Regierungen und die Europäische Zentralbank pumpen Milliarden in die Volkswirtschaften, um diese vor dem Kollaps zu retten, die europäischen Schuldenregeln sollen gelockert werden.
Am Montag (23.03.2020) hat das Bundeskabinett ein umfangreiches Hilfspaket für die Wirtschaft beschlossen. Geplant wird dabei mit einem Nachtragshaushalt von 156 Milliarden Euro.
Die Coronakrise könnte Deutschland nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts mehr als eine halbe Billion Euro und mehr als eine Million Jobs kosten. Laut dem ifo-Institut könnte die deutsche Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte schrumpfen - das entspreche Kosten von 255 bis 729 Milliarden Euro.
Guntram Wolff, Direktor des Brüsseler Denkfabrik Bruegel, warnt im Dlf-Interview vor dem Risiko, dass es durch die Coronakrise Finanzspekulation gegen einzelne Länder geben könnte.
Es sei nun wichtig, ein Zeichen des Zusammenhalts zu zeigen: "Wir sind in einer Eurozone mit schwächeren Ländern, und Griechenland und Italien sind relativ schwache Partner. Es sind aber Partner, auf die wir letztendlich auch angewiesen sind, und deswegen, denke ich, ist diese europäische Diskussion jetzt ganz wichtig, um einen gewissen Schutzschild aufzubauen."
Das Interview in voller Länge:
Münchenberg: Herr Wolff, wenn Sie eine Zwischenbilanz ziehen müssen, wo steht Europa derzeit bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie?
Guntram Wolff: Ich denke, die meisten Mitgliedsländer haben tatsächlich Maßnahmen beschlossen. Diese Maßnahmen werden wahrscheinlich alle noch nach oben korrigiert werden – je nachdem, wie lang diese Krise dauern wird, diese Gesundheitskrise dauern wird.
Die Brüsseler Institutionen haben vielleicht in den ersten Wochen langsam reagiert, aber doch seit zwei, drei Wochen wird hier mit Hochdruck daran gearbeitet. Wir haben gerade schon gehört, die Stabilitätspakt-Regeln werden temporär ausgesetzt. Das ist eigentlich allen seit Wochen klar.
Die große Frage diese Woche wird sein: Werden zusätzliche Mittel durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bereitgestellt für Länder in Europa, die vielleicht Probleme haben könnten, sich am Finanzmarkt zu finanzieren in der Zukunft?
"Risiko, dass es eine Spekulation gegen einzelne Länder geben wird"
Münchenberg: Nun steigt ja die Staatsverschuldung auch in den Mitgliedsländern rapide an. Deutschland kann sich das sicher leisten, angesichts der guten wirtschaftlichen Jahre, die hinter uns liegen. Spanien eher nicht; da liegt die Staatsverschuldung bei 96 Prozent. In Italien sogar bei 134 Prozent. Beide Länder sind ja von Corona massiv betroffen. Also schon die Frage: Können sich diese Länder die Hilfspakete überhaupt leisten?
Wolff: Grundsätzlich ist es ja so, dass die Staatsschulden finanzierbar sind, wenn die Zinsen gering sind. Die Zinsen sind derzeit unter ein Prozent, in vielen Ländern sogar bei null Prozent. Wenn Sie null Prozent Zinsen auf Schulden zahlen, dann können Sie sich auch höhere Schulden leisten.
Die Frage ist natürlich immer: Glauben die Finanzmärkte Ihnen, dass Sie das langfristig auch machen werden. Das ist das große Risiko, dass es eine Spekulation gegen einzelne Länder geben wird, wo die Spekulanten, die Investoren sagen, Moment einmal, wir glauben letztendlich nicht, dass Italien noch weitere 10, 20 oder 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Schulden aufnehmen kann.
Ich denke, hier ist es jetzt wichtig, ein Zeichen des Zusammenhalts zu zeigen. Die EZB hat mit ihrem neuen Programm von letzter Woche da schon ein sehr gutes Signal gesetzt und damit auch den Investoren, die da Zweifel haben, erst mal Wind aus den Segeln genommen, und die Frage ist diese Woche, ob man einen generalisierten ESM-Rettungsschirm noch mal aufspannt, um die Sicherheit da zu erhöhen.
