Es scheine doch eine Sehnsucht zu geben nach diesem Jahrzehnt der Uneinigkeit und der Ambiguität, glaubt Filmkritiker Rüdiger Suchsland. Der Thriller "Suspiria" von Luca Guadagnino mit Dakota Johnson und Tilda Swinton spielt im West-Berlin der 70er-Jahre. RAF-Terror in Westdeutschland, gefährliche Rituale von Hexen, die Niederschlagung friedlicher Demonstranten und Rassismus in den US-Südstaaten, alles Themen, die in den Filmen des diesjährigen Festivals verhandelt wurden.
Ein Festival, das sich zum ersten Mal auf ganz spezielle Weise auch mit der Konkurrenz von Netflix auseinandersetzen muss. Denn möglicherweise könnte der "Goldene Löwe" 2018 sogar an die Produktion eines Streaming-Anbieters gehen. Mit "The Ballad of Buster Scruggs" der Brüder Joel und Ethan Coen feierte der zweite von drei "Netflix"-Produktionen am Lido Premiere und auch Alfonso Cuarons "Roma" über eine Familie des gehobenen Bürgertums, erzählt aus der Perspektive eines indianischen Hausmädchens in Mexiko, ist eine Netflix-Produktion.
Um über mögliche "Löwen"-Kandidaten zu spekulieren, ist es vielleicht noch ein wenig zu früh. Der Film "Sunset" des ungarischen Filmemachers László Nemes, in dem es um den Zusammenbruch des alten Europa vor dem 1. Weltkrieg geht, ist für Rüdiger Suchsland jedoch bereits ein deutlicher Favorit. Das 75. Filmfestival sei insgesamt ein sehr guter Jahrgang.