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Filmkritik
"Philomena" als pointensichere Screw-Ball-Comedy

Wer vor 50 bis 60 Jahren im erzkatholischen Irland unverheiratet ein Kind zur Welt brachte, wurde häufig gezwungen, dieses zur Adoption freizugeben. Die späte Suche einer dieser Frauen nach ihrem verlorenen Sohn ist das Thema von "Philomena", dem neuen Film von Stephen Frears.

Von Josef Schnelle |
    "Ich weiß nicht, was Ihnen das letzte Mal gesagt wurde, aber die meisten Unterlagen wurden vernichtet. Durch ein Feuer." – "Feuer?" – "Das war vor meiner Zeit. Also ich fürchte, ich habe keine Neuigkeiten bezüglich Anthony."
    Philomena ist eine der "Magdalene Sisters", die als "gefallenes Mädchen" mit einem unehelichen Kind in den 1950er-Jahren in ein von Nonnen geführtes Heim gesteckt wurde, wo sie mit harter Arbeit und wenig Hoffnung für ihre Sünde büßen sollte. Ihren kleinen Sohn musste sie - als er drei Jahre alt war - zur Adoption freigeben.
    50 Jahre lang hat Philomena ihr Geheimnis für sich behalten. Sie hat ein anderes Leben geführt und eine inzwischen erwachsene Tochter. Doch der verlorene Sohn lässt ihr keine Ruhe. Nun endlich will sie wissen, was aus Anthony geworden ist. Doch die Nonnen im Kloster von Roscrea sind nicht gerade hilfsbereit.
    Sie lernt Martin Sixsmith kennen, der als tief gefallener investigativer Journalist und ehemaliger Spin Doctor der Tony-Blair-Ära nach einem Stoff für sein neues Buch sucht. Eigentlich sind Human-Interest-Stories nicht sein Metier, aber für die resolute Philomena interessiert sich der abgekochte "Schmutzaufwirbler" trotzdem. Die heißeste Spur führt die beiden nach Amerika, wo Anthony bei seiner Adoptivfamilie aufgewachsen ist. Sixsmith möchte ein Foto von Philomena schießen, das er später in seinem Buch veröffentlichen kann.
    "Aber die Suche nach ihm ist ziemlich kostspielig. Also ist es praktisch ein "quid pro quo" – "Und was soll das bedeuten?" – "Es heißt 'dieses für das' aber ich werde nichts schreiben, was sie unglücklich macht. Sondern nur die Wahrheit." – "Deswegen bin ich ja so besorgt. Soll ich Lächeln oder soll ich ernst gucken?" - "Machen wir ein fröhliches und ein nicht ganz so fröhliches."
    Ein wirklicher Fall stand Pate
    Der Film basiert auf einem authentischen Fall und auch die gemeinsamen Recherchen von Philomena und dem echten Martin Sixsmith sind wahr und echt. Der Journalist hat sie zu einem Bestseller verarbeitet:"The Lost Child of Philomena Lee". Regisseur Stephan Frears und Hauptdarsteller und Drehbuchautor Steve Coogan verfielen auf die Idee, nicht Philomenas Geschichte, sondern die schwierige Recherche der beiden zu verfilmen. Ein Topintellektueller der Labour-Regierung und eine einfache Frau, die um ihre Lebensbewertung ringt, das klang nach einem ernsten Stoff mit Komödienpotenzial. Steve Coogan ist in Großbritannien ein gefeierter Comedian und Judy Dench als Geheimdienstchefin M in den letzten James Bond Filmen seine ideale Gegenspielerin.
    In der Tradition der pointensicheren Screw-Ball-Comedy spielen sich die beiden höchst vergnüglich die "angeschnittenen Bälle" zu. Philomena freut sich schon, wenn sie im Flugzeug einen Saft umsonst bekommt. Sixsmith hat so viele Jahre auf dem diplomatischen Parkett verbracht, dass er sich ständig unterfordert fühlt. Aber beide Figuren schätzen aneinander, dass und wie sie das Leben lieben. Sixsmith taut nach seiner Lebenskrise immer mehr auf, während Philomena wenigstens heraus bekommt, dass ihr Sohn, der längst gestorben ist, ein gutes Leben hatte und immer nach ihr gesucht hat.
    Im Kern des Films stehen die sehr unterschiedlichen Charaktere und das Vergnügen, dass die Zuschauer aus ihren kleinen Dialogscharmützeln ziehen können. Ganz nebenbei informiert der Film über den Magdalenenheim-Skandal wesentlich unaufgeregter als Peter Mullans direkt anklagender Film von 2002 "Die unbarmherzigen Schwestern", der mit dem gleichen Thema damals den Goldenen Löwen von Venedig gewann. Manchmal bietet die menschliche Komödie doch den besten Zugang zu den Problemen der Welt.
    "Ist doch komisch? Alle Unterlagen, die helfen könnten, ihn zu finden, wurden vernichtet, aber das einzige Schriftstück, dass sie davon abhält, wurde liebevoll verschont. Gott in seiner unendlichen Weisheit hat genau das vor den Flammen gerettet." – "Ich unterschrieb, weil ich glaubte, eine furchtbare Sünde begangen zu haben, und bestraft werden müsste. Aber das Schlimmste daran war, dass es mir gefallen hat." – "Was?" –"Der Sex. Es war wundervoll Martin. Ich hatte das Gefühl in der Luft zu schweben. Er sah so gut aus. Und wie er mich in den Armen hielt. Wissen Sie, ich wusste nicht einmal, dass ich eine Klitoris habe. Und danach dachte ich, dass alles, was sich so schön anfühlt, falsch sein muss. "