Ich bin nicht sicher, ob es wirklich notwendig ist, solange die EZB da ist, aber wahrscheinlich wird doch etwas in diese Richtung diese Woche entschieden werden. Zumindest eine Vorsichts-Kreditlinie – ECCL heißt die im Fachjargon – könnte tatsächlich helfen, Finanzmärkte zu stabilisieren, und dann sind die Schulden tatsächlich auch finanzierbar.
"Die Unternehmen möglichst am Leben erhalten"
Münchenberg: Herr Wolff, lassen Sie mich da kurz unterbrechen, um noch mal bei Spanien und Italien zu bleiben. Sie sagen, die Europäische Zentralbank hat jetzt faktisch einen Schutzschirm aufgebaut. Auf der anderen Seite: Werden die Finanzmärkte nach dieser Krise nicht rechnen und genau zu dem Ergebnis kommen, dass die Schuldentragfähigkeit bei diesen Ländern nicht mehr gegeben ist, was dann wieder massive Auswirkungen auf die Eurozone hat?
Wolff: Ich denke, was man sich klarmachen muss ist, dass es schlimmer sein könnte, wenn man keine staatliche Unterstützung diesen Ländern gibt, wenn die Staaten selber ihrer eigenen Wirtschaft keine staatliche Unterstützung geben.
Wir müssen uns ja klarmachen, dass das Entscheidende jetzt ist, dass man die Unternehmen möglichst am Leben erhält, so dass sie nach der Krise sofort wieder voll produktiv werden, so dass wir praktisch nur ein sogenanntes V in der Konjunktur haben. Das heißt, möglichst schnell sollte das Bruttoinlandsprodukt nach der Krise wieder nach oben gehen.
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Insofern ist es zentral, dass die Unternehmen geschützt und unterstützt werden, auch in diesen Ländern. Wenn das nicht der Fall ist, dann haben wir langfristig das Bruttoinlandsprodukt wesentlich niedriger, gerade auch in Spanien und in Italien, und dann muss man sich wirklich Sorgen machen um die Schuldentragfähigkeit.
"Wir müssen den langfristigen Einbruch verhindern"
Münchenberg: Italien hatte ja vor der Corona-Krise ein extrem schwaches Wirtschaftswachstum, ist gleichzeitig drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone. Und die Frage ist schon: Was heißt das alles nach der Krise? Droht dann nicht der gesamten Eurozone die Krise?
Wolff: Wie gesagt. Der grundsätzliche Punkt ist: Je stärker und langfristiger der Einbruch ist, umso größer wird die langfristige Krise sein. Wir müssen den langfristigen Einbruch verhindern.
Richtig ist aber natürlich: Einige Länder sind schwächer als andere. Deswegen redet man jetzt in Brüssel über gemeinsame Hilfsaktionen und versucht, möglichst ein Modell aufzubauen, in dem man diese Länder vor den langfristigen Folgen soweit es geht schützen kann.
Richtig ist aber natürlich: Wir sind in einer Eurozone mit schwächeren Ländern, und Griechenland und Italien sind relativ schwache Partner. Es sind aber Partner, auf die wir letztendlich auch angewiesen sind, und deswegen denke ich, ist diese europäische Diskussion jetzt ganz wichtig, um einen gewissen Schutzschild aufzubauen.
"Wir haben hier einen gemeinsamen Schock"
Münchenberg: Aus Spanien, Herr Wolff, kam am Wochenende die Forderung, Corona-Bonds aufzulegen, letztlich die Schulden zu vergemeinschaften. Wäre das ein richtiger Weg?
