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Filmkritik
Geschlechterkrieg und Selbstunterwerfung

Kunst und Leben, Kontrollverlust und Rollenspiel beschäftigen Roman Polanski in seinem neuen Film "Venus im Pelz". Die scheinbare Einfachheit ist oberflächlich. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein zusehends unüberschaubares Labyrinth endloser Spiegelungen. Ein Film nicht nur für Polanski-Fans.

Von Rüdiger Suchsland |
    Roman Polanski ist am ehesten ein Vertreter der jüngeren Generation des europäischen Autorenkinos, des Kinos, das nach der großen Revolte kam, nach Neorealismus und Nouvelle Vague. Polanskis Kino ist eines, das das Politische nun vor allem im Privaten fand. Die Filme von Polanski interessieren sich stärker für die Versuchungen der bürgerlichen Gesellschaft, für Sex und Gewalt, der Regisseur vollzog die Tabubrüche, die seine älteren Vorgänger oft nur andeuteten, auch sichtbar auf der Leinwand - Polanskis Kino ist im Zweifel Zeigen statt Reden, mehr Aktion als Reflexion, ohne dass es dadurch weniger komplex und intelligent wäre.
    Heute gehört er zu den wenigen, noch aktiven seiner Generation, mit über 80 Jahren fast schon ein Dinosaurier eines Typus des europäischen Autorenkinos, das schon nahezu ausgestorben ist.
    Polanskis neuer Film "Venus im Pelz" ist eine Literaturverfilmung der Vorlage von Leopold von Sacher-Masoch, des Namensgebers, wenn nicht Ahnherren des Masochismus. Doch von dem Buch bleibt außer dem Titel nicht viel übrig:
    Ein Kammerspiel, angesiedelt in dunklen Innenräumen rund um eine Theaterbühne, in denen sich zwei bislang einander Unbekannte durch Zufall begegnen und einen intensiven Austausch miteinander beginnen.
    Thomas, gespielt vom Franzosen Mathieu Amalric der fast genau so aussieht, wie Polanski selbst in den 70er Jahren aussah, und er ist ein Regisseur, in diesem Fall an einer Theaterbühne. Und Polanskis Frau, die Schauspielerin Emmanuelle Seigner, spielt selbst auch eine Schauspielerin - sie heißt Vanda und kommt zu spät zum Casting, wo sie sich mit dem Regisseur in ein Rededuell verstrickt, einen Zweikampf mit Worten, zwischen einem Intellektuellen und einer Proletarierin, der von fern an Bertoluccis "letzten Tango von Paris" erinnert und in den sich zunehmend auch Polanski Vita einschreibt.
    "Sie begreifen es nicht, sie begreifen gar nichts."
    Die Parallelen sind äußerlich wie innerlich verblüffend. Es geht um den Zusammenhang und Analogien zwischen Kunst und Leben, um Kontrollverlust und Rollenspiel.
    Die scheinbare Einfachheit von "Venus im Pelz" ist oberflächlich. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein zusehends unüberschaubares Labyrinth endloser Spiegelungen.
    Das beginnt mit dem Titel. Denn genaugenommen geht es nicht um Sacher-Masoch, sondern um ein Broadway-Stück, in dem ein Theaterregisseur dessen berühmteste Novelle in ein Bühnenstück überträgt. Es handelt sich also um Polanskis Adaption einer Vorlage, die den Vorgang einer Adaption beschreibt.
    "Ich zitiere lediglich den Roman von Sacher-Masoch"
    Einmal mehr entfaltet Polanski zudem in einem Film ein klaustrophobisches Szenario: War es in "Der Pianist" ein einziger im Untergrundversteck, waren es in "Der Tod und das Mädchen" (1994) drei und in "Gott des Gemetzels" (2012) vier Charaktere - immer wieder geht es in Polanskis Filmen um Eingeschlossene in eigenen wie äußerlichen Gefängnissen. Aus solchen Situationen entwickelt der Regisseur Kammerspiele mit geringstmöglichem äußerem Aufwand, aber hoher innerer Intensität.
    Es liegt allzu nahe, in derartigen Szenarien auch Kurzschlüsse zu Polanskis Biografie und seinen traumatischen Erfahrungen zu ziehen - zu seiner Kindheit im Krakauer Getto, zur deutschen Besatzung mit ihren permanenten Todesdrohungen, zum Mord an der Mutter in Auschwitz. Wir Zuschauer werden in "Venus im Pelz" Zeugen einer konzentrierten Selbstreflexion des Regisseurs, in der er fast beiläufig auch die Summe seines Lebenswerks zieht: Eros und Aggression und ihr Zusammenhang, die untrennbare Vermischung von Polanskis künstlerischem Werk und seinem eigenen Privatleben.
    "Venus im Pelz" lohnt unbedingt - nicht nur für Polanski-Fans. Dies auch, weil man nach der Betrachtung eine andere Frage kaum verdrängen kann: Die melancholische Ahnung, hier auch einen der letzten Filme Polanskis gesehen zu haben, ein Abschiedswerk - und damit auch den letzten Tango eines europäischen Autorenkinos, das opulente Sinnlichkeit und frivole Ironie mit Anspruch und Intelligenz verbindet, Kino, das verführerisch sein will, aber nicht unter Niveau.
    "Das ist kein Tizian, mein Süßer. Das ist Porno, Sado-Maso-Porno" - "Wie kann man so einen Schwachsinn reden und Vanda gut spielen. Saublöde Schauspielerin, Kuh, dumme Kuh."
    Gibt es heute unter den 20-, 30-Jährigen wirklich irgendwo den legitimen Nachfolger eines Roman Polanski