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Welt-Schwimmverband
FINA regelt Startrecht für trans* Frauen

Schon seit Jahren streitet die Sportwelt darüber, ob transidentitäre Frauen im Leistungssport an der Frauen-Klasse teilnehmen dürfen. Der Schwimm-Weltverband FINA hat nun sein Regelwerk angepasst und könnte damit auch zum Vorreiter für andere Sportverbände werden.

Von Raphael Späth |
Das Logo der FINA.
Der Schwimm-Weltverband FINA hat das Startrecht für trans* Frauen angepasst. (imago sportfotodienst)
Wer zukünftig als trans* Frau in der Frauen-Klasse starten will, muss sich schon in der Kindheit bis zum zwölften Lebensjahr oder mit Eintreten der Pubertät einer Hormontherapie unterzogen haben. Damit soll sichergestellt werden, dass Transgender-Athletinnen im Erwachsenenalter keinen unfairen Vorteil haben. Wer das nicht nachweisen kann oder diese Kriterien nicht erfüllt, darf bei internationalen Wettbewerben ab sofort nicht mehr in der Frauen-Klasse starten.
„Ich glaube, dass die Regel zu restriktiv ist“, sagt Sportwissenschaftlerin Joanna Harper. Die Regeländerung im Schwimmen basiert auf mehreren wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass trans* Frauen nach einer Hormontherapie im Erwachsenenalter trotzdem noch körperliche Vorteile haben. Nur vor Eintreten der Pubertät könnten diese körperlichen Vorteile durch eine Therapie noch abgemildert werden, heißt es.
Das stimme zwar, sagt Harper. Aber: „Trans* Frauen, die auch nach einer Hormontherapie im Erwachsenenalter an Wettkämpfen teilnehmen, haben nicht die gleiche Leistungsfähigkeit wie davor. Es stimmt, dass ein paar Vorteile bleiben, aber: Es kommen auch Nachteile dazu. Trans* Frauen müssen ihren Körper dann mit einer reduzierten Muskelmasse und einer geringeren Ausdauerkapazität steuern. Das kann zu erheblichen Nachteilen führen, wenn es um Schnelligkeit oder Ausdauer geht. Und wir wissen immer noch nicht, wie erheblich diese Vor- und Nachteile sind. Wir werden erst Klarheit darüber haben, wenn es signifikante wissenschaftliche Beweise durch Studien gibt, die an trans* Athletinnen durchgeführt wurden.“

Kritik von Athletenorganisation Athlete Ally

Bis heute gebe es noch keine wissenschaftlichen Studien, die an trans* Schwimmerinnen durchgeführt wurde. Scharfe Kritik kommt auch von der Athletenorganisation Athlete Ally. Die neue FINA-Regel im Schwimmen sei diskriminierend, schädlich – und nicht vereinbar mit den Anforderungen des Internationalen Olympische Komitees.

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„Das Internationale Olympische Komitee hat 2021 Rahmenbedingungen verabschiedet, die Sportverbänden dabei helfen sollten, Regeln für die Inklusion von transgender und intersex Athletinnen aufzustellen, die auf den Prinzipien von Fairness und Nicht-Diskriminierung basieren und die nicht von der Annahme ausgehen, dass Athleten nicht automatisch einen Vorteil haben, nur weil sie trans* und intersex sind“, sagt Anne Lieberman von Athlete Ally. "Ein Teil dieser Rahmenbedingungen hat auch eindeutig dargelegt, dass es eindeutige wissenschaftliche Beweise braucht, um mögliche Einschränkungen zu rechtfertigen. Es hat aber noch keine einzige wissenschaftliche Studie über trans* Schwimmerinnen gegeben, die zeigt, dass sie tatsächlich Vorteile haben."

IOC: "Jede Sportart soll selbst entscheiden"

Das IOC selbst sieht in der neuen FINA-Regel aber keinen Widerspruch zu den eigenen Rahmenbedingungen. "Jede Sportart sollte und muss selbst entscheiden, ob es in Sportarten oder sogar einzelnen Disziplinen, Vorteile gibt oder nicht“, sagt IOC-Sprecher Mark Adams in einer Pressekonferenz. "Genau deshalb haben wir zum jetzigen Zeitpunkt nur Rahmenbedingungen vorgegeben, damit diese Sportarten selbst diese Entscheidungen treffen können."
Für viele ehemalige und aktive Schwimmerinnen ist diese neue Regel ein Erfolg. Cate Campbell aus Australien war als aktive Schwimmerin in den Arbeitsprozess des Schwimm-Weltverbandes mit eingebunden. Sie sagt: „Diese Regel wurde nicht auf Grundlage von Gefühlen, sondern Fakten aufgestellt. Wir haben nicht das getan, was sich richtig angefühlt hat. Diese Richtlinien wurden unter Einbeziehung von Medizinern, Rechts-Experten, Athleten, Trainern und Mitglieder der trans* Community erstellt. Es ist eine Regel, die Inklusion durchaus mit einbezieht, aber Fairness über alles stellt.“