Wolff: Es ist letztendlich eine politische Entscheidung. Wir haben hier einen gemeinsamen Schock. Wir sind alle mehr oder weniger gleich stark betroffen. Wir werden ähnliche Zahlen wie in Spanien und Italien in ein paar Wochen auch in Deutschland sehen, wenn wir nicht viel Glück haben. Insofern ist das schon ein Moment, in dem man zusammen handeln kann und auch zusammen tatsächlich einen Schutzschirm aufbauen kann.
Corona-Bonds oder ESM-Kreditlinien oder etwas Ähnliches wäre auf jeden Fall ein Zeichen der Solidarität und es wäre ein Zeichen der Stärke Europas und würde, glaube ich, uns insgesamt als Union weiter nach vorne bringen. Aber es ist letztlich eine politische Entscheidung. Ich hielte es für die richtige Entscheidung, weil das Europa zusammenbringen wird und langfristig auch Europa stärken würde und nicht schwächen würde.
"Naive Vorstellung, dass man einfach so eine Krise in Italien wegstecken kann"
Münchenberg: Dass auch Deutschland am Ende finanziell für Italien zum Beispiel oder auch Spanien in die Bresche springt?
Wolff: Sie müssen sich das vorstellen. Wenn man das nicht macht, dann werden wir wahrscheinlich wesentlich höhere Kosten tragen, weil wir so eng verwoben sind. Unsere bayerischen Unternehmen hängen von den Zulieferern in Italien ab und so weiter. Wir sind ein so eng verwobenes Wirtschaftssystem inzwischen, dass wir alle voneinander abhängig sind, und die Vorstellung, dass man einfach so eine Krise in Italien wegstecken kann, ist natürlich naiv.
Insofern müssen wir schon zusammenstehen in dieser Situation und wenn wir zusammenstehen, dann sind die Kosten für uns alle, auch für uns Deutsche wesentlich geringer. Das muss man sich einfach klarmachen.
Das heißt, es geht hier darum, letztendlich einen glaubwürdigen Rettungsschirm aufzuspannen, und dann muss man ihn wahrscheinlich gar nicht nutzen – einfach, weil Investoren dann sehen, die Eurozone hält zusammen. Dann gibt es keine Spekulationen, dann bleiben die Zinsen niedrig und dann kann auch ein Land wie Italien locker seine Zinsen bezahlen. Italien hat keinerlei Haushaltsprobleme damit, weil seine Zinslast einfach so gering ist derzeit, dank der niedrigen Zinsen.
Es geht jetzt darum, glaubwürdig zu sein, Vertrauen der Märkte aufrecht zu halten, zusammenzustehen, und dann passiert auch nichts.
"Coronakrise wird ein Neudenken auslösen"
Münchenberg: Herr Wolff, nun werden Regeln außer Kraft gesetzt, zum Beispiel beim Wachstums- und Stabilitätspakt. Darüber haben wir gerade gesprochen und auch berichtet. Die Frage ist ja schon: Wer will nach der Krise noch zu den alten Regeln zurück? Wer wird sie dann noch verteidigen?
Wolff: Wie die langfristigen Auswirkungen auch auf unser wirtschaftspolitisches Handeln sein werden, ist eine große und weitreichende Frage. Ich glaube, diese Coronakrise wird in ganz Europa, in der ganzen Welt ein Neudenken auslösen. Wir werden neu darüber nachdenken, wie wir produzieren. Wir werden neu darüber nachdenken, wie wir miteinander umgehen. Wir werden sicherlich auch in Europa neu darüber nachdenken, was wir brauchen, was für Regeln brauchen wir, was für Solidaritätsmechanismen brauchen wir, wie müssen wir die Eurozone stabiler aufstellen, dass wir bei der nächsten Krise nicht wieder Probleme kriegen. All diese Dinge werden in der Diskussion sein.
Aber grundsätzlich ist es, glaube ich, jetzt erst mal so: Wir setzen diese Stabilitäts- und Wachstumspakt-Regeln kurzfristig aus. Das ist in den Regeln selber sogar vorgesehen für solche außergewöhnlichen Krisen. Da spricht erst mal nichts dagegen, dass der Rechtsrahmen nach der Gesundheitskrise weiter aufrecht erhalten bleibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.