Die finanzielle Lage in vielen Kommunen wird von Tag zu Tag prekärer. Vor der Pandemie gab es vielerorts Überschüsse im Haushalt und sinkende Verschuldung. Jetzt sehen die Aussichten ganz anders aus: Wegbrechende Einnahmen, wachsende Ausgaben, absehbar wieder steigende Schulden. Manche Gemeinde verhängt jetzt schon eine Haushaltssperre. Manche Stadt befürchtet drastische Einschränkungen ihrer Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger.
Bund oder die Länder müssten hier dringend aushelfen, sonst könne nicht investiert werden dann könne die Wirtschaft auch nicht anspringen, sagte Burkhard Jung, Oberbürgermeister von Leipzig und Präsident des Deutschen Städtetags, im Deutschlandfunk.
Die Kommunen könnten die notwendigen Finanzen aus zwei Gründen nicht alleine stemmen: Erstens seien einige Kommunen durch Altschulden so stark gelähmt, dass sie keine neuen Schulden machen dürfen. Aber auch Kommunen, die besser aufgestellt seien, würden zögern. Es fehle eine Perspektive, wann es wieder nach oben gehe. Kommunen hätten Angst, sich für die Zukunft unregierbar zu machen und sich Gestaltungsmöglichkeiten zu nehmen.
Schulden der Gemeinden/Gemeindeverbänden
Den Kommunen fehlten im Jahr 2021 9,4 Milliarden Euro, im Jahr 2022 seien es zehn Milliarden. Jung wünscht sich, dass Bund und Länder das zu 50 Prozent ausgleichen, "dann wären wir in einer ganz anderen Situation und könnten durchstarten." Über 60 Prozent der Investitionen in Deutschland würden durch die Kommunen ausgelöst und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich beeinflusst.
Seine Hoffnung auf Unterstützung sei allerdings begrenzt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz habe unmissverständlich deutlich gemacht, dass er zurzeit keine Möglichkeiten sehe, Gewerbesteuer-Ausfälle auszugleichen. Er werbe im Bundestag bei Abgeordnete für die Anliegen der Kommunen, denn "es ist wirklich nötig, es tut Not, und da sind Bund und Länder in der Pflicht. Wir werden das alleine nicht schaffen."
Das Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Herr Jung, wie tief ist denn der Abgrund, in den Sie schauen?
Burkhard Jung: Das macht uns schon richtig Angst, muss ich sagen. Neun Milliarden dieses Jahr, zehn Milliarden nächstes Jahr, die uns fehlen, und das heißt Brücken, Tunnel, Straßen, Kitas, Schulen, da steht vieles, vieles zur Disposition. Ich zitiere mal die Stadt Magdeburg, die gestern gemeldet hat, alles ist vakant. Da gibt es insbesondere die Intervention der Kommunalaufsicht, die natürlich auch neue Schulden teilweise gar nicht ermöglicht. Die Städte hängen natürlich am Tropf und am Ende ist es uns – darf ich das auch mal sagen – völlig egal, ob der Bund oder die Länder uns helfen, aber wir brauchen Hilfe. Ansonsten kann nicht investiert werden und damit kann die Wirtschaft nicht so anspringen, wie wir uns das wünschen.
Barenberg: Ein paar Stichworte haben Sie ja genannt, aber schildern Sie vielleicht noch mal, möglicherweise auch mit Blick auf Ihre eigene Stadt, auf Leipzig, was bedeutet das, wenn Sie mit einem solchen Loch im Haushalt in die Zeit nach der Pandemie gehen?
Jung: Für uns ganz konkret in Leipzig heißt das, wir machen selbst als Kommune Schulden. Zwölf Jahre habe ich gebraucht, um 500 Millionen Euro zu tilgen. In den nächsten zwei Jahren nehmen wir wahrscheinlich 500 Millionen Euro wieder auf, um insgesamt das Investitionshemmnis zu beseitigen und weiter für Kitas, Schulen, Brücken, Straßen etc. zu investieren – auch in der Hoffnung, dass das wieder anspringt, dass wir 2022/23 wieder auf dem Niveau von 2019 sind.
