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Filmfestival von Guadalajara
Gute Geschichten schlecht erzählt

Alejandro González Iñárritu ist dank seines Oscar-prämierten Films "Birdman" wohl der derzeit bekannteste Vertreter des mexikanischen Films. Seine Karriere gestartet hat er auf dem Filmfestival von Guadalajara, auf dem sich jetzt wieder neue mexikanische und lateinamerikanische Produktionen präsentieren durften - leider nicht immer überzeugend.

Von Peter B. Schumann |
    Mexikos Filmproduktion drohte Anfang der 1980er-Jahre an einer kulturfeindlichen Regierungspolitik zu scheitern und von den Leinwänden zu verschwinden. Damit wollte sich damals Jaime Humberto Hermosillo, der ewige Außenseiter unter den mexikanischen Cineasten, keineswegs abfinden. Also rief er 1986 mithilfe der Universität von Guadalajara ein paar Dutzend Festivalleiter, Verleiher, Produzenten und Kritiker aus Lateinamerika und Europa zusammen, um gegen die Dummheit der Bürokraten zu demonstrieren und die Vielfalt der einheimischen Produktion vorzuführen. Die geradezu familiäre Protestveranstaltung wuchs im Laufe der Jahrzehnte zu einer der wichtigsten Plattformen des latein- beziehungsweise iberoamerikanischen Films heran.
    Alle heute international berühmten Regisseure aus Mexiko starteten hier ihre Karriere: Carlos Reygadas oder Guillermo del Toro sowie die Oscar-Preisträger Alfonso Cuarón oder Alejandro González Iñárritu. Die mexikanische Produktion ist mit etwa 120 Filmen pro Jahr längst wieder die größte Lateinamerikas und wird vom Staat kräftig alimentiert. Die Masse macht's aber auch in Mexiko nicht:
    "Es gibt eine kaum zu überwindende Kluft zwischen dem kulturellen und dem kommerziellen mexikanischen Kino" - so Leonardo García Tsao, Filmkritiker der Tageszeitung La Jornada. "Filme, die auf Festivals und von der Kritik hoch gelobt werden, haben bei uns keinen Erfolg. Nicht einmal Iñárritus "Birdman", der nach dem Oscar wieder aufgeführt wurde, fand eine nennenswerte Anzahl von Zuschauern. Die Leute rennen in die Knaller oder in die Comics mit ihren Superhelden oder in mexikanische Komödien."
    Aber auch den ernsthaften Spiel- und Dokumentarfilmen des Landes, die in einem eigenen Wettbewerb in Guadalajara liefen, fehlt nicht selten die überzeugende Form. Selbst wenn sie ein gesellschaftlich relevantes Thema aufgreifen - wie Jonathan Sarmiento in "Wenn es drei Uhr schlägt" über das allumfassende Netz der Korruption - dann wird daraus eine klischeebehaftete Entführungsgeschichte.
    Sonderpreis für Nathalia Bruschtein
    Celso García gelingt es allerdings in seinem Erstling "Die dünne gelbe Linie" am Beispiel einer Gruppe von Straßenarbeitern, einen Mikrokosmos der Probleme von sozial benachteiligten Mexikanern zu entfalten und dabei die üblichen Klischees zu vermeiden. Er erhielt den Sonderpreis der Jury sowie den Publikumspreis für den besten mexikanischen Film.
    Den Dokumentaristen des Landes fällt es in der Regel leichter, sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Es gibt kaum ein Problem, das sie nicht darstellen: von der Diskriminierung der indigenen Landbevölkerung über die Frauenmorde nicht nur in Juárez bis zu den Massendemonstrationen nach dem Massaker an 43 Studenten vor einem halben Jahr. Nur war davon in Guadalajara allzu wenig zu sehen. Überzeugt hat dagegen ein Film über die Vergangenheit: "Suspendierte Zeit" von der in Argentinien geborenen Mexikanerin Natalia Bruschtein. Darin behandelt sie in bewegenden Dokumenten die Geschichte ihrer Großmutter, einer der berühmten Mütter von der Plaza de Mayo.
    "Drei ihrer Kinder und auch mein Großvater gehören zu den Verschwundenen" - so berichtet die Regisseurin. "Deshalb hat sie gegen das Vergessen in vielen Teilen der Welt angekämpft. Als ich erfuhr, dass sie an Alzheimer litt, begann ich den Film zu machen, denn was diese Menschen als erstes vergessen, das sind die schlimmsten Ereignisse ihres Lebens."
    Dafür wurde Nathalia Bruschtein mit dem Sonderpreis für den besten iberoamerikanischen Dokumentarfilm geehrt. Als bester Spielfilm-Regisseur des Festivals in Guadalajara wurde der Guatemalteke Jayro Bustamante für sein großartiges Erstlingswerk "Ixcanul" ausgezeichnet, das bereits auf der Berlinale faszinierte.