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Finanzhilfen für die Ukraine
"Russland wird für eine Lösung gebraucht"

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat sich für schnelle Finanzhilfen für die Ukraine ausgesprochen. Die Kredite, die die Ukraine benötigt, um den Staatsbankrott abzuwenden, müssten von einem Konsortium verschiedener Geldgeber kommen, sagte Schulz im Deutschlandfunk.

25.02.2014
    Christine Heuer: Alles ist im Umbruch, vieles undurchschaubar und jeder hat sein eigenes Interesse. Auch vier Tage nach dem Sturz von Wiktor Janukowitsch in der Ukraine ist überhaupt nicht absehbar, wie die Zukunft des Landes aussehen und wer es am Ende führen wird. Klar ist: Die Ukraine braucht dringend Geld, Milliarden-Summen, möglichst sofort. Sonst droht die Staatspleite. Und die möglichen Geber, Russland auf der einen, der Westen auf der anderen Seite, sind sich keineswegs einig, wie es weitergehen soll. Am Telefon begrüße ich Martin Schulz, Sozialdemokrat, Präsident des Europäischen Parlaments. Die Ukraine braucht dringend Geld. Wie viel kann die Europäische Union denn locker machen?
    Martin Schulz: So viel, wie die Ukraine braucht, um zu überleben. Ich glaube, wir haben ja die 15 Milliarden, die Sie eben in Ihrem Gespräch angesprochen haben, nicht zum ersten Mal als Diskussionsgrundlage gehört. Das hat ja schon in der Phase der Vorbereitung dieser dann nicht erfolgten Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens eine große Rolle gespielt. Aber ich meine, wenn wir hören, dass diese Tranche von zwei Milliarden, die jetzt ganz kurzfristig erforderlich ist, um das Land lebensfähig zu halten, in der Diskussion ist, weil sie in Russland zurückgehalten wird, dann, glaube ich, sollte die EU nicht lange warten, sondern versuchen, mit einer neuen Regierung so schnell wie möglich zumindest die Grundlagen der Handlungsfähigkeit einer solchen Regierung aufrecht zu erhalten.
    Heuer: Also zwei Milliarden sofort?
    Schulz: Das muss ja die Regierung dort sagen. Ich kann in dem Gespräch mit Ihnen beim besten Willen nicht quantifizieren, wie groß die unmittelbare kurzfristige Hilfsleistung sein muss. Lady Ashton, die Außenbeauftragte, ist ja zurzeit in Kiew und ich erwarte, dass die uns in den nächsten Stunden eigentlich sagen wird, was bei ihren Gesprächen mit der Regierung rauskommt.
    Mehrere Geldgeber im Gespräch
    Heuer: Eins kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Die ukrainische Übergangsführung beziffert ja ihren Geldbedarf für die nächsten zwei Jahre nicht auf 15, sondern auf 25 Milliarden Euro. Kann die EU das alleine, oder muss Russland da mit ins Boot?
    Schulz: Ich glaube, dass ein Konsortium verschiedener Geldgeber im Gespräch ist, und das ist auch vernünftig. Der Peak sollte bestehen aus den Vereinigten Staaten, aus der EU, möglicherweise dem Internationalen Währungsfonds und Russland. Wenn es uns gelänge, eine Gemeinsamkeit auf der Ebene der Finanzierung in den nächsten Jahren zu erreichen, dann wäre das sicher diplomatisch, politisch und ganz sicher finanziell für das Land der beste Weg. Das ist ganz schwierig, aber wir sollten es versuchen anzustreben.
    Heuer: Sie hätten Russland, höre ich, da gerne mit im Boot. Jetzt ist es aber so, dass Russland nicht auf Demokratie steht und schon gar nicht auf eine Annäherung der Ukraine an den Westen. Wie wollen Sie denn da eine Einigung finden?
    Schulz: Die Berichterstattung, die ja auch Ihre Kollegin aus Russland gerade vorgenommen hat, zeigt ja, ein großer Teil des Landes ist russisch beeinflusst. Es gibt in der Ukraine viele Menschen, die schauen zunächst nach Russland, gerade im Osten des Landes, und wir haben vor wenigen Sekunden in Ihrem Gespräch mit Ihrer Kollegin gehört, aufgrund Ihrer Frage, dass militärische Auswirkungen zwar nicht wahrscheinlich, aber am Ende möglicherweise auch nicht ausgeschlossen sind. Deshalb rate ich dringend dazu, und das scheint ja auch die Politik aller Regierungschefs innerhalb der EU zu sein, vor allen Dingen, glaube ich, des polnischen Regierungschefs und auch der Bundeskanzlerin -, dass unter allen Umständen alle nächsten Schritte möglichst vorab auch mit Russland diskutiert werden. Ob die auf Demokratie stehen oder nicht, das wissen wir ja, sie werden für eine Lösung gebraucht, und das ist sicher auch der Regierung, der neuen in Kiew klar, dass man mit den Russen in jedem Fall wird reden müssen.
