Woody Allen ist ständiger Gast an der Croisette. Der verlässlichste und fleißigste Autorenfilmer der Welt. Der sonst so scheue Regisseur hält regelrecht Hof. Das Festival hat ja auch eher unscheinbar begonnen. Das Flair eines großen Meisters benötigt es dringend. "Irrational Man" mit Joaquin Phoenix und Emma Stone ist Allens 55. Film. Man kann ihn getrost als existentialistischen Krimi bezeichnen.
Hauptfigur ist ein Philosophieprofessor an einem kleinen New England College, der sich um die Aufmerksamkeit der Frauen nicht sorgen muss, aber dem Leben nur noch wenig abgewinnen kann.
O-Ton aus "Irrational Man":
"Ich bin blockiert. Ich kann nicht schreiben." – "Warum?" – "Ich kann nicht schreiben genauso wie ich auch nicht atmen kann." – "Ich glaube wir bringen dich wieder zum Atmen."
"Ich bin blockiert. Ich kann nicht schreiben." – "Warum?" – "Ich kann nicht schreiben genauso wie ich auch nicht atmen kann." – "Ich glaube wir bringen dich wieder zum Atmen."
Nach all den sardonischen Sprüchen, für die ihn seine Studenten lieben und ganz besonders die klügste im Seminar, wird ihm die Gelegenheit für einen perfekten Mord bei einem belauschten Gespräch im Diner sozusagen auf dem Tablett serviert. Niemand weiß davon. Ein bisschen Gift soll's richten. Die sinnlose Tat verändert sein Leben. Er fühlt sich endlich frei - wie ein Übermensch.
Mal etwas Vergnügliches im ansonsten humorlosen Festival
O-Ton aus "Irrational Man":
"Die Menschen wählen eine Religion für sich und sie treffen eine irrationale Wahl. Sie denken, wenn sie ein gutes Leben leben, dann kommen sie in den Himmel. Das ist kein bisschen weniger verrückt, als das was Kean denkt, wenn er diese Tat begeht, dass sein Leben sich danach zum Besseren verändern würde."
"Die Menschen wählen eine Religion für sich und sie treffen eine irrationale Wahl. Sie denken, wenn sie ein gutes Leben leben, dann kommen sie in den Himmel. Das ist kein bisschen weniger verrückt, als das was Kean denkt, wenn er diese Tat begeht, dass sein Leben sich danach zum Besseren verändern würde."
Wie das Unheil ihn doch noch erreicht, soll hier nicht verraten werden. Eine höchst vergnügliche Lektion in Sachen Philosophie und Lebens- und Liebeskunst tut gut in dem ansonsten so humorlosen und problembewussten Festival von Cannes. Da wird man allen Ernstes in einen Selbstmörderwald in Japan versetzt, den der Amerikaner Gus van Sant wenig kreativ als Purgatorium inszeniert.
Direkt in der Hölle, in der von Auschwitz, landet man in Lásló Nemes Debütfilm "Saul Fia" – "Sauls Sohn" - aus Ungarn. Die Kamera ist stets ganz nah bei Saul, der als Kapo des Sonderkommandos die Todeskandidaten in die Gaskammern treibt, später dann die Leichen in die Verbrennungsöfen stopft. In einer Leiche glaubt er seinen Sohn zu erkennen, dem er wenigstens ein ordentliches Begräbnis verschaffen möchte. Alles abseits von Saul verschwindet in der Unschärfe, aber man kann schon erkennen, was da geschieht.
Bei "Saul Fia" steckt der wahre Horror in der Tonspur
Über Bilderverbote hinsichtlich des Holocausts ist viel diskutiert worden. Regisseur Nemes ist da unentschieden. Man sieht genug, um sich zu gruseln und wäre nicht so gern bei den Dreharbeiten dabei gewesen. Doch der wahre Horror steckt in der Tonspur, die den Zuhörern nichts erspart. So beeindruckend der Film auch ist, nach zwei Stunden Auschwitz-Inszenierung fühlt man sich durchgeschüttelt aber nicht berührt. Weil der Film keine überzeugende Geschichte erzählt.
Ein ähnliches Problem hat der bisher beste Film des Wettbewerbs: "The Lobster" von Giorgos Lanthimos. Der erzählt die Geschichte einer totalitären dystopischen Gesellschaft, in der sich Singles in ein Umerziehungslager begeben müssen. Entweder finden sie in 45 Tagen einen Partner oder sie werden in ein Tier - immerhin ihrer Wahl - verwandelt.
Der Grieche Lanthimos, Aushängeschild des neuen griechischen Kinos, hat den Film in Irland und mit internationalen Stars in Englisch gedreht und eine absurde, aber faszinierende Welt entworfen, in der die kalkulierte Paarbeziehung alles und das Individuum nichts ist. Die Utopie der Liebe, ist auch hier wie in den Klassikern der Dystopie "Schöne Neue Welt" und "1984" die einzige Hoffnung der Menschen. Oder die Tiere. Und der Film der erste Kandidat auf die goldene Palme.