Was für ein Desaster, No. 1 sozusagen: Nazibraut Doreen will nichts von Obernazi Sven aus dem - fiktiven - brandenburgischen Prittwitz wissen:
"Ähm, dürfte ich dich mal auf ein Heißgetränk einladen? - Du darfst mal Platz machen. Ich habe zu tun. - Aber ich habe. - Du kannst mir anrufen, wenn du Deutschland regierst und in Polen einmarschierst. Vorher nicht."
Also, da wird sich Sven in "Heil" lang machen müssen, um das hinzukriegen. In jedem Fall wird am Ende beim Showdown in Dietrich Brüggemanns Film "Heil" aus Polen Richtung Deutschland zurück- oder auch nicht zurück-, aber in jedem Fall geschossen.
"Also, da sind die Kameraden. Und auf die schießen wir?"
Und in jedem Fall versteht Svens Skinhead-Gefolgschaft nichts:
"Nein, wir schießen auf die Kaserne. - Aber das sind doch Deutsche. - Genau das ist unsere List."
Desaster No. 2: Da bekommt der afrodeutsche Autor Sebastian zu Beginn seiner Lesereise in Prittwitz einen Schlag auf den Kopf und plappert nun alles nach, was Neo-Nazi-Boss Sven ihm vorgibt. Auch live in einer Talkshow:
"Wir brauchen ein Ende der Toleranz gegenüber Migranten, die nur Kinder in die Welt setzen. – (Beifall) - Ein Schwarzer, der sagt, dass man Migranten nicht alles durchgehen lassen darf. Wunderbar!"
Frohlockt der Altnazi. Es ist eine mit Verlaub böse Mixtur, die Dietrich Brüggemann in seinem Film "Heil" präsentiert. Wenn schon Nazi- oder Neo-Nazi-Satire, dann bitte so. Gut kommt hier keiner weg. Was schon bei Lubitsch nicht anders war: Ich meine, die Schauspieler in "Sein oder Nichtsein", sie mögen zwar am Ende Helden sein, aber sie bleiben eitle, selbstverliebte Schleimer. Satire nimmt nicht den Finger aus der Wunde, wenn der Abspann läuft. Jeder muss sich an den Karren gefahren fühlen. Und deswegen nun genauer das Ensemble von "Heil": Da sind die Polizisten, die nichts ausrichten:
"Sie sind jetzt vorläufig festgenommen. Wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungsmäßiger Organisationen."
Da sind die Alt-Nazis, die Neo-Skinhead-Schläger:
"Stehenbleiben!"
Da sind die Antifas mit ihren geliebten Feindbildern, die liberalen Intellektuellen, die gestochen scharf ihre Denkverbote zum Besten geben - beispielsweise in der täglichen Talkshow -, da ist die Medienöffentlichkeit, gierig auf Skandal, Enthüllung und Bla-Bla. Und da ist der Verfassungsschutz.
"Wir würden uns das auch was kosten lassen."
Bei dem die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Obernazi Sven hat's spitz.
"Dialektik! Allein, dass ich hier mit einem Mitarbeiter des Brandenburger Verfassungsschutzes sitze, das ist ja schon angewandte Dialektik."
Und Sven - Benno Führmann - hält die Hand gerne auf. NSU-Skandal lässt grüßen. "Heil" kommt roh daher und kantig; das ist ein Film, dem nichts heilig ist. Ob nun alle Gags zünden, mag dahingestellt sein. Wenn die Justiz auf dem rechten Auge blind ist, dann hat der Richter im Film rechts ein Glasauge. Na ja, geschenkt. Doch mit der Geschichte der Prittwitzer Neonazi-Zelle und ihrem Aushängeschild, diesem afrodeutschen Schriftsteller, der fröhlich rechtes Gedankengut von sich gibt, zeigt Regisseur Dietrich Brüggemann ein Land, in dem die Auseinandersetzung mit den Neonazis zu einer Art Gesellschaftsspiel geworden ist mit medialen wie politischen Ritualen. Und das erlösende Happyend, das David Wnendt uns in seinem Film "Kriegerin" schenkte, wo sich die Hauptfigur mit ihrem Tod zur Humanistin wandelte, das gönnt uns Dietrich Brüggemann nicht. Deutschland und die Neo-Nazis? Welcher Blick kann da denn angemessener sein als ein unversöhnlich böser auf die deutschen Verhältnisse, wo Einschüchterung und Gewaltandrohung von rechts Realität sind. Dagegen muss dann eben auch das zutiefst hemmungslose, respektlose Lachen zum Einsatz kommen.