    Russland will Einfluss in der Ukraine wahren
    Heuer: Aber wie wollen Sie das hinbekommen? Die EU ist ja bereit zu reden. Russland wirkt eher verhalten, um es mal freundlich auszudrücken.
    Schulz: Warten wir ab. Wenn das stimmt, dass Russland in einer Findungsphase ist, dann müssen wir davon ausgehen, dass der entscheidende Punkt der ist: Hat Russland strategische Interessen daran, dass die Ukraine auseinanderbricht. Das wird ja ständig unterstellt. Meine Antwort ist darauf nein, das glaube ich nicht. Russland hat langfristige Verträge mit der Ukraine abgeschlossen, was die Schwarzmeer-Flotte auf der Krim angeht. Ich glaube, dass die ökonomisch einflussreichen Kreise im Osten des Landes, also im russisch orientierten Teil, im Donnezbecken zum Beispiel die Oligarchen, die da sitzen, überhaupt kein Interesse am Auseinanderbrechen des Landes haben. Die sind aber mit den Russen auch im Dialog. Ich glaube, dass es in Moskau eine ganze Menge Leute gibt, die ihre Einfluss-Sphäre in der Ukraine wahren wollen, aber zugleich ein Interesse daran haben, dass das Land nicht ins Chaos stürzt. Auf diese Kräfte muss man zugehen.
    Timoschenko ist populär - hat aber auch Gegner
    Heuer: Ist Julia Timoschenko die richtige Frau, um die Ukraine in die Zukunft zu führen?
    Julia Timoschenko hält im Rollstuhl sitzend eine Rede, in ihrer rechten Hand hält sie ein Mikrofon.
    Julia Timoschenko hielt auf dem Maidan eine kämpferische Rede (picture alliance / dpa / Pochuyev Mikhail)
    Schulz: Das vermag ich beim besten Willen nicht zu beurteilen, sondern das ist ein Urteil, das die Ukrainer treffen müssen. Frau Timoschenko, für deren Freilassung ich mich ja ganz intensiv über zwei Jahre eingesetzt habe - ich hatte seinerzeit meine Kollegen Pat Cox und Alexander Kwasniewski gebeten, in der Ukraine zu vermitteln, um Frau Timoschenko freizubekommen -, Frau Timoschenko ist eine populäre Politikerin in Teilen der Bevölkerung. Sie hat auch eine Menge Gegner. Sie war die Regierungschefin des Landes. Ob sie am Ende das Vertrauen der ukrainischen Mehrheit gewinnen kann, das vermag ich von außen nicht zu beurteilen. Das wird davon abhängen, wie ihre Partei es schafft, Leute hinter sich zu bringen, und ich glaube, da gibt es keine Partei, die eine absolute Mehrheit bekommt, wie Frau Timoschenko mit der handelnden Opposition zusammenarbeiten kann. Wenn das gelingt, dann könnte sie eine Schlüsselrolle haben.
    Merkels Besuch in Israel
    Heuer: Herr Schulz, aus aktuellem Anlass möchte ich ein Thema noch kurz mit Ihnen besprechen: Israel, die Regierungskonsultationen Deutschlands und Israels in Jerusalem. Frau Merkel ist ja mit dem gesamten Kabinett angereist. Würden Sie ihr raten, nicht über Wasser zu sprechen, es sei denn, sie hat gerade Durst?
    Schulz: Ich glaube, Frau Merkel wird sicher genau wie alle anderen Regierungen, die mit der israelischen Regierung reden, auch über die im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung und des Friedensprozesses anstehenden Probleme reden, und da gehört Wasser mit dazu.
    Heuer: Aber Sie haben sich ja gerade besonders unbeliebt gemacht, weil Sie das Thema in der Knesset angesprochen haben.
    Schulz: Ich habe nicht den Eindruck, dass ich mich nur unbeliebt gemacht habe. Ich habe mich unbeliebt gemacht bei der Partei der radikalen Siedler. Da sind vier Abgeordnete aus dem Saal gegangen. Das sind die gleichen Leute, die John Kerry in den gleichen Tönen angreifen für seinen Friedensprozess. Ich habe am Ende meiner Rede von vielen Abgeordneten stehenden Beifall bekommen. Insofern habe ich mich vielleicht bei einigen unbeliebt gemacht. Ich muss Ihnen offen sagen, dass ich darüber nicht besonders bestürzt bin, denn diese Leute, die greifen jeden an, der im Friedensprozess nicht ihre Position vertritt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.