin ja auch kein bekannter TV-Regisseur. Also, da jemanden wie mich an Bord zu holen, der zwei Indie-Filme gemacht hat, da gab es sicherlich auch intern einen Kampf, kann ich mir vorstellen. Aber sie haben sich drauf eingelassen und sie haben mich auch machen lassen. Und das war wirklich eine ganz tolle Erfahrung, weil ich wirklich die Freiheit hatte, mit meinen Schauspielern am Set zu merken: "Ah, okay, das stimmt gerade dramaturgisch nicht, das ändern wir jetzt. Punkt."
Reimann: Im Augenblick ist die Situation ja für solche Independent-Filmemacher wie Sie ganz gut. Netflix und Co. finden Ihre Sachen cool und kaufen das auf. Aber der Markt konzentriert sich ja auch. Also, einige große Player haben oder werden bald das Sagen haben. Könnte das nicht wieder zu einem Problem führen, die Kreativität einschränken?
Eichholtz: Gott, ja, alles Gute bringt auch immer Nachteile mit sich. Und aktuell zumindest ist Netflix für uns ein Segen, weil der Film halt weltweit gesehen wird und eben auch in Deutschland viel mehr Leuten zugänglich gemacht wird, als wie wir es im Kinostart hatten. Das wäre vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen, dass man solche Filme überhaupt irgendwo findet. Von daher ist Netflix gerade noch etwas ganz Tolles. Ob es irgendwann mal nicht mehr toll ist, sei mal dahingestellt. Und natürlich, dann wird sich der Markt wieder verdrehen und - keine Ahnung. Aber wir gehören zu den Privilegierten aktuell, also, dass wir auf Netflix sind.
Reimann: Philipp Eichholtz über den Einfluss von Streamingdiensten auf seine Arbeit.
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