Ein kleines Straßencafé in Kairo. Die Kamera zoomt auf eine junge Ägypterin. Ihr Vorname "Dunia" wird kurz eingeblendet. Mehr erfährt der Zuschauer nicht zur Person. Denn das Thema, zu dem Dunia sich gleich äußern wird, bespricht ein "ordentliches ägyptisches Mädchen", wie es heißt, eigentlich nicht in der Öffentlichkeit. Es geht um den Körper:
"Wenn sich deine Weiblichkeit allmählich zeigt, wenn du beginnst, deine weibliche Identität zu finden, gehen alle zu Hause mit dir um, als wärst du eine tickende Zeitbombe. Ich habe Sachen gehört wie: Bedeck deine Beine! Zieh was Weites an, deine Brüste werden größer!"
Nicht länger sittsam und genannt sein
Dunias Gesicht wirkt emotionslos. Doch die Sätze sprudeln förmlich aus ihr heraus. Die junge Ägypterin wirkt zerrissen zwischen ihren Gefühlen und den gesellschaftlichen Normen, die es ihr verbieten, auszusprechen, was sie umtreibt: Ägyptische Frauen sollen sittsam und genant sein, während ägyptische Männer sie schamlos belästigen dürfen.
"Das ist ein Phänomen, mit dem wir alle, jedes Mädchen, jede Frau in Ägypten, konfrontiert werden", sagt Alaa el-Khouly. Die 29-Jährige hat zusammen mit zwei Freundinnen den Dokumentarfilm gedreht, mit vielen erstaunlich offenen Interviews dieser Art. "Es wird schon mal im Fernsehen über sexuelle Belästigung gesprochen, aber Filme gibt es kaum dazu. Deshalb wollten wir das Thema angehen. Für uns Frauen ist es wichtig, unsere Stimme zu erheben."
"Raise your voice", auf Arabisch "Aali soutik", ist auch der Name der Kulturinitiative, in der sich Alaa el-Khouly in einem viermonatigen Workshop mit der Arbeit an der Kamera vertraut gemacht hat. Ihre Trainerin war die deutsch-mexikanische Filmemacherin Francesca Araiza Andrade. Die Berlinerin hat 2014 zum ersten Mal selbst als Kamerafrau in Kairo gearbeitet:
"Und da habe ich dann gesehen, dass alle Leute, die in dem Bereich arbeiten, vor allen in den technischen Departments, Männer sind und oft auch nicht so gut ausgebildet. Und es war ganz schwer, vernünftige Assistenten zu bekommen. Und im Laufe dieser sechs Wochen habe ich mir dann gedacht: Hey, ich könnt eigentlich mal einen Workshop hier machen für Frauen."
Offiziell verboten
Das Institut für Auslandsbeziehungen, deutsche Mittlerorganisation für internationale Kulturpolitik, unterstützte die Idee und übernahm bis zum vergangenen Jahr die Förderung des Projektes. Mit Mitteln des Auswärtigen Amtes wurden Kameras, Schnitttechnik und anderes Equipment angeschafft, das die Teilnehmerinnen seither gemeinschaftlich nutzen. In den vergangenen drei Jahren waren das über 200 junge Ägypterinnen.
Auch die Frauen, die ihr Leinwand-Debut bereits hinter sich haben, treffen sich regelmäßig zum Ideen-Austausch: "Let´s talk about new film projects."
Die aktuell angespannte politische Lage in Ägypten setze der Kreativität der Filmemacherinnen allerdings Grenzen, so Francesca Araiza: "Wir können nicht an öffentlichen Plätzen filmen, weil es einfach offiziell verboten ist und weil wir damit eben Risiken eingehen, die nicht praktisch sind, für so ein Ausbildungsverhältnis und für die Situation von jungen Teilnehmerinnen, die wir nicht in eine gefährliche Situation stürzen wollen."
Wir müssen die Dinge beim Namen nennen
Die Treffen der Filmemacherinnen finden deshalb auch im geschützten Raum des Kairoer Goethe-Institutes statt. Dabei wird auch beraten, bei welchen Festivals die 20 bereits gedrehten Filme präsentiert werden können. Die frauenspezifischen Themen, die in Ägypten sonst nur selten Kinostoff sind, sollen schließlich ein möglichst breites Publikum finden. So wie der Dokumentarfilm von Hagar Mahmoud und zwei Kolleginnen über weibliche Genitalverstümmelung. Ein schwieriges Thema, gibt die 26-Jährige zu. Aber:
"Wir wollten etwas machen, dass nicht nur rosa ist, voller Regenbögen, sondern wir wollten etwas diskutieren, was die Frauen in diesem Land wirklich betrifft. Genitalverstümmelung ist seit fast zehn Jahren illegal in Ägypten, aber immer noch Alltag. Wir haben eine Menge Frauen gefunden, die das durchgemacht haben, aber die Herausforderung war, jemand zu finden, der in die Kamera spricht."
Und tatsächlich gelang es, betroffene Frauen anonym zu interviewen. "Ich komme aus dem Schmerz", so der Titel der eindringlichen Arbeit, die die Filmemacherinnen auch schon in der oberägyptischen Stadt Assuan gezeigt haben. Mit erstaunlichen Konsequenzen, erzählt Hagar:
"Einige ältere Frauen eines Familienclans haben den Film dort gesehen und haben sich danach entschieden, mit der Beschneidung der jungen Mädchen aufzuhören. Wir haben also etwas bewirkt. Darauf sind wir wirklich stolz. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen, sonst ändern sie sich nicht. Es heißt immer: Da muss jemand etwas dagegen tun. Wir sind dieser 'jemand'."
"Raise your voice" ist das Projekt der deutsch-mexikanischen Regisseurin Francesca Araiza, die seit drei Jahren junge Frauen an der Kamera ausbildet.