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Filmfestspiele in Venedig
"Keine Helden, keine Erlösung"

Am Wochenende gehen die Filmfestspiele in Venedig zu Ende. Ein Festival, das weitestgehend ohne Helden auskommt, wie Filmkritikerin Katja Nicodemus im Dlf sagt. Die großen Produktionen wie "J'accuse" oder "Ad Astra" böten keine Lösungen für die Gegenwart.

Katja Nicodemus im Gespräch mit Michael Köhler |
"J'Accuse...!" - Der offene Brief des französischen Schriftstellers Èmile Zola an Félix Faure, den damaligen Präsidenten der Französischen Republik (1894 - 1898)
Roman Polanskis Film "J’accuse" basiert auf der Dreyfus-Affäre im Paris der 1890er Jahre (imago / United Archives International)
Wenige Tage bevor die Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig vergeben werden, spekuliert man über mögliche Gewinner - und über gemeinsame Aussagen der doch insgesamt sehr diversen Produktionen. Es sei jedenfalls sehr interessant, "wie unterschiedlich diese Filme Einsamkeit behandeln", so Katja Nicodemus. In "Ad Astra" zum Beispiel sei Brad Pitt auf einer einsamen Reise durchs Weltall und befrage sich selbst, seine Erziehung und seine Männlichkeitsbilder. Und auch in Roman Polanskis Film "J’accuse", der auf der Dreyfus-Affäre im Paris der 1890er Jahre basiert, sei der Ermittler isoliert im System des Geheimdienstes. "Alle diese Filme haben eigentlich keine Helden, keine Erlösung und keine Katharsis." Das Kino zwinge uns zum gnadenlosen Blick auf die Wirklichkeit.
Vom Sterben und vom Leben erzählen
Das Festival war im Vorfeld dafür kritisiert worden, zu wenige Beiträge von Frauen aufgenommen zu haben. Aber die, die zu sehen wären, seien mitunter sehr stark, so wie "Babyteeth", das Regiedebüt von Shannon Murphy. Erzählt werden die letzten Monate der krebskranken 15-jährigen Schülerin Milla. "Es ist ein Film über das Sterben und auf sehr emphatische Weise erzählt er auch vom Leben", denn Milla ist zum ersten Mal verliebt. Trotz des schweren Themas habe das Werk auch sehr viel Humor und eine große Leichtigkeit, so Nicodemus. Dieser Film werde sicher am Ende des Festivals mit einem Preis bedacht.
Liebeserklärung an Hongkong
Filmästhetisch müsse man bei dieser Ausgabe der Filmbiennale in Venedig allerdings Abstriche machen. Bislang habe sie nur eine Produktion in dieser Hinsicht überzeugt: "Cherry Lane" von Yonfan. Ein Student verliebt sich in die Mutter seiner Nachhilfestudentin – eine einfache Story, die aber bildgewaltig erzählt werde. "Ein ungemein sinnlicher Film", der "eine Liebeserklärung an Hongkong" sei. Und der vielleicht auch erkläre, warum um diese Stadt mit ihren vielen verschiedenen Lebensweisen und Kulturen zurzeit so gekämpft werde.