Aber genau das können sehr viele Städte nicht. Es ist ihnen verboten, Schulden zu machen, und dann wird geschoben. Dann wird alles aufgeschoben. Dann wird das kostenlose Schüler-Ticket nicht eingeführt. Dann wird die Vereinsförderung für Kultur, für Sport, für Soziales zurückgefahren oder eingefroren und dann gibt es die großen Investitionen nicht, und das ist das Problem. Über 60 Prozent unserer Investitionen in Deutschland werden durch die Kommunen letztlich ausgelöst und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung ganz stark beeinflusst.
Wir sehen wirklich kein Licht am Ende des Tunnels. Corona war Weihnachten nicht zu Ende, so sehr wir uns gefreut haben in 2020.
Jung: Schuldenverbote und fehlende Perspektive hemmen die Kommunen
Barenberg: Bevor wir jetzt über die Frage sprechen, inwieweit der Bund, inwieweit die Länder möglicherweise jetzt doch noch mal aushelfen müssen, noch mal die Frage, warum die Städte, warum die Gemeinden das nicht aus eigener Kraft schaffen können. Es gab ja schließlich vor Corona eine Phase mit hohen Einnahmen vielerorts. Es gibt perspektivisch die Aussicht auf einen kraftvollen Wirtschaftsaufschwung, also die Aussicht auf wieder stärkere Einnahmen beispielsweise aus der für die Kommunen und Städte wichtigen Gewerbesteuer. Warum können Sie nicht aus eigener Kraft diese Zwischenzeit überbrücken?
Jung: Das ist ein sehr differenziertes Bild. Auf der einen Seite gibt es Gemeinden und Städte, die durch die Altschulden so stark gelähmt sind in ihren eigenen Entscheidungsmöglichkeiten, dass ihre Kommunalaufsicht ihnen untersagt, neue Schulden zu machen. Das ist das eine Thema. Wir hängen am Tropf und werden beäugt durch die Kommunalaufsichten. Da ist es das Regierungspräsidium, dort ist es die Landesdirektion. In Deutschland gibt es unterschiedliche Regularien. Aber vielfach ist es uns verboten, Schulden zu machen. Das ist Thema eins.
Das Thema zwei: In der Tat fehlt bei vielen die Perspektive, wann geht es denn wieder nach oben, wann sind wir denn überhaupt in der Lage, die Schulden zu tilgen und die Zinsen zu tragen. Das ist ein zweites Thema, auch wenn wir in einer Niedrigzins-Situation sind. Viele haben in der Tat große Sorgen, sich in der Zukunft unregierbar zu machen und die Gestaltungsmöglichkeiten sich zu nehmen.
So ist es ein verschiedenes Bild. Es gibt sicherlich auch hier und da eine Stadt, die durchaus im Hinblick auf die Gewerbesteuereinnahmen sehr, sehr unterschiedlich betroffen ist. Es gibt unterschiedliche Branchen. Das haben wir letztes Jahr, denke ich, gut gelöst. Da wurde genau geschaut, das Ist des Jahres 2019 zur Grundlage gemacht und dann ausgeglichen. Ich kann nur dringend davor warnen, dass man uns alleine lässt. Im Ergebnis wird das für die Bürgerinnen und Bürger schmerzhaft spürbar, dass Corona die Folgen hat für unsere öffentlichen Ausgaben und die Leistungen, die wir vorhalten.
Jung: Scholz sieht keine Möglichkeiten zu unterstützen
Barenberg: Und ich verstehe das richtig, Sie sind in Gesprächen mit dem Bund? Sie sind möglicherweise auch in Gesprächen mit den Ländern? Und das Signal, das Sie vom Sozialdemokraten, von Olaf Scholz im Bundesfinanzministerium bekommen, ist, wir haben euch im vergangenen Jahr geholfen, aber dieses Jahr und in der Zeit danach müsst ihr alleine zurechtkommen?