Fragezeichen auf nationaler Ebene

Die große Frage ist jetzt: Wird diese Regel auch auf nationaler Ebene von den Nationalverbänden selbst umgesetzt? Anne Lieberman von Athletes Ally rechnet in diesem Fall mit einer weltweiten Klagewelle: "Die Realität ist, dass diese neue Regel vor allem auf nationaler Ebene in Ländern juristisch angefochten werden kann, die sehr viel Wert auf Menschenrechte legen. Wenn die nationalen Verbände diese Regel also tatsächlich übernehmen, werden wir vor allem auf der nationalen Ebene sehr viele juristische Anfechtungen sehen."
In Deutschland wird die Regel zunächst nicht eingeführt. Der Präsident des Deutschen Schwimmverbandes, Marco Troll, teilt auf Deutschlandfunk-Anfrage schriftlich mit, dass sich der DSV bei der Abstimmung am Wochenende der Stimme enthalten habe, "weil unserer Einschätzung nach noch zu viele Fragen im wissenschaftlichen und juristischen Bereich sowie zur praktischen Umsetzung unzureichend beantwortet sind, um eine endgültige Stellungnahme abzugeben.“

DFB ändert Spielrecht für trans*, intersexuelle und non-binäre Menschen

In anderen Sportarten in Deutschland gehen nationale Verbände pro-aktiv voran. Der Deutsche Fußball-Bund hat in dieser Woche beschlossen, für alle Amateurligen, also bis zur 3. Liga der Männer, das Spielrecht für trans*, intersexuelle und non-binäre Menschen zu ändern. Ab sofort können diese Personen selbstständig entscheiden, in welcher Mannschaft sie spielen wollen – auch, wenn der Geschlechtsangleichungs-Prozess noch nicht abgeschlossen ist.
„Bisher gabs überhaupt keine Regelung dafür. Das heißt, diese Personen haben sich nicht willkommen gefühlt, bzw. haben sich auch nicht geoutet oder haben vorher mit dem Fußball aufgehört“, erklärt Christian Rudolph, der beim DFB seit Anfang 2021 die Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt leitet. "Das wollten wir jetzt klar regeln, damit es da nicht diesen Flickenteppich gibt, sondern bundesweit alle Landes- und Regionalverbände das einheitlich umsetzen."
Im Profi-Bereich gibt es aber auch weiterhin keine eindeutige Regelung. Der Fußball-Weltverband FIFA hatte zuletzt angekündigt, die eigenen Regularien zu überprüfen, ähnlich wie auch der internationale Leichtathletik-Verband World Athletics. Der Rugby-Weltverband hat in dieser Woche angekündigt, trans* Frauen aufgrund der Sicherheitsrisiken für cisgender Frauen komplett auszuschließen.

FINA will offene Kategorie einführen

So weit will der Schwimm-Verband FINA noch nicht gehen. Stattdessen soll eine dritte, offene Kategorie eingeführt werden, in der dann tran* oder auch intersexuelle Athletinnen und Athleten starten, die die aktuellen FINA-Regularien nicht erfüllen.
„Ich glaube, das ist auch eine Diskussion oder ein Konzept, das wir sicherlich aufbringen müssen“, sagt Sportmedizinerin Lenka Dienstbach-Wech im Deutschlandfunk-Sportgespräch. „In Kontaktsportarten wie Fußball, wie Rugby da muss man sich mehr Gedanken darüber machen als in reinen Ausdauersportarten. Da kann man das ja relativ einfach machen, indem man eine separate Wertung macht, eine separate Klasse. Auf jeden Fall ein wichtiger Teil der Diskussion, aber ganz sportartenspezifisch zu sehen.“
Anne Lieberman von der Athletenorganisation Athlete Ally sieht das anders. "Eine offene Startklasse ist für mich eine Lösung für ein nicht-existierendes Problem. Damit eine offene Klasse nötig ist, müsste eine gewisse Anzahl an Athletinnen und Athleten vorhanden sein, die in dieser Klasse starten könnten. Und bis heute gibt es keine einzige trans* Athletin, die auf internationaler oder gar olympischer Ebene mithalten kann. Was bei mir die Frage auslöst: Für wen ist diese Klasse gedacht? Momentan gäbe es keine Athletinnen und Athleten, die in dieser Klasse starten könnten."
Der internationale Schwimmverband will bis Ende des Jahres ein erstes Konzept für eine mögliche dritte Startklasse erarbeiten – es wäre ein Novum im professionellen Sport.