Jung: Ja, ich muss das leider so sagen. Olaf Scholz hat unmissverständlich deutlichgemacht, er sieht zurzeit keine Möglichkeiten, uns wieder in 21 die Gewerbesteuer-Ausfälle auszugleichen. Das ist bitter und deshalb kämpfen wir. Wir machen deutlich auf unsere Situation aufmerksam und hoffen, dass wir da doch noch die eine oder andere Ansicht verändern können, insbesondere im Bundestag bei den Abgeordneten doch die eine oder andere Stimme noch mal gewinnen können für unsere Anliegen. Es ist wirklich nötig, es tut Not, und da sind Bund und Länder in der Pflicht. Wir werden das alleine nicht schaffen.
Barenberg: Würden Sie sagen, da hat Olaf Scholz sein Wort gebrochen, denn in den letzten Wochen hat er schon zu erkennen gegeben, dass er die schwierige Situation der Kommunen im Blick hat, dass ihm das bewusst ist, und jetzt diese klare Absage an jegliche Hilfe? Ist das Wortbruch?
Jung: Wortbruch weiß ich nicht. Soweit will ich jetzt nicht gehen, sondern er hat natürlich auch seine Schwierigkeiten und Widrigkeiten benannt. Ich habe ja durchaus auch Verständnis. Auch dort müssen Schulden gemacht werden. Auch der Bund verschuldet sich ja über alle Maßen, wenn wir miteinander ehrlich sind. Aber die Hoffnung muss uns doch gemeinsam beseelen, dass wir das Niveau von 2019 in 2023 wieder erreichen und dann durchstarten können. Insofern: Ich kämpfe darum, dass Olaf Scholz vielleicht auch im Bundestag die Mehrheiten findet, um das noch mal zu verändern.
Jung: 2021 und 2022 fehlen jeweils rund zehn Milliarden Euro
Barenberg: Und wenn wir über einen solchen weiteren Rettungsschirm, sagen wir mal, für die Kommunen sprechen, über welche Summe sprechen wir und über welche zeitliche Perspektive sprechen wir, wenn es nach Ihnen geht?
Jung: Wenn es nach mir geht, brauchen wir in 21 und 22 die Unterstützung in der Hoffnung, dass wir 23 wieder an dem Niveau von 19 anknüpfen können. Und um die Summen noch mal zu nennen: Es fehlen uns in 21 9,4 Milliarden nach der jetzigen Steuerschätzung im Mai und in 22 sind es zehn Milliarden, die nach jetziger Darstellung uns fehlen werden. Wenn das durch Bund und Länder zu 50 Prozent ausgeglichen werden würde, jeweils zu 50 Prozent, dann wären wir in einer ganz anderen Situation und könnten durchstarten.
Barenberg: Das heißt auch, dies zum Schluss vielleicht, den Bund sehen Sie da in der Pflicht, aber auch die Länder, die ja auch schon erhebliche Schulden aufgenommen haben, auch um die eigenen Kommunen und die eigenen Städte zu unterstützen?
Jung: Na ja, klar! Wir sind immer in der Abhängigkeit. In unserem dreigliedrigen System sind die Kommunen am Ende der Fahnenstange diejenigen, die die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger vorhalten, und tatsächlich nicht so frei, wie wir uns das immer wünschen. Unsere Autonomie ist in der Tat eingeschränkt und ohne die Zustimmung des Landes geht es nicht. Das heißt aber auch umgekehrt, ohne die Hilfen des Landes geht es nicht und des Bundes ebenso.
Barenberg: Wir bewegen uns langsam auf die Bundestagswahlen zu. Bis wann brauchen Sie, was die Finanzplanung angeht, ein klares Signal, dass da doch noch Gesprächsbereitschaft besteht?
Jung: September. – September nicht wegen der Bundestagswahl, sondern wegen der Planung unserer Haushalte. Wir sind in den letzten Zügen für die Jahre 22 etc. und um die Haushalte auszusteuern, Investitionen wirklich auch auslösen zu können, braucht es die Haushaltsverabschiedungen in der Regel Ende des Jahres, Dezember, Januar, neues Jahr. Und das heißt, im September müssen wir Klarheit haben, mit welchen Summen wir planen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.